Inhalt des Artikels:
- Die Ausnahme: Schatzjäger und Archäologen als Team
- Indiana Jones lässt grüßen
- Ein grundlegender Konflikt
- Wie die Schatzjäger in den Medien verklärt werden
- Staat stellt sich auf die Seite der Schatzsucher
- Angst vor großflächigen Plünderungen
- Gemeinschaftsarchäologie – eine Lösung?
Ein kühler Frühlingstag. Konrad Wilk streift mit einem Metalldetektor durch die Wälder nordwestlich von Kalisz. Ein Piepsen im Kopfhörer lässt sein Herz höherschlagen: Hier könnte etwas Spannendes unter der Erde liegen. Ein Blick auf den Monitor der Sonde lässt auf Silber schließen. Und in der Tat: Wenige Spatenstiche später hält Wilk eine daumengroße Silbermünze in der Hand – einen Denar des römischen Kaisers Vespasian (69–79 n. Chr.), wie ein bekannter Archäologe später bestätigt.
Wilk (36) ist Chef der "Explorationsgruppe Kalisz". Seit ihrer Gründung 2021 haben die zwölf Mitglieder schon viele Funde gemacht, darunter auch sehr spektakuläre wie eine 6.000-7.000 Jahre alte Spitzhacke aus dem Jungneolithikum oder eine etwas "jüngere" Fibel aus der späten Bronzezeit (etwa 3.000 Jahre alt), von neuzeitlichen Relikten wie Münzen oder Waffen aus dem Zweiten Weltkrieg ganz zu schweigen.
Mitglieder des Vereins "Explorationsgruppe Kalisz" ("Kaliska Grupa Eksploracyjna") mit MetalldetektorenBildrechte: Kaliska Grupa EksploracyjnaDie Ausnahme: Schatzjäger und Archäologen als Team
Bei Hobby-Schatzjägern, die sich selbst lieber Detektoristen, Exploratoren oder Sondengänger nennen, verursacht ein solcher Fund Euphorie. "Serotonin, Dopamin, Adrenalin – alles schießt uns in den Kopf", erzählt Wilk. Dabei geht es nicht immer um den materiellen Wert, sondern um den Kontakt mit der Geschichte. Doch was bei Sondengängern für Gänsehaut sorgt, macht Archäologen Bauchschmerzen. Denn nicht alle Schatzsucher gehen die Sache mit so viel Feingefühl wie Wilk und seine Mitstreiter an. Wilks Truppe besorgt sich die nötigen Genehmigungen und arbeitet mit Fachleuten zusammen. "Wir haben befreundete Archäologen, die uns beraten. Vor einem Jahr haben wir beispielsweise eine Grabstätte entdeckt, und der Archäologe sagte, dass wir sie auf keinen Fall anfassen sollten. Wir haben sie nach seinen Anweisungen gesichert. In Zukunft sollen dort professionelle Grabungen stattfinden, und die Urne wird nach allen Regeln der Kunst geborgen", erzählt Wilk dem MDR.
Konrad Wilk, Vorsitzender des Vereins "Explorationsgruppe Kalisz" ("Kaliska Grupa Eksploracyjna"), mit einem FundstückBildrechte: Kaliska Grupa EksploracyjnaIndiana Jones lässt grüßen
Ein Großteil der Szene agiert aber außerhalb wissenschaftlicher Standards – und nicht selten auch außerhalb des Gesetzes. Nur wenige Schatzsucher interessieren sich ernsthaft für Archäologie, kaum einer schreibt dazu wissenschaftliche Aufsätze. Für die überwiegende Mehrheit zählt das Abenteuer – der Nervenkitzel bei der Suche nach historischen Gegenständen, wobei es sich oft um Kleinfunde wie Knöpfe oder Schnallen handelt. Manche buddeln sogar unverfroren an archäologischen Stätten und Gedenkorten wie ehemalige KZs herum. Die Funde landen in privaten Sammlungen oder werden verkauft – nur ein Bruchteil gelangt in die Hände von Konservatoren und Museologen.
