Der Gefangenenaustausch zwischen Russland und mehreren westlichen Ländern im August 2024 gilt als der grösste seit Ende des Kalten Krieges. 26 Personen kamen frei, darunter der Berliner Tiergartenmörder Wadim Krassikow. Moskau liess im Gegenzug unter anderem einen US-Journalisten, einen Marinesoldaten und einen in Belarus zum Tode verurteilten Deutschen laufen. Überraschenderweise wurden damals auch mehrere inhaftierte russische Regimekritiker in den Westen ausgeflogen. Darunter Oleg Orlow, der jetzt in Berlin seinen Kampf fortsetzt.
SRF News: Wissen Sie heute, warum Sie damals in den Westen ausgeschafft wurden?
Oleg Orlow: Ich weiss nicht, wer diese Gefangenenliste erstellt hat. Das ist immer noch geheim. Ich weiss aber, dass ich ursprünglich nicht auf dieser Liste stand. Natürlich bin ich dankbar, dass ich frei bin. Doch meine Mitstreiter sitzen weiterhin im Gefängnis, manche von ihnen schwer krank. Deshalb hätte ich meinem eigenen Austausch nicht zugestimmt. Aber mich hat niemand gefragt.
Damit Nawalny nicht auf diese Liste kommt, haben sie ihn umgebracht. Erst als er tot war, gab Putin grünes Licht für den Austausch.
Laut der Ehefrau von Kremlkritiker Alexej Nawalny wollte der Westen mit der Aktion eigentlich ihren Mann aus Russland herausholen. Doch dieser starb vier Monate zuvor in Lagerhaft. Was wissen Sie darüber?
Natürlich ging es eigentlich um den Oppositionsführer Alexej Nawalny. Putin war zwar an dem Austausch interessiert, weil er seinen Killer Krassikow zurückholen wollte, der wegen Mordes in Berlin im Gefängnis sass. Doch er wäre unter keinen Umständen bereit gewesen, Alexej Nawalny freizulassen. Dafür hasste ihn Putin zu sehr. Damit Nawalny nicht auf diese Liste kommt, haben sie ihn umgebracht. Erst als er tot war, gab Putin grünes Licht für den Austausch.

Sie dokumentieren russische Kriegsverbrechen in der Ukraine, helfen politischen Gefangenen in Russland. Haben Sie keine Angst?
Es ist egal, ob ich Angst habe oder nicht. Auf jeden Fall habe ich weniger Angst als in Russland, wo ich jeden Tag damit rechnen musste, dass meine Wohnungstür eingeschlagen wird und maskierte Bewaffnete hereinstürmen. Ich glaube nicht, dass mir das in Deutschland passieren kann. Es gibt zwar Drohungen. Putin und seine Geheimdienste lassen uns nicht unbeaufsichtigt. Alles ist möglich. Aber bis jetzt kann ich arbeiten.
Sie wenden sich mit Ihrer Arbeit auch an die Menschen in Russland, aber hört dort überhaupt jemand zu?
Die Frage ist, wer zuhört – und welche Kanäle wir in Russland haben. Neben unseren Internetressourcen gibt es auch die Kanäle der freien russischen Presse, die im Ausland weiterhin existiert. Meine Kollegen und ich sprechen viel auf diesen Plattformen und ich weiss, dass viele Menschen in Russland diese Kanäle auch hören. Aber das ist nicht so einfach, denn die Internetzugänge in Russland sind blockiert. Die meisten Menschen schalten deshalb einfach das Staatsfernsehen ein und das war's. Dort sehen sie nur Propaganda.
Es herrscht totaler Terror. Widerstand gibt es weiterhin, aber er ist nicht mehr so sichtbar wie in den ersten Kriegsjahren.
Von aussen scheint es, als gäbe es in Russland kaum noch Widerstand gegen das Putin-Regime. Wie sehen Sie das?
In Hitlers Deutschland, gab es da Widerstand? Ja, den gab es. War das ein Massenphänomen? Nein. Dafür war der Terror zu gross. Genauso ist es heute in Russland. Für einen einzigen Satz im Internet oder ein Gespräch auf der Strasse drohen viele Jahre Haft. Es herrscht totaler Terror. Widerstand gibt es weiterhin, aber er ist nicht mehr so sichtbar wie in den ersten Kriegsjahren. Natürlich gibt es Leute, die den Krieg unterstützen und davon profitieren. Eine sehr grosse Mehrheit ist aber für den Frieden. Die Menschen sind kriegsmüde.
Das Gespräch führte Zita Affentranger.
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