Auf dem Platz war Mesut Özil ein Star. Man nannte ihn den „Zauberer von Öz“, wegen seiner fantastischen Technik und den genialen Pässen. Er brillierte unter anderem bei den „Königlichen“ von Real Madrid und beim FC Arsenal. 2014 wurde er als einer der prägenden Spieler des Turniers mit der DFB-Auswahl Fußballweltmeister, nur vier Jahre später galt er beim Aus in der WM-Vorrunde als „Symbol des Scheiterns“. Abseits des grünen Rasens fiel Özil vor allem durch eine Reihe politischer Wirrungen und Irrungen auf. Ein neues Theaterstück bringt die Reizfigur Mesut Özil auf die Bühne, uraufgeführt wird Akın Emanuel Şipals „Der Zauberer von Öz. Eine Fußballtragödie“ in Bremen.
Şipal macht aus der Geschichte von Özil ein Stück über deutsch-türkische Identitätsfragen. „Es geht um die Gesellschaft, um den Migrationsdiskurs und darum, wie sich diese verschiedenen Dinge ergänzen und überlagern“, so der Autor gegenüber dpa. Immer wieder greift Şipal in seinen Theaterstücken postmigrantische Themen auf: Vor vier Jahren feierte „Mutter Vater Land“ am Theater Bremen Uraufführung, ein Stück über die eigene deutsch-türkische Familie. So gibt es auch zu Özil eine biografische Nähe: Şipal wurde 1991 in Essen geboren, Özil 1988 in Gelsenkirchen. Und für beide spielt die Frage von Herkunft und Zugehörigkeit bis heute eine schwer zu fassende Rolle.
In seinem Stück schickt Şipal seinen Helden auf eine albtraumhafte Reise. Da taucht zum Beispiel eine sprechende Wölfin auf. Oder Ernst Kuzorra und Ernst Szepan, die dem „Führer“ treu ergebenen Legenden des FC Schalke 04 aus der glorreichsten Zeit des Vereins zwischen 1934 und 1942. So viel zur wenig glücklichen Verbindung von Politik und Fußball. Später verwickeln sich auch noch Goethe, der Autor und der Regisseur des Stücks in eine hitzige Diskussion unter anderem über den Islam.
In einer anderen Szene erscheinen dem fiktiven Özil ehemalige türkische Nationalspieler – die Altintop-Brüder, Nuri Sahin, Yildiray Bastürk und weitere – im Traum, der ein Remake von „Triumph des Willens“ ist. „Wir werden niemals als Deutsche akzeptiert“, heißt es da. Oder: „Europa will uns immer ficken, Mesut.“ Trifft hier das tückische Gift des türkischen Nationalismus auf die Seele eines in seinem Stolz Gekränkten, setzt sich dort fest und frisst sich fort? Immerhin hatte sich Özil als Jugendlicher gegen die türkische Staatsbürgerschaft und eine Karriere in der dortigen Auswahl entschieden, sondern für den DFB, wo er sich später ungeliebt fühlte.
Sehr vergnüglich lesen sich die Szenen, die in der DFB-Kabine spielen und auf pointierte Weise die Klischees der damaligen Nationalspieler aufgreifen. Um Jogi Löw scharen sich der schöne Mats Hummels, Manuel Neuer („germanisches Riesenbaby“), Thomas Müller, Jérôme Boateng, Sami Khedira und viele andere. Nur vor Özil stellen sie sich nicht, als dieser Rassismus im DFB anprangert und sich nicht zum „Sündenbock“ machen lassen will. Als Uli Hoeneß, Stefan Effenberg, Mario Basler oder Lothar Matthäus über Özil herziehen, wie im Stück zitiert wird. Sind sie von den politischen Untiefen überfordert, die sich in der Debatte um Özil auftun? Gar feige oder selbst vorurteilsbeladen? Wirklich gut kommt dabei eigentlich keiner der Nationalspieler weg.
Şipal vermeidet es in seinem Stück, die Figur Özil zu vereindeutigen, sondern zeigt ihn unter Einfluss verschiedenster Kräfte in Sport, Familie und Politik, die ihn wiederum zu eindeutigen Positionen drängen. Dem ist der reale Özil, der sich erst mit der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Kabine und später auch mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan ablichten ließ, nach längerem Schweigen gefolgt. Anfang dieses Jahres wurde Özil in den Vorstand der konservativ-islamischen Erdogan-Partei AKP gewählt, er posierte mit „Graue Wölfe“-Tätowierung und postete auf Social Media Landkarten, auf denen Israel durchgestrichen und durch Palästina ersetzt ist.
Der Aufstieg und Fall des Mesut Özil, vom Vorbild der Integration und Posterboy des multikulturellen Fußballs in Deutschland zum Erdogan-Fan, hat selbst schon etwas Theatralisches. Dazu kommt, dass Özil immer auf einer großen Bühne stand, auf der er vom Mitsingen bei der Nationalhymne bis zur Körperhaltung genau beobachtet wurde. Zu genau, weil mit Vorurteilen? Oder, von heute aus betrachtet, mit berechtigten Vorbehalten? Oder war Özil die Projektionsfläche, an der eine Fußballnation ihre migrationspolitischen Widersprüche ab 2015 ausagierte, worauf der nur reagierte? Am Ende lässt es sich nie völlig aufklären, egal, wie viele Özil-Theaterstücke es auch gibt.
„Ich bin unter die Räder gekommen, des Streitwagens der Migrationspolitik“, sagt Özil im Stück zu seinem Vater. Das ist die Deutung von Şipal, die Özil als tragischen Charakter fasst. Das meint keineswegs, ihn als Opfer zu stilisieren oder zu entlasten. Tragödie meint ja gerade, dass sich der Held auf unglückliche Weise verwickelt, selbst ungerecht wird, was auch immer er an Ungerechtigkeiten erlebt haben mag. Şipals Stück, das in erste und zweite Halbzeit mit Verlängerung statt in Akte gegliedert ist, hat mit dem Abpfiff keine Gewinner. Es gibt auch kein gerechtes Unentschieden, sondern Punktabzug für alle: Lose-Lose. So etwas kennt der Fußball nicht, das gibt es nur im Leben – und im Theater.
„Der Zauberer von Öz“ wird am 16. Oktober am Theater Bremen uraufgeführt
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