Dabei sind es nicht bloß ein paar Freaks, die da durch die Wälder streifen. Die Behörden gehen von mindestens 35.000 Hobby-Schatzsuchern aus. Sie selbst geben ihre Zahl mit 250.000 an – es gibt nämlich einen Interessenverband: die Polnische Exploratorenvereinigung. Sie organisiert Schulungen und betreibt im Internet ein Ratgeberportal mit dem Namen "Wochenend-Schatzsucher".
Kriegsauszeichnung aus dem Ersten Weltkrieg, gefunden von der "Explorationsgruppe Kalisz".Bildrechte: Kaliska Grupa EksploracyjnaEin grundlegender Konflikt
Der Konflikt zwischen Schatzsuchern und Archäologen resultiert aus ihrer jeweils unterschiedlichen Herangehensweise. Schatzsucher wollen einen historischen Gegenstand schnellstmöglich aus der Erde holen. Archäologen wollen dagegen den Kontext dazu dokumentieren: Wo genau lag der Gegenstand? Was wurde sonst noch in der Nähe gefunden? Nur so kann man den Gegenstand korrekt interpretieren und das Wissen über frühere Epochen erweitern. "An so einem Fundort liegen nicht nur Metallgegenstände, sondern oft auch Keramik, organisches Material, Textilien. Aus diesem Kontext können Archäologen viel mehr Informationen gewinnen, als wenn sie nur den bloßen Gegenstand erhalten", sagt Wilk. Wird das Artefakt von Laien geborgen, geht der Kontext meist unwiederbringlich verloren.
Außerdem sind Profiarchäologen keineswegs darauf erpicht, alles schnellstmöglich aus der Erde zu holen. Sie glauben, dass die historischen Artefakte am besten dort aufgehoben sind, wo sie Jahrhunderte überdauert haben: im Boden und im Wasser. Sind sie erst einmal freilegt, beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit, da der Kontakt mit Luft den Verfallsprozess rapide beschleunigt – die Fundstücke müssen aufwendig konserviert werden. Großflächige Ausgrabungen sind deshalb nur dann zwingend notwendig, wenn die Fundstätte durch ein Bauvorhaben gefährdet ist.
Deutsche Münzen aus dem "Dritten Reich", gefunden von der "Explorationsgruppe Kalisz".Bildrechte: Kaliska Grupa EksploracyjnaWie die Schatzjäger in den Medien verklärt werden
Schatzsucher sehen das anders. Sie betrachten sich als Retter des Kulturerbes, das ihrer Meinung nach in der Erde verrottet, und werfen Archäologen vor, zu wenig zu graben. Öffentlichkeit und Politik stellen sich in diesem Streit oft auf die Seite der Schatzsucher, die als polnische Vettern von Indiana Jones erscheinen – romantisch, abenteuerlustig, harmlos. Dazu trägt deren mediale Verklärung bei, schreibt der Archäologe Marcin Michalski in seiner Doktorarbeit über die Schatzsucherszene. In polnischen Fernsehserien wie "Jäger der Geschichte(n)", in der Exploratoren ehemalige Schlachtfelder absuchen, oder "Mission Schatz" vermischen sich demnach die Rollen des Forschers und des Schatzjägers. "In den Medien und der Popkultur verschwimmt die Grenze zwischen Wissenschaft und Abenteuer", so Michalski.
Auch Konrad Wilk ist der Hype aufgefallen: "Das ist seit einiger Zeit sehr in. Es gibt viele YouTuber, die gehen eine Woche lang auf die Suche, schneiden die Funde aus dieser ganzen Woche in einem kurzen Video zusammen, die Leute sehen das und denken, wenn er so viel findet, dann will ich das auch." Dabei sehe die Realität anders aus. Auch wenn es manchmal Glückssträhnen mit vielen Funden hintereinander gebe, endeten viele Expeditionen erfolglos, berichtet Wilk. Vielen Neulingen geht nach seinen Beobachtungen die Geduld aus, sie steigen wieder aus.
