Inhalt des Artikels:

  • Ausnahmeregelungen laufen aus
  • "Nicht das Ende der Welt"
  • Mehrkosten für den Staat, nicht die Bürger
  • "Tiefgreifende Veränderung" der ungarischen Außenpolitik
  • Versorgungssicherheit durch Diversifizierung

Ungarn und die Slowakei sind heute die einzigen Länder in der Europäischen Union, die noch immer stark von russischen Energielieferungen abhängig sind. Während andere EU-Mitgliedstaaten in den letzten Jahren ihre Energieimporte aus Russland stark reduziert haben, importiert Ungarn auch heute noch mehr als 80 Prozent seines Öl- und fast 70 seines Prozent Gasbedarfs aus Russland.

Die Europäische Union hat Ungarn und der Slowakei eine Frist bis 2027 eingeräumt, um sich vom russischen Öl unabhängig zu machen. Ab dann gilt ein komplettes Einfuhrverbot in die EU. Doch nicht nur die EU sanktioniert den russischen Energiesektor: im Oktober hat auch US-Präsident Donald Trump – der in Budapest als Freund und enger politischer Verbündeter gegen Brüssel und überhaupt gegen alles Liberale gesehen wird – Sanktionen gegen russische Energieträger verhängt. Schnell reiste Ungarns Regierungschef Viktor Orbán Anfang November nach Washington, um für sein Land eine Ausnahme zu erwirken: Mit Erfolg.

Ausnahmeregelungen laufen aus

Über die Dauer der Ausnahmeregelung gibt es unterschiedliche Angaben: Laut Orbán gelten diese, so lange wie Trump und er selbst noch im Amt sind - im April 2026 wird in Ungarn gewählt. US-Außenminister Marco Rubio sagte allerdings, dass die Ausnahmeregelung für ein Jahr gilt.

Gleichzeitig vereinbarte Orbán bei seinem Besuch größere Energielieferungen aus den USA: Dabei ging es nicht nur um Flüssigerdgas (LNG), sondern auch darum, dass das amerikanische Unternehmen Westinghouse das ungarische Kernkraftwerk Paks mit Brennstäben versorgen könnte. Derzeit wird Paks vom russischen Staatskonzern RosAtom beliefert.

Unbequeme Forderung eines Verbündeten: Donald Trumps Sanktionen gegen Russland bringen Viktor Orbán in Zugzwang. Bildrechte: IMAGO / ZUMA Press Wire

Trotz der geopolitischen Lage und der Sanktionen der EU und der USA möchte die ungarische Regierung sich nicht von den Öl- und Gasimporten aus Russland trennen. Sie argumentiert, dass ein kompletter Lieferstopp eine zu große Belastung für den Staatshaushalt darstellen würde. Laut Orbán würde das ungarische Bruttoinlandsprodukt in diesem Fall "sofort um vier Prozent schrumpfen".

"Nicht das Ende der Welt"

Der ungarische Experte für Energie-Politik, András György Deák von der Eötvös-Lorand-Universität in Budapest, sieht das anders: Zwar würde der Lieferstopp den ungarischen Staat zweifellos Geld kosten, allerdings deutlich weniger als von Orbán behauptet. Er hält einen Anstieg der Gas- und Ölpreise um etwa zehn Prozent für realistisch.

Der Preisanstieg würde bei Gas durch zusätzliche Transit- und Transportkosten verursacht. Russisches Gas selbst ist heute nicht mehr billiger als anderes Gas, das auf dem Weltmarkt angeboten wird. Doch die Lieferung durch bereits bestehende Pipelines ist erheblich günstiger, als etwa LNG aus anderen Quellen zu verschiffen, umzuladen und dann nach Ungarn zu transportieren. Bei Öl würde auch der Rohstoffpreis selbst steigen, da russisches Öl derzeit zu einem niedrigeren Preis erhältlich ist.

Die Druschba-Pipeline wurde noch zu Sowjetzeiten gebaut und versorgt Ungarn bis heute mit Öl aus Russland. Bildrechte: IMAGO/Xinhua

Dennoch rechnet der Experte nicht mit dramatischen Folgen: "Die ungarischen Öl- und Gasimporte beliefen sich in letzter Zeit auf etwa 5 bis 5,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Ein Anstieg der Energiepreise um zehn Prozent würde somit Kosten in Höhe von 0,5 Prozent des BIP verursachen. Das ist eine beträchtliche Summe, aber es handelt sich nicht um einen Preisanstieg, der die ungarische Wirtschaft ruinieren würde. "Es geht also nicht darum, dass hier das Ende der Welt bevorsteht", so Deák.

Mehrkosten für den Staat, nicht die Bürger

Diese Kosten treffen dabei vor allem den Staat und weniger die Bürger. Denn der ungarische Energiekonzern MOL musste bisher aufgrund der erheblichen Mehreinnahmen aus dem billigen russischen Erdöl eine Sondergewinnsteuer zahlen, was enorme Einnahmen für die Staatskasse bedeutet. Diese würden nun wegfallen.

