Inhalt des Artikels:

  • Hirschgeweihe gegen das Altern
  • Zwischen Anspruch und Realität: Ein deutlich höhere Lebenserwartung
  • Chefsache Genforschung
  • Putins Gesundheit als politisches Projekt
  • Mythos Unsterblichkeit

Seit Beginn seiner Präsidentschaft kultiviert Wladimir Putin sein Image als vitaler, stets leistungsfähiger Staatschef. Seine sportlichen Aktivitäten werden in russischen Staatsmedien regelrecht inszeniert. So wurde er gern dabei gezeigt, wie er bei den Schaulauf-Eishockeyspielen mehrere Tore erzielt oder auf der Judomatte Siege erkämpft. Vielen sind noch die Bilder in Erinnerung geblieben, als Putin mit Muskelshirt oder nacktem Oberkörper auf einem Pferd durch die sibirische Landschaft reitet. "Der Präsident bleibt immer auf dem Höhepunkt der Konzentration, selbst wenn er nur wenige Stunden pro Nacht schläft", versicherte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow neulich. Bereits 2022 erklärte der Kreml die Gesundheit Putins  zur Frage der nationalen Sicherheit. Nach außen hin muss der Präsident den Eindruck einer perfekten Gesundheit erwecken. Selbst kleinste Anzeichen von Schwäche werden verschleiert. Im November 2022, beim "Tag der nationalen Einheit", humpelte Putin deutlich. In der offiziellen TV-Übertragung waren diese Bilder herausgeschnitten.

Russlands Präsident 2007 öffentlichkeitswirksam zu Pferde unterwegs im südsibirischen Sayangebirge.Bildrechte: imago/ITAR-TASS

Hirschgeweihe gegen das Altern

Zum 70. Geburtstag des Präsidenten veröffentlichte das unabhängige russische Exil-Medium Projekt eine Recherche, die zeigt, dass Putin auf Reisen immer von einem Team aus fünf Fachärzten begleitet wird. Dies geht aus Verträgen über Hotelunterbringungen hervor. Die investigativen Journalisten von Projekt fanden zudem heraus, dass Putin sich für alternative Heilmethoden interessiert. Dazu gehören regelmäßige Kuren im Altai, wo er Bäder mit Extrakten aus Maral-Hirschgeweihen nimmt. Diese sollen das Herz- und das Immunsystem stärken und eine verjüngende Wirkung haben. Die Gewinnung des Extrakts gilt als äußerst grausam: Die Tiere werden fixiert, so dass sie hilflos baumeln, und die noch jungen, gut durchbluteten und damit ausgesprochen schmerzempfindlichen Geweihe werden mit der Säge abgeschnitten.

Der russische Schriftsteller Iwan Phillipow. Er gilt in Russland als "ausländischer Agent".Bildrechte: Iwan Phillipow/MDR

Seit Jahren kursieren Gerüchte über Putins Fixierung auf Lebensverlängerung. Der Schriftsteller Iwan Phillipow stieß zufällig auf das Thema. Vor rund zehn Jahren, so berichtet er dem MDR, habe ein bekannter Kreml-Insider auf einer Geburtstagsfeier geklagt, dass Milliarden Rubel über das Kurchatow-Institut (Russlands führendes Zentrum für Nuklearforschung) in Projekte zur "Unsterblichkeit" und "Verlängerung des Lebens" flössen, was ein kompletter Unsinn sei. Diese Begegnung brachte Phillipow auf die Idee für seinen dystopischen Roman Die Maus, in dem aus einem Institut für funktionale Unsterblichkeit eine infizierte Maus entkommt und eine apokalyptische Katastrophe auslöst. Heute gilt der Autor in Russland als "ausländischer Agent", sein Buch wurde wegen "gesellschaftlich bedeutsamer Desinformation" verboten.

Putin selbst bestätigte gegenüber Journalisten, mit Chinas Präsident Xi über das Thema Lebensverlängerung diskutiert zu haben. "Die Medizin wird die Zeit der aktiven Altersphase deutlich ausweiten", sagte der Präsident auf einer Pressekonferenz.

Zwei Longevity-Anhänger: Russlands Präsident Putin und der chinesische Präsident Xi Jinping im Herbst 2025 im chinesischen Tianjing.Bildrechte: IMAGO / ZUMA Press

Zwischen Anspruch und Realität: Ein deutlich höhere Lebenserwartung

Solche Aussagen passen zu Putins offizieller Politik. 2024 erklärte er "aktive Langlebigkeit und die Steigerung der Lebenserwartung" zu einem zentralen staatlichen Ziel. Die praktischen Zielvorgaben fallen jedoch deutlich bescheidener aus: Bis 2030 soll die durchschnittliche Lebenserwartung von derzeit 73 Jahren (Männer 68, Frauen 78) auf 78 Jahre klettern. Zum Vergleich: In der EU liegt sie im Schnitt bei 81,7 Jahren.

