Die Theater haben sich in die Sommerpause verabschiedet und alles, was Rang und Namen hat, tummelt sich bei den Festivals von Avignon bis Salzburg. Es scheint ruhig und beschaulich, da macht plötzlich in Berlin eine überraschende Meldung die Runde: Das Berliner Ensemble steht vor dem Aus! 2028 soll das von Bertolt Brecht gegründete Theater das weltberühmte Haus am Schiffbauerdamm mit dem weithin sichtbaren Peter-Palitzsch-Signet auf dem Dach verlassen. Ist die Berliner Kulturpolitik nun völlig durchgedreht? An der Stadt liegt es in diesem Fall allerdings nicht. Worum geht es?

Dass solche dramatischen Schlagzeilen durchs Sommerloch fegen, liegt an der vertrackten Betriebssituation des Berliner Ensembles. Das Haus ist nämlich nicht, wie man denken könnte und wie bei anderen Hauptstadtbühnen der Fall, ein städtischer Betrieb, der eine städtischen Immobilie bespielt. Nach dem Ende der DDR wurde das weltberühmte Theater privatisiert – und mit öffentlichen Mitteln gefördert. Als Vorbild für diese sonderbare Konstruktion diente die West-Berliner Schaubühne, am Berliner Ensemble müssen die Intendanten das Stammkapital von 50.000 Euro stellen.

Die Stadt Berlin geriet durch diese spezielle Konstruktion eines öffentlich geförderten Privattheaters in die eigenartige Lage, dass man zwar fast 20 Millionen Euro pro Jahr in das Berliner Ensemble steckt, ohne jedoch offiziell die Rechtsaufsicht über das Haus zu haben. Das wollte 2023 der damalige Kultursenator Klaus Lederer (damals noch Linkspartei) ändern und machte den Vorstoß, das Berliner Ensemble in eine landeseigene gGmbH zu überführen. Doch ein Sachverhalt blieb davon gänzlich unberührt, der jetzt für Furore sorgt: der Besitz der Immobilie am Schiffbauerdamm.

Das Grundstück mit Haus gehört nämlich der Ilse-Holzapfel-Stiftung, die der Dramatiker Rolf Hochhuth („Der Stellvertreter“) in den 1990er-Jahren gründete. Und das Land Berlin mietet die Immobilie und untervermietet an das Berliner Ensemble (das gehört zur Förderung). Das sorgte schon zu Zeiten des jüngst verstorbenen Intendanten Claus Peymann fast jeden Sommer für legendäre Streitigkeiten zwischen Hochhuth, der Stiftung und dem Theater, die bereits vor 12 Jahren in einer spektakulären Kündigung gipfelten. Drastische Drohgebärden, die zum Geschäft gehörten: Man einigte sich, die Miete stieg – bis zur nächsten Verhandlungsrunde. Bei Beobachtern löste diese streng ritualisierte Eskalation bald nur noch befremdetes Kopfschütteln aus.

Es scheint, als würde die Holzapfel-Stiftung (benannt nach Hochhuths Mutter) nun die Tradition der öffentlichen ausgetragenen Vertragsverhandlungen mit maximalem Einsatz wiederbeleben. Mike Wündsch, Unternehmensberater und ehemaliger FDP-Politiker aus dem thüringischen Gotha, führt die Stiftung seit 2018 eher geräuschlos – bis jetzt. Nun lässt sich Wündsch zitieren, die neue Berliner Kultursenatorin Sarah Wedl-Wilson setze „den kulturpolitischen Kahlschlag gegen geschichtsträchtige und international renommierte Kultureinrichtungen ihres Vorgängers“ Joe Chialo fort. Harte Worte.

„Es ist aus meiner Sicht ein kulturpolitischer Skandal mit internationaler Auswirkung, dass die Heimstätte von Bertolt Brecht und Helene Weigel keine würdige Unterstützung durch die CDU geführte Landesregierung erfährt“, wird Wündsch in der Pressemitteilung der Stiftung weiter zitiert. Dabei geht es wohl weniger um das Erbe von Brecht als einen „für beide Seiten wirtschaftlich akzeptablen und rechtlich vertretbaren Pachtvertrag“, womit Wündsch in seiner Funktion sich vor allem darum sorgen dürfte, dass es für seine Seite akzeptabel ist, und somit sicherlich auch: profitabel. So weit, so nachvollziehbar.

„Sachlich unrichtig“

Man habe bereits ein Ingenieurbüro für Umplanung beauftragt, lässt die Stiftung mitteilen. Die Drohkulisse steht, der Zeitpunkt ist gut gewählt: Das Theater ist in der Sommerpause. Doch die Senatsverwaltung ist erreichbar. Auf Anfrage der WELT teilt Wedl-Wilson mit: „Die Behauptung der Ilse-Holzapfel-Stiftung ist sachlich unrichtig und in der Darstellung nicht korrekt.“ Das Land Berlin sei sehr interessiert, den Theaterstandort am Schiffbauerdamm weiterhin als Spielort für das Berliner Ensemble zu erhalten und strebe daher einen neuen, langfristigen Mietvertrag an, so Wedl-Wilson, die Verhandlungen laufen weiter. Das hört sich gar nicht nach Kahlschlagambitionen an.

Würde die Stiftung das Berliner Ensemble tatsächlich vor die Tür setzen? Das ist nicht sehr wahrscheinlich. Eine solche „Cash Cow“ schickt man nicht zur Notschlachtung, aber man kann ihr damit drohen, zudem in Berlin aufgrund der Kürzungen sowieso – trotz gegenteiliger, ernstzunehmender Beteuerungen aus der Senatsverwaltung – das Gespenst der Theaterschließungen umgeht. Wie in der Weltpolitik bei den Zollverhandlungen folgen drastischen Ankündigungen oft weit weniger drastische Deals. Das dürfte in Berlin nicht anders sein. Was bleibt? Etwas Aufregung im Sommerloch.

Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke