Sie sangen vom kalifornischen Traum und ihre Stimmen hallten bis in den ostdeutschen Plattenbau. Mit dem Tod von Brian Wilson verschwindet ein Stück Wärme, das selbst durch Linoleumböden drang. Die Promi-Kolumne in dieser Woche mit einem Nachruf auf einen musikalischen Helden.
"Surfin' U.S.A." zwischen Bratensoße und Teppichklopfen: So klangen Sonntage in einem ostdeutschen Plattenbau, weit weg vom kalifornischen Strand, aber nah am Herzen. Tagsüber lief "Bonanza", nachts heimlich "Eis am Stiel". Es war diese Zeit, diese verheißungsvolle Mischung aus ewigem Sommer und der Sehnsucht nach etwas, von dem man noch gar nicht wusste, was das überhaupt sein sollte. Kindheit. Und mittendrin: die Beach Boys.
Mein Vater war großer Rock'n'Roll-Fan und hatte einen feinen Musikgeschmack. Und wenn er am Wochenende gut gelaunt war, schallten aus dem Kassettenrecorder Songs wie "California Girls". Ich lag dann oft auf dem Linoleumboden, Arme unter dem Kopf, und neben dem Brummen des Kühlschranks lauschte ich der Stimme von Brian Wilson. Und dann kam "Barbara Ann" und mein Fuß fing an zu wippen, das Herz sowieso. Die Welt war plötzlich größer und auch etwas heller.
Jetzt ist Brian Wilson mit 82 Jahren gestorben. Und mit ihm ist auch ein Stück Musikgeschichte eingeschlafen. Ohne Pathos. Wie ein Akkord, der ausklingt, wenn der letzte Ton längst verklungen ist. Wilson war nicht nur der Mitbegründer der Beach Boys, er war ihr Kern, ihr kaputtes Genie, ihr stiller Revolutionär.
Ein Klanggedicht für Menschen mit Herz
Brian Wilson war einer dieser Typen, die man nicht einfach googeln kann, um sie zu begreifen. Seine Musik muss man hören, oder besser, man muss sie fühlen. Er war kein Rockstar im klassischen Sinne. Er war das Gegenteil von Cool. Ein Mann, der lieber am Mischpult saß, während die anderen am Strand Gitarre spielten. Einer, der das Rauschen des Meeres in Melodien übersetzen konnte, lange bevor man wusste, was ein Synthesizer ist. Er war besessen von Klängen und Harmonien, besessen von Perfektion.
"Pet Sounds" ist nicht einfach ein Album, es ist pure Poesie. 1966 erschien es, fast unter Ausschluss der eigenen Band, die meisten Beach Boys wollten lieber weiter Hits wie "Fun, Fun, Fun" machen. Während seine Band-Kollegen auf Tour waren, tüftelte er monatelang im Studio, engagierte Jazzmusiker, ließ Fahrradhupen aufnehmen und Hundegebell. Alles analog, alles in mono. Heraus kam ein Album, das heute als eines der einflussreichsten Werke der Popgeschichte gilt. Paul McCartney sagte später, ohne "Pet Sounds" hätte es "Sgt. Pepper" nie gegeben. Brian Wilson war da gerade einmal 23 Jahre alt! Und Brian selbst? Ein Mann, den die Musik rettete und zugleich zerstörte. Psychische Probleme, Drogen, Dämonen, Rückzüge. Der Mann war mehrmals weg. Aber doch nie ganz.
Melancholie, die tröstet
Was mich an seinem Tod so berührt, ist vielleicht nicht nur das Ende eines Musikers, sondern das Verstummen einer bestimmten Art von Lebensgefühl. Brian Wilson stand nicht einfach auf Bühnen. Er saß, meistens allein, in irgendeinem Studio, umgeben von Kabeln, inneren Stimmen, Schatten, Licht und Zweifeln. Während andere Sonnenbrillen trugen und sich im Ruhm sonnten, komponierte er Melodien, die klangen, als kämen sie von einem anderen Ort. Vielleicht von einem besseren.
Er verstand das Rauschen der Wellen besser als das Treiben am Strand. Er war kein Mann der Massen, aber seine Musik war für alle da. Er litt an Halluzinationen, Stimmen, Ängsten, er war immer ein bisschen woanders, und trotzdem, oder gerade deshalb, schrieb er "God Only Knows". Seine Stimme hatte etwas Kindliches, das nicht naiv war. Und eine Melancholie, die nicht bedrückt, sondern tröstet.
Vielleicht ist genau das sein Vermächtnis, dass wir wieder lernen, wirklich hinzuhören. Brian Wilson hat uns gezeigt, dass Musik nicht laut sein muss, um groß zu sein. Dass ein Akkord genügen kann, um alles zu sagen. Vielleicht war er wirklich ein Relikt. Ein Beweis dafür, dass jemand, der sich in dieser Welt manchmal verloren hat, anderen helfen konnte, sich in ihr wiederzufinden.
Also danke, Brian. Für die Lieder. Für die Sehnsucht. Für die Wärme zwischen den Tönen. Und für dieses merkwürdige Gefühl, das man bekommt, wenn man "Wouldn't It Be Nice" hört, und plötzlich wieder ein Kind ist. Vielleicht hast du nie ganz hierher gepasst. Aber du hast diese Welt ein bisschen heller gemacht.
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