In ihrem ersten Anti-Heist-Movie lenkt US-Regisseurin Kelly Reichardt nun also alle Aufmerksamkeit auf einen Kunstdiebstahl. Der auch überraschend gleich am Anfang des Films gelingt und dann aus dem Ruder läuft. J.B. Mooney begeht ihn, sein Name ist schon mal treffend für einen Tagträumer mit verschlafenem Blick. Warum Mooney, der von Josh O'Connor gespielt wird, überhaupt das Geld braucht, bleibt jedoch rätselhaft. Klar, er ist ein Tischler ohne Job, aber von seinen reichen Eltern wird Mooney finanziell unterstützt. Seiner eigenen, noch jungen Familie geht es deshalb ganz gut.

Andere Gründe müssen hinter dem Diebstahl stecken. „Ein Mann muss sein eigenes Ding machen“, könnte einer sein. Davon ist jedenfalls Mooneys Vater Bill (Bill Camp) überzeugt. Er ist Richter, erzkonservativ und hält dem eigenen Sohn bei jeder Gelegenheit dessen Nichtsnutzigkeit vor. Mooneys Frau Terri (Alana Haim) wirkt opak und spricht kaum. Ist sie desillusioniert oder hegt sie eigene Pläne? Mooney jedenfalls tut, was Papa sagt, und macht sein Ding.

Im Film befinden wir uns in Framingham, Massachusetts, und auch dieser Name wirkt wie ein Witz aus einem Cartoon. Den Ort gibt es wirklich, aber das Kunstmuseum, in das eingebrochen wird, ist eine Erfindung der Regisseurin. In Wirklichkeit beherbergt das modernistische Backsteingebäude eine Bibliothek. Für die Innenaufnahmen wurde eigens ein temporäres Museum gebaut, einschließlich handgeschnitzter Figürchen und detailgetreuer Repliken von Werken Arthur Doves (den es ebenfalls wirklich gab). So realistisch und authentisch im 70er-Jahre-Look die grobkörnigen Bilder von Reichardts Stamm-Kameramann Christopher Blauvelt scheinen, so sehr ist das Ganze eine Fabel. Reichardt verblendet sie mit dem Zeitkolorit, das auch durch die Fernsehbilder entsteht, einem Grundrauschen aus Nachrichten über Anti-Vietnamkrieg-Kundgebungen und Reden von Präsident Nixon.

Zur atmosphärischen Aufladung setzt Reichardt erstmals ausschließlich auf einen coolen Jazz-Score von Rob Mazurek, mit elegischen Trompetenlinien und atemlosen Schlagzeugsoli. In langsamen Schwenks tastet die Kamera dabei die großzügige, klare Architektur des im Herbstlicht New Englands schimmernden Museums ab, als frage sie nach Möglichkeiten: Was wollte die Avantgarde eigentlich einmal? Waren städtebauliche und künstlerische Konzepte jener Ära mit einer Utopie verbunden?

Das ist der unsichtbare Rahmen, in den Reichardt ihren Antihelden J.B. stellt. Anfangs präsentiert sie O’Connors Edel-Ganovengesicht (ähnlich wie er es schon 2023 in Alice Rohrwachers Archäologie-Diebstahldrama „La Chimera“ kultivierte) demonstrativ selbst als Porträt, hält sekundenlang drauf, irgendwo zwischen Renaissance-Halbprofil und Fahndungsfoto, während seine beiden kleinen Söhne hyperaktiv durch die Räume huschen und seine stets seltsam unbeteiligte Frau Bilder betrachtet. Einmal hält Mooney seine Hand mit derselben Geste in die Luft wie ein Adeliger auf einem Jagd-Ölschinken hinter ihm: Während der ein erlegtes Federvieh an seiner Hand baumeln lässt – den kleinen Finger leicht abgespreizt – vom weißen Jagdhund beschnuppert, hält der künftige Kunstdieb sein Schlüsselbund in die Höhe und lässt es zum Test fallen. Der Wachmann, der über die Schätze der Allgemeinheit wachen soll, schläft fest.

Mooney wird in diesen Momenten selbst fast zum Gemälde, das Adelsmotiv kontrastierend und zugleich fortschreibend. Als Underdog ist er nämlich ein radikaler Individualist, der sich aus allen für ihn ohnehin unsicheren sozialen Allianzen lösen wird. Auf seine Komplizen ist kein Verlass, seine Frau ist fast stumm, und die alten Freunde, bei denen er Unterschlupf findet, möchten ihn schnell wieder loswerden und empfehlen ihm eine Kommune. Nichts für ihn. Einer wie er sucht die Gemeinschaft einer Demonstrierendengruppe nur auf, um sich nach einem letzten schäbigen Diebstahl darin zu verstecken.

Auch wenn Reichardt in Interviews oft betont, keine politischen Filme zu drehen, so seziert sie doch Verwerfungslinien der Gewalt und der Gleichgültigkeit. Mooneys Vater spottet darüber, warum abstrakte Gemälde „die Mühe wert“ sein sollen. Reichardt stellt mit ihrem Film die Frage nach dem Wert, den eine Gesellschaft Kunst beimisst, jenseits von Geschmack und Geld. Ob Mooney seine juristische Strafe erhalten wird, bleibt lange offen; doch seine ästhetische Strafe sind schlechte Chagall-Verschnitte mit Katze in einem billigen Hotel, in dem er abtaucht. Dort klaut er einen Anzug, weit und altmodisch geschnitten wie aus Filmen der Vierziger. Der Räuber avantgardistischer Bilder geht seiner eigenen Gegenwart verloren. Die Bilder rächen sich.

Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke