Eigentlich hielt man ihn allgemein für einen Latino, teils wegen seines Aussehens, teils wegen seines trotzigen Temperaments. In Wirklichkeit war Marlon Brando (1924 bis 2004) deutscher Abstammung, die Familie hieß wohl Brandauer. Er hasste seine Familie. Daher wahrscheinlich auch sein Misstrauen gegen alle, die ihn lieben wollten. Er begrüßt uns – irgendwann vor vielen Jahrzehnten – im Wohnungseingang, zu Besuch bei einem Freund in Paris: „Ich erlaube Ihnen eine einzige Frage, mehr nicht.“
Neben mir eine junge und schöne britische Journalistin, Davina, die für eine Frauenzeitschrift arbeitet. Ich habe sie erst kürzlich in London kennengelernt. Und ihr jetzt mein Tonbandgerät angeboten, denn ich weiß, wie sehr Prominente es hassen, wenn dauernd gekritzelt wird.
„Mister Brando, Sie haben gleich mit einer Ihrer ersten Rollen, dem Stanley in ‚Endstation Sehnsucht‘, einen weltweiten Erfolg verbucht. Was fehlt Ihnen jetzt noch zum Glück?“ – „Warum meinen Sie, dass mir etwas fehlt?“ – „Ich weiß nicht … Vielleicht Ihre Haltung, Ihr Gesichtsausdruck …“ – „Nun ja, es stimmt, ich habe alles, was man zum Glücklichsein braucht: Geld, Liebe, Sex, Ansehen … Und wissen Sie, welches meine Lieblingsrolle war? Die als Krüppel in dem Film ‚Die Männer‘, wo ich einen hoffnungslosen Kriegsverletzten zu spielen hatte. Vielleicht konnte ich da mehr bei mir selbst sein als sonst. Komisch, nicht?“
Davina (ungeduldig): „Mister Brando, könnten wir vielleicht etwas über Ihre vielen Liebesaffären erfahren?“ Brando lacht: „Ich erlaube keinem, mich zu lieben, verstanden? – „Und warum nicht?“ – „Weil das einer Frau unwürdig ist, auf mich hereinzufallen.“ Davina: „Es waren aber sehr viele. Ich denke an Marilyn Monroe oder Marlene Dietrich.“ Brando: „Warum soll ich mein Privatleben preisgeben? Weil Sie ein hübsches Gesicht haben? Weil dieser Herr hier einen Spionagekasten („Spy box“) mit sich führt?“
Davina (blättert verzweifelt in ihren Notizen): „Mister Brando, wie vergleichen Sie sich mit solchen Verführern wie Clark Gable oder Errol Flynn? Brando: „Ich spiele nicht, ich bin. Ich hole alles aus mir selber heraus. Ich improvisiere, wer ich bin. Wissen Sie, dass ich einmal für Charlie Chaplin gearbeitet habe? Für diese ‚Gräfin von Hong Kong‘ oder wie es hieß. Ich vergötterte diesen Mann, aber er machte mich fertig. Jeder Gag musste ein Dutzend Mal geprobt werden, bevor er ihn drehte. So kann ich nicht arbeiten. Ich hab’ mich mit ihm gestritten, meinem Heiligen, meinem Gott. Man muss sich mit seinen Göttern streiten, sonst wird man nie einer.“
Davina: „Sie halten sich also für einen Gott?“ – „Gott-Krüppel, Gott-Scherbe. Und jetzt machen wir Schluss, Schluss! Für welches Blatt arbeiten Sie eigentlich, Miss?“ – „‚Woman’s own‘, in London.“ Brando: „Der Besitz der Frau, gut, gut. Auch ich bin ein Besitz der Frau. Und gleichzeitig ihr Besitzer. So will es die Natur.“
Davina: „Lieben Sie im Grunde Frauen mehr als Männer?“ – „Miss, ich dachte, wir hätten uns auf eine einzige Frage geeinigt.“ Er fummelt an der Tür. Sie kracht zu. Davina (jammernd): „Ich habe keine Story! Ich habe keine Story!“ Troller (packt sein Gerät ein): „Toller Typ. Bloß nicht meiner. Dieses Animalische passt nicht zu mir. Dazu habe ich wahrscheinlich nicht genug Selbstverachtung.“ Davina: „Was geht mich das an? Mir liegt er. Aber wie komme ich jetzt zu einer Story?“ (Sie schluchzt. Als Trost habe ich sie nachher geheiratet.)
Georg Stefan Troller, 1921 in Wien in eine jüdische Familie geboren, lebt in Paris. Zu seinen wichtigsten Werken gehören rund 1500 Interviews, darunter legendäre Fernsehformate wie das „Pariser Journal“ und die „Personenbeschreibung“. Für die „Literarische Welt“ schreibt Troller monatlich eine Kolumne, in der er von seinen Begegnungen mit Berühmtheiten des 20. Jahrhunderts berichtet.
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke