Mit 71 Jahren wird für Ministerpräsident Haseloff der Ruhestand ausgerufen. Das ist die heutige Botschaft der CDU Sachsen-Anhalt. Die Partei setzt mit dem 46-jährigen Sven Schulze auf einen Neustart. Ein politisches Wagnis.
Die mittlerweile berühmte Pilgerroute nach Wittenberg hatte offenbar keinen Erfolg: Über Monate hielt sich im politischen Magdeburg das Gerücht, Landtagsabgeordnete der CDU hätten Ministerpräsident Reiner Haseloff auf Knien gebeten, noch einmal anzutreten. Viele der 40 Abgeordneten der Fraktion verdanken ihr Mandat nur ihm.
37 Prozent räumte der Spitzenkandidat 2021 ab. Sein Versprechen damals: Ihn wählen und damit die AfD verhindern. Fünf Jahre später ist der Gegner Haseloffs stark wie nie. AfD-Herausforderer Ulrich Siegmund hat eine realistische Chance auf den Hausschlüssel für Magdeburgs Staatskanzlei - und die CDU setzt nun alles auf eine neue Karte: Wirtschaftsminister Sven Schulze.
Wer ist Sven Schulze?
Der Mann aus dem Harz wurde 1979 in Quedlinburg geboren. Der studierte Wirtschaftsingenieur war schon mit 19 Jahren politisch aktiv: Gemeinderat, Kreistag, Landesvorsitz der Jungen Union, Europaabgeordneter, erster CDU-Generalsekretär, Landesvorsitzender und nun Hausherr des Megaministeriums für Wirtschaft, Landwirtschaft, Tourismus und Forsten.
Drei Kinder, verheiratet: Alle Zeichen stehen auf solide Karriere in der CDU. Es fehlt jedoch an den Ecken und Kanten. Schulze kann keine großen Erfolge, aber auch keine Misserfolge vorweisen. 74 Prozent der Delegierten stimmten zuletzt für seine Wiederwahl als Landesvorsitzender. Kein schlechtes, aber auch kein überragendes Ergebnis.
Die Partei und insbesondere die Landtagsfraktion waren zuletzt durch viel Unruhe geprägt. Über Wochen trieb die Fraktion Bildungsministerin Eva Feußner vor sich her. Sven Schulze sprach am Ende ein Machtwort, heißt es. Feußner musste gehen. Die Fraktion hatte sich gegen den Ministerpräsidenten durchgesetzt.
Ein schlechtes Signal?
In der Partei raunte es, der Rauswurf sei ein schlechtes Signal 14 Monate vor der Landtagswahl. Aber: Der neue Minister macht zunächst seinen Job offenbar besser als seine Vorgängerin. Ein Achtungserfolg für Schulze.
Als Wirtschaftsminister kann er wenig Erfolge, aber auch wenige Fehler vorweisen: Die Ansiedlung Intels in Magdeburg wäre ein Punkt gewesen, bei dem die gesamte Landesregierung hätte glänzen können. Das Projekt wurde jedoch von Schulze weg zur Chefsache erklärt - inklusive des Abzugs eines seiner Staatssekretäre.
Hier stand Schulze im Schatten von Haseloff, muss sich nun aber auch nicht gefallen lassen, für das Platzen des Projekts verantwortlich zu sein. Dafür wird Schulze nun dafür sorgen müssen, dass der Hightech-Park doch noch mit Leben gefüllt wird.
Auf der Habenseite steht die Ansiedlung von Daimler Truck in Halberstadt, seinem Heimatwahlkreis: Vom Bauantrag bis zur Einweihung in drei Jahren - für Sachsen-Anhalt-Verhältnisse ein vorbildliches Projekt.
Die ungleichen Gegner
Schulze soll nun beenden, was Haseloff angekündigt hatte: die AfD zurückdrängen. Der Kampf mit seinem politischen Gegner läuft für Schulze jedoch auf unbekanntem Terrain. Siegmund ist ein TikTok-Star: mehr als 550.000 Follower, zehn Millionen Likes, Clips mit mehr als einer Million Aufrufen.
Sven Schulze ist nur auf Instagram und dort mit mageren 4.500 Followern. Seine Landespartei kommt nicht einmal auf 4.000 Follower, auf TikTok ist nur die Landtagsfraktion mit 145 Followern aktiv.
Die Reichweite von Siegmund zeigt sich sogar bei Außenterminen des Landtages. Während der Parlamentarische Untersuchungsausschuss nach dem Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt den Tatort besichtigt, fahren Fans des AfD-Kandidaten hupend mit einem schnellen Lob aus dem fahrenden Auto vorbei. Diese Bekanntheit muss sich Sven Schulze erst erarbeiten.
Auch rhetorisch wirkt Siegmund im Vergleich zu Schulze geschliffener, glatter: wie der Schwiegersohn, den sich jede Mutter wünscht. Schulzes Auftreten im Landtag hingegen wirkt hemdsärmlig und weniger geschliffen. Hier muss der Quedlinburger aufholen.
Ein Ende mit Ansage
Dass Haseloff jetzt den Staffelstab weitergibt, ist das Ende einer Ära. Seit 2011 steht er an der Spitze des Landes. Mit 14 Jahren Amtszeit ist er dienstältester Ministerpräsident Deutschlands - und in Sachsen-Anhalt für viele das personifizierte Bollwerk gegen die AfD.
Seine Rede im Landtag kurz vor der Sommerpause hallt nach: "Wenn ich mir Ihre Personen hier vorstelle, dass diese hier sitzen und dieses Land regieren sollen, […] dann kann ich nur sagen: Das ist ein Grund für mich, darüber nachzudenken, ob ich in diesem Land weiter meine Heimat sehe." Es war Haseloffs letzter großer Satz - eine politische Grenzziehung, eine Kampfansage.
Unbekanntes Terrain für die CDU
Die Landkarte nach der Landtagswahl 2021 war tiefschwarz. Mit 37 Prozent gingen fast alle Wahlkreise der Direktkandidaten an die CDU, nur Zeitz war in der Hand der AfD.
Schon zur Europawahl 2024 war das Bild ein anderes: Die AfD dominierte. Mit 30,5 Prozent lag sie in allen Wahlkreisen vorn.
Während 2021 Haseloff als Spitzenkandidat Einfluss auf den Wahlkampf hatte, lag die Verantwortung für den Kommunal- und Europawahlkampf 2024 beim Landesvorsitzenden Sven Schulze.
Dieser muss nun als Spitzenkandidat zeigen, dass er einen modernen Wahlkampf mit Themen führen kann, die der polarisierenden AfD und unter Umständen einer ebenso polarisierenden Linken und dem Bündnis Sahra Wagenknecht etwas entgegensetzen können.
Die Landtagswahl wird 2026 nicht mehr am Laternenmast, sondern in Telegram-Gruppen und auf TikTok entschieden. Noch hat die CDU hier keine Antworten.
Die Schwäche der anderen
Zusätzlich zahlt negativ in die Kasse der Landes-CDU ein, dass sie über Jahre ihre politischen Wegbegleiter zerrieben hat. Erst die Grünen, jetzt die FDP: Wer mit der CDU eine Koalition eingeht, versinkt Stück für Stück in der Bedeutungslosigkeit.
Das spürt am härtesten die ehemalige Volkspartei SPD: Von 21 Prozent im Jahr 2011 auf 8,4 Prozent im Jahr 2021 abgerutscht stellt sie zwar mit Wissenschaftsminister Armin Willingmann einen Spitzenkandidaten mit dem Anspruch, Ministerpräsident zu werden, jedoch sind die Aussichten mager. Wäre das Europawahlergebnis der Maßstab, wäre die SPD zwar als einzige Partei neben CDU und AfD noch im Landtag, aber mit 8,7 Prozent am Rande der Bedeutungslosigkeit.
Für Schulzes CDU würde es somit schwer werden, überhaupt eine Regierung zu stellen, wollte man sich nicht von einer wieder erstarkten Linken oder einer möglicherweise knapp unterlegenen AfD tolerieren lassen. Beides hatte die Bundes- wie die Landespartei zuletzt strikt abgelehnt. Bisherige Partner wie FDP und Grüne sehen aktuelle Umfragen jedoch nicht einmal mehr im Landtag.
In der CDU heißt es dennoch: Ein Ergebnis von mehr als 30 Prozent sei das Ziel. Dafür muss Schulze liefern. Und zwar nicht erst im nächsten Jahr. Sondern ab jetzt.

Nach Rückzug: Statement von Reiner Haseloff, Ministerpräsident Sachsen-Anhalt
tagesschau24, 07.08.2025 15:00 UhrHaftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke