Bei einem landesweiten Streik haben in Frankreich Hunderttausende ihre Empörung über die Sparpläne der Regierung zum Ausdruck gebracht. Argwohn schlug auch dem neuen Premier Lecornu entgegen.
Es riecht nach Demo. Oder vielmehr: Es duftet. Auf den improvisierten Straßengrills brutzeln die würzigen Merguez-Würstchen - wie immer, wenn Frankreich streikt und protestiert. Doch die Volksfeststimmung trügt: Wut und Empörung sind groß bei denen, die sich hier an der Place de la Bastille im Herzen von Paris versammelt haben.

Michael Strempel, ARD Paris, über Massenproteste und Herausforderungen für Frankreichs neue Regierung
tagesschau24, 18.09.2025 18:00 UhrWie zum Beispiel Anne, Alleinunternehmerin: "Wir müssen dieses System ändern. Es reicht mit diesen nebulösen Konzepten, die man uns immer wieder verkaufen will", sagt sie. "Die unsichtbare Hand des Marktes, der Wohlstand der Reichen, der am Ende alle wohlhabender macht. Stopp, das reicht! Wir wollen mehr Gerechtigkeit."
"Es ist doch empörend"
Auf Annes Pappschild trifft die unsichtbare Hand des Marktes die Menschen als Faust mitten ins Gesicht. "Es ist doch empörend, dass die dicksten Fische, die von der Infrastruktur des Landes profitieren, die Steuerflucht organisieren und nicht ihren Teil zum Zusammenleben beitragen", sagt sie.
Auch für Krankenschwester Eve von der Gewerkschaft CFDT geht es vor allem um soziale Gerechtigkeit. "Wir finden ja auch, dass die Schulden reduziert werden müssen. Aber die Sparpakete dürfen nicht immer dieselben treffen, nämlich die Arbeiter und Arbeiterinnen."
Viele können sich einen Streik nicht leisten
"Die Anstrengung muss gerecht geteilt werden", sagt sie. In Frankreich bekämen die Unternehmen viele Hilfen vom Staat, ohne dass die Gegenleistung überprüft würde. "Die Arbeitgeber teilen den Reichtum und Wert ihrer Unternehmen nicht. Obwohl wir doch den Wert des Unternehmens schaffen."
Viele Menschen in Frankreich können sich einen solchen Streiktag wegen des Lohnverlusts gar nicht leisten. Die, die gekommen sind, blicken mit Argwohn auf den neuen Premierminister Sébastien Lecornu: Lecornu sei ein "Macronist", und werde die Linien von Präsident Emmanuel Macron weiter durchziehen, ist Dominique überzeugt. Der Metallarbeiter hofft, dass der Streik dennoch etwas bewegen wird.
80.000 Polizisten im Einsatz
Der Nahverkehr im Großraum Paris jedenfalls ist stark beeinträchtigt. Die Lehrerverbände geben an, dass landesweit etwa 17 Prozent des Lehrpersonals streiken. An ein paar Dutzend Schulen und vereinzelt auch an Firmensitzen kam es zu Blockadeaktionen. Die Gewerkschaften hoffen auf bis zu 900.000 Demonstrierende.
Innenminister Bruno Retailleau warnte am Mittag: Über 80.000 Polizisten und Polizistinnen seien landesweit im Einsatz, auch Drohnen und gepanzerte Fahrzeuge, Wasserwerfer. "Ich hoffe natürlich, dass wir sie nicht einsetzen müssen. Aber besser man ist gut vorbereitet."
Bisher mehr als 180 Festnahmen
Gut vorbereitet ist auch Sofiane, der aus dem Umland von Paris an die Bastille gekommen ist. Komplett in Schwarz gekleidet, mit einem dicken Fahrradhelm am Rucksack. Dem jungen Mann fehlt ein Schneidezahn. Er glaube, heute gehe es noch zur Sache, sagt er mit einem Lächeln auf den Lippen.
"Halt Randale wie bei jeder Demo. Es gibt Radikale, weniger Radikale. Ich bin so in der Mitte", erklärt Sofiane. "Wenn ein Polizist einen Demonstranten verprügelt, werde ich da sein, um dem Betroffenen zu helfen. Selbst wenn ich es dann auch abkriege. Aber randalieren, das mache ich nicht."
Bislang wurden landesweit mehr als 180 Menschen vorübergehend festgenommen. Sechs Polizisten wurden verletzt. Die Sorge vor Ausschreitungen ist groß.
Julia Borutta, ARD Paris, tagesschau, 18.09.2025 17:00 UhrHaftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke