Inhalt des Artikels:
- Sirenen heulen – zur falschen Zeit
- Warn-SMS – veraltet und unglaubwürdig
- Kein Schutz in Schutzräumen
- Zivilschutzwissen tendiert gen Null
- Zivilschutz-Wiederaufbau auf Jahre angelegt
In der Nacht zum 10. September 2025 haben 19 russische Drohnen den polnischen Luftraum verletzt – einige gelangten tief ins Landesinnere hinein. Es war nicht das erste Mal, doch nie zuvor waren es so viele Drohnen auf einmal. Polen setzte mehrere Kampfflugzeuge zur Bekämpfung ein, Nato-Partner halfen mit. Alles in allem bestand die Armee den Stresstest – ganz anders als der Zivilschutz.
Sirenen heulen – zur falschen Zeit
So heulte in der "Nacht der Drohnen" keine einzige Sirene. Auch bei einer weiteren Verletzung des polnischen Luftraums drei Tage später blieb ein Teil der Sirenen in den betroffenen Gebieten trotz ausdrücklicher Anweisung der Behörden stumm. Dort wo sie heulten, wusste die Bevölkerung damit nichts anzufangen.
Dazu trug die Tatsache bei, dass die etwa 15.000 Sirenen in Polen oft bei Feuerwehreinsätzen, Übungen und Jubiläumsfeierlichkeiten aktiviert werden – in der Hauptstadt etwa alljährlich am 1. August zum Jahrestag des Ausbruchs des Warschauer Aufstands 1944. Entsprechend waren die Menschen unsicher, ob es sich um eine reale Bedrohung handelte. Einige erschraken, andere ignorierten die Warnung. Selbst der langjährige Ex-Verteidigungs- und Innenminister von der PiS-Partei, Mariusz Błaszczak, "glänzte" in einer Talkshow mit Unwissen – er wusste nicht, wie sich die Sirenensignale am Anfang und am Ende eines Luftangriffs unterscheiden.
Warn-SMS – veraltet und unglaubwürdig
Auch SMS-Warnungen vom Regierungszentrum für Sicherheit, bekannt als RCB-Alarm, blieben in der "Nacht der Drohnen" aus. Sie wurden erst tagsüber verschickt, als die feindlichen Flugobjekte längst über den Köpfen der Bürger hinweggeflogen waren und Armeeexperten sich daran machten, die Überreste der Drohnen zu bergen. Viele SMS kamen dann noch mit erheblicher Verzögerung an.
Auch hier trug die Zweckentfremdung des Systems in der Vergangenheit dazu bei, dass viele Bürger die Warnungen ignorierten. So verschickte die PiS-Regierung 2023 massenhafte RCB-Meldungen im Vorfeld der Parlamentswahl und zuvor während der Migrationskrise an der polnisch-belarussischen Grenze. Die Tusk-Regierung nutzte das System bei der Einführung der Kontrollen an den Grenzen zu Deutschland oder zum Versand von Informationen für ukrainische Flüchtlinge. Immer wieder kam es zudem vor, dass Unwetterwarnungen zu großflächig verschickt wurden und auch dort ankamen, wo keinerlei Gefahr drohte.

Kein Schutz in Schutzräumen
Doch selbst wenn eine Warnung erfolgt und ernst genommen wird, gibt es nicht genügend Schutzräume für die Bevölkerung. Seit Ausbruch des Ukrainekrieges ist in Polen kein einziger neuer Schutzraum entstanden. Anfang 2024 ergab eine Kontrolle des Obersten Rechnungshofes, dass nicht einmal vier Prozent der Bürger im Ernstfall in einem Schutzraum (hermetisch abgeriegelt) oder einem sogenannten Versteck (nicht hermetisch, geringerer Schutz) Platz finden würden.
Die derzeit vorhandenen Bauwerke stammen zudem größtenteils noch aus dem Kalten Krieg und sind technisch veraltet. Unter den stichprobenartig vom Rechnungshof überprüften Schutzräumen und Verstecken waren lediglich zwölf bzw. elf Prozent sehr gut in Schuss – 68 bzw. 53 Prozent erhielten die Note unbefriedigend. Außerdem sind deren Standorte der Bevölkerung kaum bekannt – nur 16 Prozent der Bürger wussten genau oder zumindest ungefähr, wo sich der nächste Schutzraum in ihrer Gegend befindet.

Zivilschutzwissen tendiert gen Null
Ein weiteres Problem: Die Menschen können mit Alarm nicht viel anfangen. Der Oberste Rechnungshof enthüllte 2024 nämlich auch, dass Zivilschutzschulungen in Polen praktisch nicht vorhanden sind. Entsprechend wissen die meisten Bürger nicht, wie sie sich bei Alarm oder Evakuierung verhalten sollen. Es fehlten klare, allgemein zugängliche Anweisungen, ob in Form von Broschüren, Apps oder Informationskampagnen. Öffentliche Übungen und Brandschutzschulungen, z. B. in Schulen, am Arbeitsplatz und in Wohnsiedlungen, wurden sträflich vernachlässigt.
In den ersten drei Jahren nach Beginn des Ukrainekrieges fehlte dafür sogar die gesetzliche Grundlage. 2022 ließ die PiS-Partei bei der Reform des Verteidigungsgesetzes nämlich den bis dahin darin enthaltenen Zivilschutz außen vor mit dem Ziel, ein eigenstädiges Gesetz dazu zu verabschieden – was bis zur Wahl jedoch nicht mehr gelang. Erst die Tusk-Regierung hat ein Zivilschutzgesetz durchs Parlament gebracht, das seit Anfang 2025 in Kraft ist. Demnach sollen mindestens 0,3 Prozent des Bruttoinlandproduktsjährlich in den Zivilschutz investiert werden – 2025 sind das fast 17 Milliarden Złoty.
Zivilschutz-Wiederaufbau auf Jahre angelegt
Und zu tun gibt es in Polen Einiges. Als erstes ist ein "Sicherheitsleitfaden" zum Verhalten in Krisensituationen erschienen – vorerst nur als Download im Internet verfügbar, doch noch bis Ende des Jahres sollen 14 Millionen Exemplare gedruckt und an alle Haushalte des Landes verschickt werden. Flankiert wird diese Maßnahme durch Informationskampagnen in den Medien.
Außerdem sieht das neue Zivilschutzgesetz vor, Schutzräume für mindestens 50 Prozent der Bevölkerung zu schaffen. Um dieses ambitionierte Ziel zu erreichen, müssten allerdings Keller in Kirchen, Schulen, Behörden und Wohnblocks zu Schutzräumen umgebaut werden.
Die Kommunen beklagen aber, dass es keine Durchführungsbestimmungen zum neuesten Gesetz gibt. Die erste Verordnung vom Februar schreibt lediglich eine Bestandsaufnahme von Objekten vor, die früher Schutzfunktionen hatten oder künftig haben könnten. Die meisten Gemeinden sind gerade erst bei ihrer Erfassung. Außerdem versuchen sie, die dringendsten Ausrüstungsgegenstände für den Ernstfall wie Zelte, Notbetten und Wasseraufbereitungsanlagen zu bestellen. Ein funktionierender Zivilschutz ist in Polen also noch Zukunftsmusik.
Verletzungen des polnischen Luftraums (Auswahl)
- 15.11.2022 – Raketeneinschlag Przewodów, zwei Tote, später als ukrainisch identifiziert
- 29.04.2023 – Marschflugkörper-ähnliches Objekt nahe Bydgoszcz gefunden
- 06.03.2024 – Russisches Flugobjekt (vermutlich Drohne) bei Tyszowce
- 10.09.2025 – 19 russische Drohnen im Luftraum, polnische und NATO-Jets steigen auf
MDR (baz)
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