Inhalt des Artikels:
- Protest statt Weihnachtsstimmung
- Kaiserbrücke vs. Tannenberg-Brücke
- Deutsche Spuren im Stadtbild von Breslau
- Unterschiedliche Visionen der polnischen Identität
- Wer prägt die regionale Erinnerungskultur?
Protest statt Weihnachtsstimmung
Eigentlich befindet sich der Breslauer Marktplatz schon im Weihnachtsmodus: Neben dem prachtvollen mittelalterlichen Rathaus ragt ein 24 Meter hoher Christbaum in den Himmel, umgeben von zahlreichen Weihnachtsmarktständen. Doch einen Tag vor der Eröffnung des Weihnachtsmarkts ist die Stimmung alles andere als festlich. Etwa 20 Menschen mit polnischen Flaggen, überwiegend Rentner, liefern sich Ende November Wortgefechte mit Vertretern der Stadtverwaltung. Mit prominenter Unterstützung in der Person von Robert Bąkiewicz. Der landesweit bekannte Nationalist, Gründer des berüchtigten jährlichen Unabhängigkeitsmarsches in Warschau, gilt neuerdings als enger Verbündeter von Jarosław Kaczyński und seiner rechtskonservativen PiS-Partei. Die kleine, aber lautstarke Gruppe protestiert gegen die vermeintliche "Re-Germanisierung" ihrer Stadt, die bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges zu Deutschland gehörte.
Kaiserbrücke vs. Tannenberg-Brücke
Stein des Anstoßes ist die bekannteste und symbolträchtigste Brücke von Breslau. Heute heißt sie "Most Grunwaldzki", zu Deutsch "Tannenberg-Brücke". Der Name erinnert an eine Sternstunde der polnischen Geschichte: den polnischen Sieg über den Deutschen Ritterorden in der Schlacht bei Tannenberg 1410. Gebaut wurde die Brücke aber im 19. Jahrhundert, im damals noch deutschen Breslau, unter dem Namen Kaiserbrücke. Diese Bezeichnung war an einem Pylonen eingemeißelt und soll nach der geplanten Sanierung dort wieder auftauchen. Für konservative Polen ist das inakzeptabel. Sie haben über 1.200 Unterschriften dagegen gesammelt.
Historische Ansicht der Kaiserbrücke in Breslau – der Schriftzug mit ihrem deutschen Namen soll bei der anstehenden Sanierung wiederhergestellt werden.Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK"Die Brücke wurde zu Ehren des deutschen Kaisers und Königs von Preußen, Wilhelms II., so benannt. Wie man weiß, war Polen damals zwischen Russland, Österreich und Preußen aufgeteilt, und Preußen betrieb in seinem Teil einen polenfeindlichen Kulturkampf. Damit war der Name Ausdruck einer imperialen deutschen Politik", erläutert Łukasz Kasztelowicz, Vorsitzender der PiS-Fraktion im Stadtrat, im Gespräch mit dem MDR.
Deutsche Spuren im Stadtbild von Breslau
Michał Guz von der Pressestelle der Stadt findet die Aufregung dagegen übertrieben. Niemand wolle den amtlichen Namen der Brücke ändern, argumentiert er gegenüber dem MDR. Sie solle nur auf Wunsch der Denkmalschutzbehörde ihr historisches Aussehen wiederbekommen – und dazu gehöre auch der deutsche Schriftzug. Eine Umbenennung auf Stadtplänen steht laut Guz nicht zur Debatte.
Er verweist auf andere deutsche Auf- und Inschriften im Straßenbild, die bei früheren Sanierungen erneuert wurden und über die sich niemand aufrege: "Breslau war über Jahrhunderte stark von deutscher Kultur geprägt und deshalb sind hier sehr viele deutsche Schriftzüge vorhanden. Deutsche Inschriften lassen sich draußen auch an Stellen finden, die wir täglich passieren, ohne ihnen Beachtung zu schenken."
Deutsche Schriftzüge sind in Breslau an vielen Orten anzutreffen – zum Beispiel an dieser Unterführung am Breslauer Hauptbahnhof.Bildrechte: Dawid SmolorzDie Gegner der "Umbenennung", die laut Stadtverwaltung keine ist, lassen das nicht gelten. Der rechte Aktivist Bąkiewicz spricht während der Demo vor dem Rathaus von einer "schleichenden Germanisierung" der Stadt. "Vor dem Krieg hieß die heutige Mickiewicz-Straße Adolf-Hitler-Straße. Wollen wir diesen Namen etwa auch wieder einführen?", fragt er polemisch.
Bei dem Vergleich platzt einem Stadtvertreter der Kragen: "Was laberst du für einen Mist, Mann?!", rutscht es Tomasz Sikora von der Pressestelle heraus. Daraufhin artet das Wortgefecht in Geschrei aus. "Mir platzt echt der Kragen. So ein Trottel wie dieser Bąkiewicz aus Warschau wird uns doch nicht belehren, was es heißt, ein echter Pole zu sein", erklärte Sikora im Nachgang seine Wut.
Unterschiedliche Visionen der polnischen Identität
Damit trifft er des Pudels Kern, denn bei dem Streit geht es um die Identität der heutigen Einwohner von Breslau. Zwei Einstellungen prallen hier aufeinander. Aus Sicht der einen gibt es im Straßenbild einer polnischen Stadt keinen Platz für deutsche Spuren. Viele andere akzeptieren aber die deutsche Vergangenheit Breslaus und betrachten sie als Teil ihrer regionalen Identität. Sie verwahren sich dagegen, dass Politiker das Thema zur Profilierung missbrauchen und sich dazu noch Schützenhilfe aus Warschau holen.
So sprach Kacper Rosner-Leszczyński von der Uni Breslau von einer Art "Diktat" aus Warschau. Dabei wird dem Historiker zufolge eine zentralistische Geschichtsperspektive auf die regionale Ebene übertragen. Diese "Zentralgeschichtsschreibung" werde immer noch als die einzig wahre angesehen, weil sie die Vergangenheit Polens aus der Perspektive von Warschau erzähle. In diesem Rahmen gebe es keinen Platz zum Nachdenken über die Geschichte unterschiedlicher Heimatregionen.
Dabei definierten Menschen aus Zentralpolen und aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten, die seit 1945 polnisch sind, ihre Identität unterschiedlich, meint der Historiker. Letztere interessieren sich laut Rosner-Leszczyński vielfach dafür, wer in ihrem Haus vor dem Krieg gewohnt hat und was mit den deutschen Bewohnern danach passiert ist. Dieses Interesse sei für Menschen aus Zentralpolen nicht nachvollziehbar – daraus könne man ihnen keinen Vorwurf machen. Doch sie hätten nicht das Recht anderen vorzuschreiben, wie das historische Gedächtnis der Region auszusehen habe.
Im polnischen Breslau streitet man derzeit um die Wiederherstellung des Schriftzugs "Kaiserbrücke" auf der bekanntresten und symbolträchtigsten Brücke der Stadt – dabei geht es auch um ein unterschiedliches Verständnis der polnischen Identität.Bildrechte: IMAGO / ZoonarWer prägt die regionale Erinnerungskultur?
"Entscheidungen über das lokale Gedächtnis sollten in erster Linie auf kommunaler Ebene im Dialog mit den Einwohnern getroffen werden und nicht unter dem Diktat von auswärtigen Akteuren, die weder den Kontext noch die Befindlichkeiten der Region kennen", schreibt Rosner-Leszczyński in einem Kommentar für das Regionalblatt "Gazeta Wrocławska".
Der Streit um die Breslauer Kaiser- beziehungsweise Tannenberg-Brücke zeigt eindrücklich, dass es nicht DIE eine polnische Identität gibt – und dass die deutsche Vergangenheit der Stadt auch über 80 Jahre nach Kriegsende ein Politikum ist.
Görlitz: Ausstellung zu deutschen Inschriften
Das Schlesische Museum zu Görlitz präsentiert demnächst eine Ausstellung, die sich mit den deutschen Inschriften im polnischen Teil Schlesiens beschäftigt. Darin wird die ab 1945 von den kommunistischen Machthabern der Volksrepublik Polen verordnete "Entdeutschung" der ehemaligen deutschen Ostgebiete thematisiert, wozu u.a. die Entfernung deutscher Inschriften im öffentlichen Raum gehörte. Trotz dieser Aktion kann man heute noch an vielen Orten in Nieder- und Oberschlesien deutsche Schriftzüge in unterschiedlichem Erhaltungszustand entdecken – darunter solche, die erst vor kurzem von den heutigen polnischen Hausbesitzern restauriert wurden.
Die deutsch-polnische Ausstellung "Zeichen der Zeit. Deutsche Inschriften in Schlesien" präsentiert Fotografien von Thomas Voßbeck aus den Jahren 2018–2025, ergänzt mit Texten des Regionalforschers und MDR-Ostbloggers Dawid Smolorz, der die Schau kuratiert. Ausstellungsdauer: 31. Januar bis 13. September 2026.
MDR (baz)
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