An den Tankstellen dagegen hatten sich die billigen Preise für russisches Öl ohnehin nicht niedergeschlagen. Der aktuelle Benzinpreis entspricht dem Durchschnitt der Nachbarländer und weicht nur minimal davon ab: Benzin ist 1 Forint (0,0026 Euro) pro Liter billiger, Diesel 4 Forint (0,010 Euro) pro Liter billiger als der Durchschnitt der Nachbarländer.

Auch die Abkehr von russischem Gas werde sich laut Deák nicht besonders auf die Verbraucherpreise auswirken. Denn diese sind in Ungarn seit 2013 staatlich gedeckelt, und damit unabhängig von den Marktentwicklungen. Die Differenz zum Einkaufspreis wird aus Steuereinnahmen finanziert. "Letztendlich entscheidet die Regierung, welche Energiepreise für Haushalte festgelegt werden", so Deák. Dass die Regierung so kurz vor den Parlamentswahlen einen empfindlichen Preisanstieg beschließt, hält er für unwahrscheinlich, zumal die Regierungspartei Fidesz in allen seriösen Umfragen hinter der oppositionellen Tisza-Partei liegt.  

Die Donauraffinerie des MOL-Konzerns im ungaischen Szazhalombatta.Bildrechte: IMAGO/Xinhua

Seiner Meinung nach verfolge die ungarische Regierung in dieser Frage eine "voluntaristische" Politik: Sie versuche, diese Mehrkosten zu vermeiden, zumal sie einige teure Wahlgeschenke angekündigt hat. Doch nun hätte Ungarn aufgrund des zunehmenden Sanktionsdrucks langfristig keine andere Wahl, als sich von der russischen Energie abzukoppeln, so Deák. Die ungarische Regierung versuche aber immer noch, zu lavieren: "Es wird nicht ausdrücklich gesagt, dass man sich nun von russischer Energie abwendet, man hofft immer noch, dass man sie behalten könnte." Aber: "Wenn sich nichts ändert und der Krieg weitergeht, sehe ich wenig Hoffnung, dass wir uns nicht vollständig von russischer Energie abwenden müssen", so der Experte.

"Tiefgreifende Veränderung" der ungarischen Außenpolitik

Trotz der Atempause für Ungarn, die Trump und Orbán vereinbart haben, gab es bereits beim Treffen in Washington einige Anzeichen, dass sich das Land in der Energiepolitik langfristig umorientiert. Die Tatsache, dass Ungarn sich zum Kauf von amerikanischem LNG und nuklearen Brennstäben verpflichtet hat, sei so ein Zeichen, meint Dániel Hegedűs, Außenpolitik-Analyst und Regionaldirektor für Mitteleuropa des German Marshall Funds in Berlin. Falls diese Schritte tatsächlich umgesetzt werden, würde dies eine bedeutende Diversifizierung der ungarischen Energieversorgung bedeuten."Dies ist auch eine der wichtigsten und tiefgreifendsten Veränderungen in der Ausrichtung der ungarischen multivektoralen Außenpolitik seit Februar 2022", meint Hegedűs.

Die Kosten für die Energieversorgung sind für die ungarische Regierung ein wichtiges Argument für gute Beziehungen zu Russland, aber Hegedűs sieht dahinter noch andere politische Überlegungen: Orbán versuche, seine eigenen Verbündeten in Schach zu halten: "Die Motivation ist, mehr Autonomie und eigentlich auch Einfluss und Druckmittel gegenüber die eigenen Verbündeten zu gewinnen, vor allem gegenüber der Europäischen Union." Orbán wolle so verhindern, dass die EU Ungarn wegen des Abbaus der Demokratie, der Autokratisierung und des Abbaus der Rechtsstaatlichkeit wirksam sanktionieren könne. "Die Hauptmotivation ist, den Umbau hin zu einer Autokratie im Lande voranbringen zu können", meint Hegedűs.

Versorgungssicherheit durch Diversifizierung

Die Energieabhängigkeit von Russland könnte ihren Preis haben, auch in Bezug auf die Versorgungssicherheit: "Derzeit bezieht Ungarn sowohl Öl als auch Erdgas von einem Lieferanten, der bereits 2022 bewiesen hat, dass er nicht ganz zuverlässig ist. Das heißt, von allen Verträgen der Gazprom in der Europäischen Union war der einzige Vertrag, der 2022 nicht verletzt wurde, der mit Ungarn", sagt Energieexperte Deák.

Außerdem laufen die Pipelines, die Ungarn versorgen, teilweise durch Kriegsgebiet. Öl kommt über die Ukraine, aber auch die Erdgasleitung, der Turkish Stream, verläuft nicht weit von der ukrainischen Grenze entfernt. "Sie ist mit Drohnen erreichbar und kann vom Meer aus angegriffen werden, sodass bei technischen Problemen aufgrund von Krieg oder anderen Gründen die Versorgung Ungarns unterbrochen wird." Hinzu kommen die Risiken, die die Sanktionspolitik der EU und vor allem der USA für Ungarn darstellt. Versorgungssicherheit sei deswegen ein starkes Argument für die Diversifizierung: "In gewisser Hinsicht ist die Regierung meiner Meinung nach ein Risiko eingegangen, indem sie dies bisher nicht in die Praxis umgesetzt hat", so der Experte.

MDR (tvm)

Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke