Inhalt des Artikels:
- Setzt Polen das EuGH-Urteil um?
- Widersprüchliche Aussagen sind Rhetorik
- Präsident Nawrocki kann nicht bremsen
- Wird es einen Heiratstourismus geben?
Das EuGH-Urteil zu gleichgeschlechtlichen Ehen hat vergangene Woche auch in Deutschland für Aufsehen gesorgt. Manche bezeichneten es sogar als "historisch", sprachen von einer Revolution oder einem Neuanfang. Doch eine wahre Revolution ist es mitnichten. Denn Juristen betonen vor allem, was in dem Urteil NICHT steht: Polen ist nämlich keineswegs dazu verpflichtet, die "Ehe für alle" in seinem nationalen Recht einzuführen – da bleibt es weiterhin bei Ehemann und Ehefrau. Die polnische Verwaltung muss lediglich diejenigen gleichgeschlechtlichen Ehen anerkennen, die in einem anderen EU-Land geschlossen wurden. So wie es bei den Klägern der Fall war – zwei polnischen Männern, die 2018 in Deutschland geheiratet und nach ihrer Rückkehr in die Heimat die Eintragung dieser Ehe bei einem polnischen Standesamt zunächst erfolglos beantragt hatten.
In Deutschland gibt es die Ehe für alle seit Oktober 2017, in Polen ist sie noch Zukunftsmusik.Bildrechte: picture alliance/dpa | Sven HoppeEs handelt sich also um eine kleine Gruppe, nicht um die generelle Eheöffnung. Dennoch schlagen Polens Konservative Alarm und malen den Teufel an die Wand. Manche befürchten gar einen "Heiratstourismus" polnischer Bürger nach Deutschland und in andere Länder, die dort heiraten werden, um eine Anerkennung ihrer gleichgeschlechtlichen Ehe über diesen Umweg zu erzwingen.
Setzt Polen das EuGH-Urteil um?
Dabei ist momentan noch unklar, wie die polnische Regierung mit dem Urteil umgehen wird, denn es gibt widersprüchliche Signale dazu. Der polnische Beauftragte für Bürgerrechte, Marcin Wiącek, sagte, das Urteil müsse umgesetzt werden. Die betroffenen Paare müssten eine polnische Heiratsurkunde ausgestellt bekommen. Er würde sogar noch weiter gehen und Kindern aus solchen Ehen, die in der ausländischen Geburtsurkunde zwei Mütter oder zwei Väter haben, eine entsprechende polnische Urkunde ausstellen – bislang lehnen die polnischen Standesämter das ab.
Ministerpräsident Tusk: Niemand könne Polen zu etwas zwingen.Bildrechte: picture alliance/dpa/PAP | Pawel SupernakGanz anders reagierte Ministerpräsident Donald Tusk. Er sagte, niemand könne Polen zu etwas zwingen, betonte aber gleichzeitig, dass Polen die europäische Rechtsprechung respektiere – auch in dieser Angelegenheit, wie er hinzufügte. Es handle sich allerdings um Ausnahmefälle, eine kleine Gruppe von Bürgern, die Ehen im Ausland geschlossen hätten. Ähnlich äußerte sich auch Justizminister Waldemar Żurek. Er sagte einerseits, dass die polnische Verfassung die Ehe zwischen Mann und Frau "aus gutem Grund" unter besonderen Schutz stelle, ergänzte aber andererseits, dass das kein Verbot von gleichgeschlechtlichen Ehen sei und dass man in der Regierung darüber sprechen werde, wie das EuGH-Urteil umgesetzt werden könne.
Widersprüchliche Aussagen sind Rhetorik
Wie soll man also die widersprüchlichen Aussagen deuten? Hier hilft ein Blick hinter die Kulissen. Denn das Urteil kam nicht aus heiterem Himmel, sondern wurde schon länger erwartet. Polens Gleichstellungsministerin Katarzyna Kotula (ihr Ressort wurde inzwischen abgeschafft), hatte schon im Sommer dazu einen Briefwechsel mit dem Innenminister – der sich offen dafür zeigte, die Standesämter anzuweisen, die gleichgeschlechtlichen Ehen aus dem Ausland zu registrieren und ihnen polnische Eheurkunden auszustellen.