Piotr Koper, Bauunternehmer und Schatzsucher, geht mit einem Metalldetektor durch einen Wald. Der Unternehmer ist maßgeblich für die Suche nach einem verborgenen Tunnelsystem und dem sogennanten "Goldzug" aus der NS-Zeit in der Stadt Waldenburg in Polen verantwortlich.Bildrechte: picture alliance/dpa | Gregor FischerStaat stellt sich auf die Seite der Schatzsucher
Der Staat hat auf die Schatzjäger-Mode reagiert – aber nicht mit Einschränkungen, sondern mit einer Liberalisierung. Im Juli 2023 wurde ein Gesetz beschlossen, das die Schatzsuche für Amateure deutlich erleichtern soll. Künftig sollen Detektoristen keine Genehmigung mehr benötigen – es genügt, sich über eine App zu registrieren und die Erlaubnis des Grundstückseigentümers einzuholen. Nur in besonderen Schutzgebieten, an archäologischen Grabungsstätten, die in der App ausgewiesen sind, ist die Suche tabu.
Fachleute schlagen Alarm: Die App könnte unehrlichen Schatzjägern die Grabungsstätten mit potenziell wertvollen Funden verraten, die Archäologen momentan oft aus Angst vor Plünderern geheim halten – schließlich könne man unmöglich an jedem solchen Ort einen Polizeiposten aufstellen. Außerdem sei die App nicht einsatzbereit und die Denkmalpflege technisch wie finanziell überfordert – woher solle etwa das Geld für die vorgesehenen Finderprämien kommen? Der Start der neuen Regelung wurde wegen der Kritik auf 2027 verschoben – aber nicht abgesagt.
Spitzhacke aus dem Jungneolithikum, etwa 6.000-7.000 Jahre alt, gefunden von der "Explorationsgruppe Kalisz"Bildrechte: Kaliska Grupa EksploracyjnaAngst vor großflächigen Plünderungen
Auch der Schatzsucher Wilk sieht sie kritisch: "Leider ist die Mentalität der Polen so, dass viele die Funde nicht melden würden. Es gäbe eine Plage von Schatzsuchern und die Grabungsstätten wären gefährdet." Plünderer könnten ihrem Handwerk, das sie bisher im Schutze der Dunkelheit ausgeübt hätten, scheinbar legal nachgehen. Er plädiert deshalb dafür, beim bisherigen Verfahren zu bleiben: "Die Genehmigung zu beantragen ist kein großer Aufwand. Wer halbwegs helle im Kopf ist, schafft das."
Gemeinschaftsarchäologie – eine Lösung?
Dass sich professionelle Archäologen und Hobby-Schatzsucher nicht zwingend misstrauisch gegenüberstehen müssen, zeigt Michalski in seiner Doktorarbeit. Er bricht darin eine Lanze für das das Modell Gemeinschaftsarchäologie. Dabei werden Detektoristen gezielt und unter Anleitung von Fachleuten in Ausgrabungen eingebunden. Als Beispiel nennt Michalski die jahrelangen Untersuchungen des Schlachtfelds von Tannenberg, wo Polen-Litauen 1410 den Deutschen Orden vernichtend schlug. Allein bei den ersten acht Auflagen der gemeinsamen Exploration bis 2022 wurden dort über 500 historische Gegenstände entdeckt.
Auch Konrad Wilk beobachtet eine Annäherung: "Es gibt Archäologen, die uns zu schätzen beginnen, uns nicht mehr für Grabschänder, Räuber und Verbrecher halten." Sie luden Detektoristen zu Ausgrabungen ein, weil sie selbst keine Metalldetektoren besäßen, berichtet Wilk. Der Verein helfe dann ehrenamtlich mit: "Es ist ein großartiges Gefühl, eine echte Ausgrabungsstätte zu betreten." Für Wilk und Michalski ist klar: Der Dialog zwischen Detektoristen und Archäologen muss weitergehen, auf Augenhöhe und mit Respekt: Weniger Gräben – mehr gemeinsame Grabungen.
MDR (baz)
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke