Zwei Tage lang stimmen die Tschechen über ein neues Parlament ab. Umfragen sagen einen Sieg der populistischen ANO-Bewegung des Agro-Milliardärs Babis voraus. Das könnte Folgen nicht nur für die EU haben.

In Hradec Králové zeigt sich klar, warum Andrej Babis trotz aller Skandale so populär bleibt. Bei einem der letzten Wahlkampfauftritte des 71-Jährigen ist es kalt und nass, doch der Ex-Premier steht geduldig auf dem Marktplatz, bis er auch den allerletzten Autogrammwunsch erfüllt. Vor allem Rentner drängen sich um ihn. Die tschechischen Bürger sollten wieder an erster Stelle stehen, verspricht Babis. Höhere Pension, weniger Unterstützung für die Ukraine - bei seinem Publikum trifft das einen Nerv.

Im Hintergrund ragen aufblasbare Dinosaurier aus einem benachbarten "Dino-Park" über die Bühne. Ein passender Zufall: Auch Babis ist längst ein Dinosaurier der tschechischen Politik - er war bereits von 2017 bis 2021 Premierminister, davor Finanzminister, und nun setzt er auf ein Comeback.

Danko Handrick, ARD Prag, über die Parlamentswahl in Tschechien

tagesschau24, 03.10.2025 14:00 Uhr

Weniger für Verteidigung, weniger für die Ukraine

Bisher galt Tschechien als einer der aktivsten Unterstützer der Ukraine. Pro Kopf hat das Land die meisten Geflüchteten aus dem Land aufgenommen, viele von ihnen arbeiten längst und zahlen Steuern. Prag schickte Kampfhubschrauber und Soldaten nach Polen, reagierte sofort auf russische Drohnenangriffe und half der Ukraine früh mit schweren Waffen.

Mit der tschechischen Munitionsinitiative leistete die Regierung von Premier Petr Fiala einen wichtigen Beitrag zur Ausrüstung der ukrainischen Armee. Doch damit dürfte es bald vorbei sein: Babis wirbt mit "Czechia First" - er will die Initiative stoppen, weniger Geld in Verteidigung stecken und die Milliarden im Inland nutzen. Auch das NATO-Beitragsziel von fünf Prozent der Wirtschaftsleistung stellt er infrage.

Wahlkampf in einer gespaltenen Gesellschaft

Die tschechische Gesellschaft ist gespalten. Ein großer Teil fühlt sich überfordert von den internationalen Krisen, will eine Konzentration auf die eigenen Probleme. Der Vizevorsitzende von Babis' ANO-Partei, Karel Havlicek, gibt ihnen eine Stimme: "Wir haben derzeit mit die höchsten Energiepreise in Europa", kritisiert er; die gegenwärtige Regierung nutze den Krieg, um von diesen Problemen abzulenken.

Andere fürchten, dass das Land mit einem Rückzug auf sich selbst seinen Platz in EU und NATO gefährdet. Premier Fiala warnte in einer Wahlkampfdebatte vor einer "Regierung des nationalen Verrats", die das Land Richtung Osten treibe. Damit würde Tschechien seine Sicherheit und am Ende auch seinen Wohlstand verlieren.

Viele Tschechen verstehen die anstehende Abstimmung als Richtungswahl. Entsprechend aufgeheizt ist die Stimmung. Ein aufgebrachter Gegner von Babis verletzte den ANO-Spitzenkandidaten bei einem Wahlkampfauftritt mit einer Krücke am Kopf. Der Politiker unterbrach seine Tour für einen Tag, kehrte dann aber zurück. Alle Parteien verurteilten den Angriff - und machten gleichzeitig deutlich, wie sehr Babis die Gesellschaft polarisiert.

Das Comeback der Ränder

Vor vier Jahren hatte der Oligarch keine Partner gefunden. Mögliche Verbündete, Sozialdemokraten und Kommunisten, scheiterten an der Fünf-Prozent-Hürde. Um einen Premier Babis zu verhindern, schlossen sich damals fünf bürgerliche Parteien zusammen, von konservativ bis liberal, und brachten Fiala ins Amt.

Außen- und sicherheitspolitisch genoss dessen Regierung zuletzt international hohes Ansehen. Im Land selbst bleibt die Bilanz in der Innenpolitik jedoch schwach.

Babis' Chancen stehen diesmal besser. Vor allem, weil sich am linken wie rechten Rand neue Bündnisse gebildet haben: auf der einen Seite Kommunisten gemeinsam mit Sozialdemokraten und pro-russischen Desinformationsparteien; auf der anderen Seite ein rechtsextremer, nationalistischer Block. Beide könnten ANO im Parlament zur Mehrheit verhelfen und Druck machen, dass Referenden über den EU- und NATO-Verbleib abgehalten werden.

Auch ein Rasentrimmer gehört zu seinen Wahhlkampfinstrumenten: Der tschechische Rechtspopulist Okamura bedient sich damit beim argentinischen Präsidenten Milei.

Mit der Motorsense gegen Brüssel

Besonders schrill inszeniert sich Tomio Okamura, Chef der rechtspopulistischen SPD. Im Wahlkampf trat er mit Strohhut und laufender Motorsense auf die Bühne und "mähte" symbolisch die Schrecken der gegenwärtigen Ordnung nieder: Bürokratie, Staatsverschuldung, die Hilfe für die Ukraine - und schließlich die Europäische Union.

Es ist eine Kopie des argentinischen Präsidenten Javier Milei, der im Wahlkampf mit einer Kettensäge hantierte - nur in tschechischer Provinzversion. Im Netz sorgte das für Spott und Memes, doch Okamuras Parolen gegen Migration, Kriegsflüchtlinge und "Brüssel" treffen bei Teilen der Wählerschaft auf Resonanz.

Premier Fiala und seine Koalition SPOLU stehen derweil in den letzten Umfragen abgeschlagen um gut zehn Prozentpunkte hinter Spitzenreiter Babis. Seine Warnungen vor einfachen Antworten auf schwierige Fragen verhallen vielerorts.

Fialas politische Laufbahn dürfte sich dem Ende zuneigen, doch der Politologie-Dozent fürchtet eine ganz andere Zäsur: Zum ersten Mal seit November 1989 sei er ernsthaft besorgt, was mit Tschechien geschehen könne, wenn Populisten und Extremisten die Wahlen gewinnen, so Fiala.

 

Marianne Allweiss, ARD Prag, tagesschau, 01.10.2025 22:17 Uhr

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