All das spricht dafür, dass Polen das EuGH-Urteil umsetzen wird, aber ohne es medial an die große Glocke zu hängen. Die Regierung, die einen "Rechtsruck" in Teilen der polnischen Gesellschaft wahrnimmt, möchte verhindern, dass das Thema der nationalkonservativen PiS und der libertären, EU-kritischen Konföderation für politische Angriffe nutzen. Die kritischen Aussagen – niemand könne Polen zu etwas zwingen und die heterosexuelle Ehe stehe aus gutem Grund unter besonderem Schutz – sind wohl reine Rhetorik, die die politische "Mine" entschärfen soll. Das Urteil wird aber umgesetzt – auch weil alles andere den eher liberalen Wählern der regierenden Bürgerkoalition nicht zu vermitteln wäre. Welche Rechte die betroffenen Ehepaare aber konkret genießen werden, ist noch unklar – darüber ist sich die Regierung momentan noch nicht im Klaren und vielleicht wird auch das von Gerichten geklärt werden müssen.
Gleichheitsparade in Warschau: Den progressiven Wählern der regierenden Bürgerkoalition wäre eine Nichtumsetzung des EuGH-Urteils schwer zu vermitteln.Bildrechte: IMAGO / EastnewsPräsident Nawrocki kann nicht bremsen
Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch die Position von Präsident Karol Nawrocki, der reihenweise Vetos gegen Gesetze der Regierung einlegt. In dieser Angelegenheit hat er aber aller Voraussicht nach nichts zu sagen. Da es nicht um die generelle Einführung der "Ehe für alle geht", sondern nur um die Registrierung ausländischer Ehen durch polnische Standesämter, ist kein neues Gesetz nötig – diese Fragen werden durch eine Verordnung des Innenministers geregelt, und gegen Verordnungen ist kein Veto möglich.
Allerdings sind noch praktische Schwierigkeiten zu regeln. Das IT-System der Standesämter muss umprogrammiert werden, denn momentan gibt es da noch die Eingabemasken für "Ehemann" und "Ehefrau" – die Eingabe von zwei Männern oder zwei Frauen erzeugt eine Fehlermeldung und wird vom System abgelehnt. Auch die amtlichen Muster der Heiratsurkunden auf Papier müssten entsprechend überarbeitet werden und auf die geschlechtsneutrale Bezeichnung "Ehegatten" umgestellt werden.
Wird es einen Heiratstourismus geben?
Der von konservativen Politikern befürchtete massenhafte Heiratstourismus von Lesben und Schwulen aus Polen in andere EU-Länder ist allerdings kaum zu erwarten. Der bürokratische Aufwand für eine solche Eheschließung ist relativ hoch. Zudem ist unklar, ob Ehen von polnischen Bürgern, die nur zum Heiraten ins Ausland gegangen sind, ohne dort dauerhaft gelebt zu haben, anerkannt werden – das EuGH-Urteil bezog sich auf ein Paar, das tatsächlich in Deutschland gelebt hat und erst nach einiger Zeit nach Polen zurückging.
Gleichzeitig arbeitet das polnische Parlament an einer Art Zivilvertrag für Paare – auch heterosexuelle Paare, die nicht "voll" heiraten, bestimmte praktische Dinge aber eheähnlich regeln wollen. Der Vertrag wird beim Notar geschlossen, der Familienstand bleibt "ledig", die Paare können danach aber gemeinsame Steuererklärungen abgeben, im Todesfall erben oder im Krankheitsfall unbürokratisch Auskunft über den Zustand des Partners bekommen. Dabei treten diese Rechtsfolgen aber nicht alle automatisch ein, vielmehr soll das Paar beim Notar festlegen, welche der vom Gesetz zugebilligten Rechte es in Anspruch nehmen will und welche nicht – eine Art Baukastensystem.
Ministerpräsident Tusk (rechts) und Staatspräsident Nawrocki bekämpfen sich, wo sie nur können. Die Einführung des geplanten Zivilvertrags für gleichgeschlechtliche Paare könnte Nawrocki aber akzeptireren – jedenfalls hat er das im Wahlkampf gesagt.Bildrechte: IMAGO / newspixAuch wenn dies keine echte Ehegleichheit darstellt, wären die meisten praktischen Probleme für gleichgeschlechtliche Paare damit geregelt – eine kostspielige Auslandsreise, um vollwertig zu heiraten würden dann wohl die wenigsten unternehmen. Das Gesetz soll dem Vernehmen nach noch in diesem Jahr im Parlament eingebracht werden. Und möglicherweise wird sogar Präsident Nawrocki zustimmen – schließlich hat er im Wahlkampf versprochen, er werde sich einer rechtlichen Regelung für gleichgeschlechtliche Beziehungen nicht gänzlich versperren. Doch was verspricht man nicht alles, um gewählt zu werden!
MDR (baz)
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