Auch die Forschungsförderung richtet sich zunehmend an diesem Ziel aus. Der Russische Wissenschaftsfonds bewilligte 2025 gleich fünf Projekte zur Lebensverlängerung – ein Novum, denn bislang förderte die Stiftung ein breites Spektrum wissenschaftlicher Themen, weiß Olga Orlowa, Chefredakteurin des Wissenschaftsportals T-invariant, das russische Wissenschaftler im In- und Ausland vernetzt. "Es ist offensichtlich, dass die politische Führung ein besonderes Interesse daran hat und versucht, die russische Wissenschaft in Richtung eines Durchbruchs zu mobilisieren", sagte die Wissenschaftsjournalistin, die Russland verlassen musste, dem MDR.

Die russische Journalistin Olga OrlowaBildrechte: Olga Orlowa/MDR

Chefsache Genforschung

Zu den wichtigsten Akteuren dabei gehört Putins enger Vertrauter Michail Kowaltschuk, Physiker und Leiter bedeutender Forschungsinstitute, wo u.a. an der Organproduktion aus Stammzellen gearbeitet wird. Auch Putins älteste Tochter, die Endokrinologin Maria Woronzowa, spielt eine zentrale Rolle. Sie hat Führungspositionen an der Moskauer Lomonossow-Universität, arbeitet im Nationalen medizinischen Zentrum für Endokrinologie und ist zugleich in mehreren Biotech-Unternehmen aktiv. Als Miteigentümerin der Firma "Nomeko" sitzt sie im Aufsichtsrat eines Unternehmens, das großangelegte Projekte in Biotechnologie und Nuklearmedizin verfolgt. Woronzowa gilt als inoffizielle Kuratorin einer milliardenschweren staatlichen Genetik-Initiative, deren offizieller Leiter wiederum Kowaltschuk ist. 2025 erhielt sie vom Russischen Wissenschaftsfonds einen 30-Millionen-Rubel-Zuschuss für die Erforschung der Zellerneuerung. Bereits 2017 hatte Putin die Genforschung zur Chefsache erklärt – mit dem Hinweis, Genetik könne eine ebenso revolutionäre Rolle spielen wie einst die "Atombombe".

Michail Kowaltschuk, Physiker und Leiter bedeutender Forschungsinstitute, ist ein enger Vertrauter Putins.Bildrechte: IMAGO / Russian Look

Putins Gesundheit als politisches Projekt

Putins Gesundheit ist damit längst nicht mehr Privatsache, sondern zu einem politischen Projekt geworden. Vom sportlichen Präsidenten, der Vorbild für einen gesunden Lebensstil sein wollte, ist er zum autoritären Herrscher geworden, dessen Fixierung auf ewiges Leben Staatsressourcen in Milliardenhöhe verschlingt. Dass Putin Milliarden in die Genforschung pumpt und gleichermaßen auf alternative Medizin setzt – darin sieht Autor Phillipow keinen Widerspruch. Alles sei einem übergeordneten Ziel untergeordnet – gleichgültig, wer am Ende Ergebnisse liefere. Allerdings werde es keinerlei praktischen Nutzen geben, ist Phillipow überzeugt. Vielmehr handle es sich um eine "Möglichkeit des sorgenfreien Daseins für eine ganze Armee von Scharlatanen." Orlowa, deren Projekt T-invariant in Russland zum "ausländischen Agenten" erklärt wurde, stimmt ihm zu. Die Wissenschaftsjournalistin betont: Das Niveau der russischen Forschung reiche dafür schlicht nicht aus – ebenso wenig wie das der internationalen Wissenschaft: "Schon die alten Griechen wussten: Es gibt keinen Königsweg in der Geometrie. In der Medizin ist es genauso."

Putins älteste Tochter, die Endokrinologin Maria Woronzowa, hat Führungspositionen an der Moskauer Lomonossow-Universität, arbeitet im Nationalen medizinischen Zentrum für Endokrinologie und ist zugleich in mehreren Biotech-Unternehmen aktiv.Bildrechte: IMAGO / ITAR-TASS

Mythos Unsterblichkeit

Doch was treibt Putin an – Angst vor dem Tod oder vor dem Machtverlust? "Er denkt nicht in Kategorien von Leben und Tod, sondern von Ich und Geschichte", glaubt Phillipow. "Niemand in der russischen Geschichte hat länger als 30 Jahre regiert. Ich vermute, er will diesen Rekord brechen, sagte der Autor dem MDR."

Die Jagd nach dem Jungbrunnen geht jedenfalls weiter: Erst Anfang September präsentierten Wissenschaftler an der Universität "Sirius" im südrussischen Sotschi Putin persönlich eine neue Erdbeersorte mit besonders hohem Gehalt an Antioxidantien. Der leitende Wissenschaftler nannte sie "Verjüngungsbeere".

Russlands Präsident Wladimir Putin und Roman Ivanov, Direktor des Zentrums für Translationale Medizin an der Sirius-Universität, besuchen die Laboreinrichtungen.Bildrechte: IMAGO/ZUMA Press

MDR (voq)

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