Alles "kein Beinbruch" und schon gar keine Krise: Kanzler Merz sieht nach der geplatzten Richterwahl keinen Zeitdruck, doch die SPD ist nachhaltig empört. Im Fokus: Unionsfraktionschef Spahn.

Der Bundestag ist in den Parlamentsferien - und die schwarz-rote Koalition steckt in ihrer ersten tiefen Krise. Die geplatzte Richterwahl am Freitag wirkt nach - und ist längst nicht ausgestanden. Auch wenn Kanzler Friedrich Merz die Geschehnisse am liebsten als "undramatisch" wegmoderieren würde und im ARD-Sommerinterview keine Krise seiner Regierung erkennen wollte. Das sei am Freitag nicht schön gewesen, aber Krise? Nein. "Alles kein Beinbruch."

Es geht um Vertrauen und Verlässlichkeit

Doch die SPD ist nachhaltig sauer und pocht auf Zusagen der Unionsfraktion. Dem kleinen Koalitionspartner geht es hier auch um Verlässlichkeit und vertrauensvolle Zusammenarbeit. Welchen Wert haben Vereinbarungen mit der Unionsführung um Kanzler Merz und insbesondere Fraktionschef Jens Spahn, wenn diese nicht eingehalten werden? Zur Jobbeschreibung eines Fraktionsvorsitzenden gehört es, Mehrheiten zu organisieren, eventuellen Unmut in den eigenen Reihen frühzeitig zu erkennen und die Kritiker einzubinden.

Ausgerechnet Spahn, dem bisher ein Gespür für konservative Reflexe in der Union nachgesagt wurde, hat den Widerstand in der Union gegen die SPD-Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf unterschätzt. 

SPD sieht "Autoritätsproblem"

Die SPD diagnostizierte ein "Autoritätsproblem" und zeigte sich nachhaltig empört: "Wenn wir eine Zusage bekommen, dass Richterinnen-Vorschläge für das Bundesverfassungsgericht eine Mehrheit bekommen und dann am Ende letztendlich Jens Spahn zurückrudern muss, dann ist das schon in gewisser Weise ein Vertrauensverlust", sagt Fraktionsgeschäftsführer Dirk Wiese im Podcast des Portals Politico. Wenn man das zu Ende denke, dann würden Abstimmungsergebnisse tatsächlich schwer vorhersagbar.

Die schwarz-rote Koalition hat nur eine knappe Mehrheit im Bundestag. Umso wichtiger ist, dass die Regierungsfraktionen möglichst geeint auftreten und abstimmen.

Wie angezählt ist Spahn?

Unionsfraktionschef Spahn hat sich bislang nicht öffentlich zur geplatzten Richterwahl am Freitag geäußert. Nach der Richterwahl sprang ihm auch zunächst kaum jemand zur Seite - anders als etwa in der Maskenaffäre. Am Sonntagabend stellte sich dann aber Kanzler und Parteichef Merz klar hinter hin. Auf die Frage, ob Spahn noch der richtige Mann als Fraktionschef sei, sagte er: "Eindeutig ja." Das dürfte Spahn seinen Posten zunächst sichern.

Spahns Amtskollege von der SPD macht weiter Druck. Matthias Miersch sprach von einer "Schmutzkampagne" gegen Brosius-Gersdorf. Dabei seien ihre Stellungnahmen, etwa zu Schwangerschaftsabbrüchen, völlig verkürzt dargestellt worden, so Miersch in der Süddeutschen Zeitung. "Auch die maßgeblichen Entscheidungsträger von CDU und CSU haben zunächst ja keinerlei Kritik geäußert - das fing erst an, als über das Netz aufs Übelste polarisiert wurde."

Miersch machte klar, dass die SPD an der Kandidatin festhalten werde. "Ich erwarte, dass die Mehrheit steht", sagte er Richtung Spahn und die Unionsfraktion.

Sondersitzung des Bundestags?

Die SPD schloss auch eine Sondersitzung des Bundestags in der Sommerpause nicht aus. Regulär kommt der Bundestag am 10. September wieder zusammen.

"Ich glaube, man darf nichts ausschließen", sagte SPD-Fraktionsvize Sonja Eichwede zu einer möglichen Sondersitzung in der Sommerpause. Nötig sei aber zunächst eine Einigung mit der Union, um "klare Verhältnisse" zu schaffen, sagte sie im ARD-Morgenmagazin. Die SPD hatte vorgeschlagen, dass die Juristin Brosius-Gersdorf in der Unionsfraktion Rede und Antwort stehen sollte. Die Kandidatin hat sich bisher nicht geäußert.

Sonja Eichwede, SPD, zum Koalitionsstreit um die Richterkandidatin der SPD

Morgenmagazin, 14.07.2025 07:00 Uhr

Die Grünen bekräftigten ihre Forderung nach einer Sondersitzung. Diese müsse "zeitnah" erfolgen, sagte die Ko-Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann der Rheinischen Post. "Das ist eine Frage des Respekts gegenüber den vorgeschlagenen Kandidatinnen und Kandidaten und eine Frage des Respekts gegenüber dem Bundesverfassungsgericht." Man wolle keine Hängepartie über den ganzen Sommer.

"Nicht heute oder morgen"

Von Zeitdruck wollte Kanzler Merz im ARD-Sommerinterview aber nichts wissen. Man werde mit der SPD nun in Ruhe darüber sprechen, wie man bei den Richterwahlen für das Verfassungsgericht weiter vorgehen werde. "Das müssen wir nicht heute oder morgen entscheiden."

Ob es der Union wirklich gelingt, das Ganze erstmal laufen zu lassen, damit alle "etwas runterkommen", wie es Parlamentsgeschäftsführer Steffen Bilger (CDU) ausdrückte, ist jedoch fraglich. Zumal es in der Union weiter Widerstand gegen die SPD-Kandidatin gibt. "Wenn ich in der Lage von Frauke Brosius-Gersdorf wäre, würde ich mir die Frage stellen, ob ich meine Kandidatur aufrechterhalte", sagte der CDU-Abgeordnete Tilman Kuban dem Tagesspiegel. "Es liegt auch in ihrer Verantwortung, weiteren Schaden vom Bundesverfassungsgericht abzuwenden." Kuban attestierte der SPD "Uneinsichtigkeit und Kompromisslosigkeit."

Steinmeier sieht Koalition "beschädigt"

Der Koalitionsstreit erinnert in seiner Schärfe an Zeiten aus der Ampelkoalition. Das besorgt offenbar auch den Bundespräsidenten. Es sei "keine Kleinigkeit", um die es gehe, sagte Frank-Walter Steinmeier am Sonntag im ZDF. Er drängte darauf, rasch eine Entscheidung über die Verfassungsrichter zu treffen. Schon jetzt habe sich die schwarz-rote Koalition "selbst beschädigt".

Angelegenheit "entdramatisieren"

Immerhin reden sie offenbar miteinander. Kanzler Merz und Finanzminister Lars Klingbeil (SPD) hätten "sehr ausführlich" zu einer Reihe von Themen telefoniert, teilte Regierungssprecher Stefan Kornelius mit. Der Bundesregierung stehe es gut an, die Angelegenheit "etwas zu entdramatisieren". Teil einer konstruktiven Lösung sei es, dass sie nicht immer öffentlich angebahnt werde. Er zeigte sich zuversichtlich, "dass die zuständigen Ebenen, in diesem Fall die Fraktionen, sich dieser Sache nun annehmen werden."

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