"Nichts schönzureden": Drei Tage nach dem denkwürdigen Scheitern der Richterwahl hat sich Unionsfraktionschef Spahn erstmals zu seiner Mitverantwortung geäußert. Aber nicht alles daran dürfte der SPD gefallen.
CDU/CSU-Fraktionschef Jens Spahn hat erstmals öffentlich eingeräumt, dass auch er einen Anteil an der missglückten Richterwahl für das Bundesverfassungsgericht habe. In einem Brief an die Unionsfraktion schrieb er, dass die positive Bilanz der Koalition dadurch "überschattet wurde, ärgert mich sehr". Der Brief liegt mehreren Medien vor.
"Die Dimension der grundlegenden und inhaltlich fundierten Bedenken gegen eine der Kandidatinnen haben wir unterschätzt", gestand Spahn ein. "Die Notbremse am Freitag kam zu spät." Zu dem Zeitpunkt sei man nicht mehr in der Lage gewesen, einen Kompromiss mit der SPD zu finden.
Weil eine Zweidrittelmehrheit für die von der SPD vorgeschlagene Staatsrechtlerin Frauke Brosius-Gersdorf unsicher war, waren alle drei Richterwahlen am Freitag abgesagt worden. Der Druck gegen Brosius-Gersdorf war in der Union zu groß geworden. Die Fraktionsführung um Spahn konnte die mit dem Koalitionspartner SPD verabredete Unterstützung nicht mehr garantieren. "Der letzte Freitag war für die Koalition ein schwerer Tag. Da gibt es nichts schönzureden", räumte Spahn ein. "Auch wenn eine vertagte Richterwahl sicher keine Staatskrise ist."
Spahn sieht keine Dringlichkeit
Spahn schrieb weiter, es bestehe keine Eile, eine Lösung zu finden, weil das Verfassungsgericht voll arbeitsfähig sei. Ähnlich hatte sich am Sonntag Kanzler Friedrich Merz (CDU) im ARD-Sommerinterview geäußert.
"Ich bin überzeugt, dass wir gemeinsam mit der SPD eine Lösung finden werden", sagte Spahn. Details nannte er nicht. Spahn verwies auf die Klausurtagung der geschäftsführenden Vorstände von CDU/CSU und SPD Ende August. Man werde über den Sommer über die Zusammenarbeit in der Fraktion und zwischen den Koalitionsfraktionen beraten.
Am Sonntag hatte Merz die Ereignisse als "undramatisch" bezeichnet. Dies sei "alles kein Beinbruch" gewesen. Auf die Frage, ob Spahn noch der richtige Mann als Fraktionschef sei, sagte er: "Eindeutig ja."
"Nicht gut gewappnet"
Spahn schrieb, Union und SPD hätten einen Anteil daran gehabt, dass man am Freitag keine Lösung mehr habe finden können. Die Koalitionsfraktionen seien "nicht gut gewappnet" gewesen gegen eine von außen kommende Emotionalisierung und Polarisierung.
Spahn bedauerte, dass dabei der Eindruck entstanden sei, ein Plagiatsverdacht sei die zentrale Kritik an der Kandidatin gewesen. Man dürfe nicht zulassen, dass die Meinung von Unionspolitikern zum Thema Abtreibung als "rechts oder gar rechtsextrem diffamiert" werde. Etliche Unionspolitiker hatten ihren Widerstand gegen Brosius-Gersdorf mit deren Haltung zum Schwangerschaftsabbruch begründet.
Bleibt Brosius-Gersdorf bei Kandidatur?
Brosius-Gersdorf wird allerdings laut übereinstimmenden Medienberichten nicht auf ihre Kandidatur verzichten. Sie will demnach am Dienstag eine entsprechende Erklärung abgeben.
Auch SPD-Fraktionschef Matthias Miersch hatte zuvor betont, dass die SPD an der Kandidatin festhalten werde. "Ich erwarte, dass die Mehrheit steht", sagte er Richtung Spahn und Unionsfraktion.
Er beklagte eine "Schmutzkampagne" gegen die Juristin. Ihre Stellungnahmen, etwa zu Schwangerschaftsabbrüchen, seien völlig verkürzt dargestellt worden, sagte er der Süddeutschen Zeitung. "Auch die maßgeblichen Entscheidungsträger von CDU und CSU haben zunächst ja keinerlei Kritik geäußert - das fing erst an, als über das Netz aufs Übelste polarisiert wurde."
"Ein Vertrauensverlust"
Auch SPD-Fraktionsgeschäftsführer Dirk Wiese sagte: "Wenn wir eine Zusage bekommen, dass Richterinnen-Vorschläge für das Bundesverfassungsgericht eine Mehrheit bekommen und dann am Ende letztendlich Jens Spahn zurückrudern muss, dann ist das schon in gewisser Weise ein Vertrauensverlust." Wenn man das zu Ende denke, dann würden Abstimmungsergebnisse tatsächlich schwer vorhersagbar, ergänzte er im Podcast des Portals Politico
Allerdings gibt es in der Union weiter Widerstand gegen die Juristin. "Wenn ich in der Lage von Frauke Brosius-Gersdorf wäre, würde ich mir die Frage stellen, ob ich meine Kandidatur aufrechterhalte", sagte der CDU-Abgeordnete Tilman Kuban dem Tagesspiegel. "Es liegt auch in ihrer Verantwortung, weiteren Schaden vom Bundesverfassungsgericht abzuwenden."
Kuban attestierte der SPD "Uneinsichtigkeit und Kompromisslosigkeit."
Sondersitzung des Bundestags?
Die SPD schloss auch eine Sondersitzung des Bundestags in der Sommerpause nicht aus. Regulär kommt der Bundestag am 10. September wieder zusammen. SPD-Fraktionsvize Sonja Eichwede sagte im ARD-Morgenmagazin, nötig sei aber zunächst eine Einigung mit der Union, um "klare Verhältnisse" zu schaffen. Die SPD hatte vorgeschlagen, dass Brosius-Gersdorf in der Unionsfraktion Rede und Antwort stehen sollte.
Sonja Eichwede, SPD, zum Koalitionsstreit um die Richterkandidatin der SPD
Morgenmagazin, 14.07.2025 07:00 UhrGrüne: "Frage des Respekts"
Die Grünen bekräftigten ihre Forderung nach einer Sondersitzung. Diese müsse "zeitnah" erfolgen, sagte die Ko-Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann der Rheinischen Post. "Das ist eine Frage des Respekts gegenüber den vorgeschlagenen Kandidatinnen und Kandidaten und eine Frage des Respekts gegenüber dem Bundesverfassungsgericht." Man wolle keine Hängepartie über den ganzen Sommer.
Steinmeier sieht Koalition "beschädigt"
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte am Sonntag im ZDF kritisiert, es sei "keine Kleinigkeit", um die es in dieser Sache gehe. Er drängte darauf, rasch eine Entscheidung über die Verfassungsrichter zu treffen. Schon jetzt habe sich die schwarz-rote Koalition "selbst beschädigt".
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke