Zerstörung, Obdachlosigkeit und eine ungewisse Zukunft: Nach Inkrafttreten der Waffenruhe sind mehr als 300.000 Menschen allein in den Norden Gazas zurückgekehrt - viele wollen folgen. Sie können auf die anlaufende Hilfe hoffen.
In Gaza kehren wegen der Waffenruhe massenweise Vertriebene in ihre früheren Wohngegenden zurück. Nach palästinensischen Angaben sind seit Freitag mehr als 300.000 Menschen in den Norden Gazas gekommen.
Oft nur noch nutzlose Trümmer
Viele der Rückkehrerinnen und Rückkehrer reagierten schockiert auf das Ausmaß der Zerstörungen - zahlreiche Menschen haben ihr Zuhause verloren. "Gaza ist komplett zerstört. Ich habe keine Ahnung, wo wir leben sollen oder wohin wir gehen sollen", sagte Mahmud al-Schandoghli.
Viele begannen, in den Trümmern ihrer zerstörten Häuser nach Brauchbarem zu suchen. Umm Hassan Tafisch erzählt, sie sei nach einem Jahr aus dem Süden in die Stadt Gaza zurückgekommen. "Doch mein Haus, in dem ich 30 Jahre gelebt habe, ist nur ein Haufen Steine und verbogenes Metall", sagte die 48-Jährige.
An dem Überrest einer Wand hänge noch das Hochzeitsfoto ihres Sohnes. "Ich weinte nicht nur um das Haus, sondern um all die Jahre, die in einem Moment des Bombardements verschwanden." Doch auch inmitten der Trümmer fühle sie wieder "Luft in meinen Lungen". Trotz der Zerstörung bedeute die Rückkehr für sie "ein neues Leben, denn wir können nicht fernab von Gaza leben".
Laut UN 81.000 Wohneinheiten zerstört
Nach Angaben des UN-Nothilfebüros OCHA sind etwa 83 Prozent aller Gebäude in der Stadt Gaza beschädigt worden, das sind rund 81.000 Wohneinheiten.
Basierend auf Satellitenbildern vom Juli dieses Jahres hatte das UN-Satellitenzentrum UNOSAT demnach 192.812 betroffene Gebäude im gesamten Gazastreifen identifiziert, was etwa 78 Prozent aller Gebäude entspricht. Zudem berichtete UNOSAT über einen erheblichen Rückgang des Zustands und der Dichte von 86 Prozent der landwirtschaftlichen Anbauflächen und schätzte, dass rund 77 Prozent des gesamten Straßennetzes beschädigt seien.

Reem Alabali Radovan, Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung/SPD, zur deutschen Rolle in Nahost
Bericht aus Berlin, Das Erste, 12.10.2025 18:00 UhrDreistelliger Millionenbetrag aus Deutschland
Damit es schnell mit dem Wiederaufbau losgehen kann, hat auch Deutschland Unterstützung angekündigt. Bundesentwicklungsministerin Reem Alabali Radovan sagte im "Bericht aus Berlin" der ARD, die Bundesregierung werde mit einem dreistelligen Millionenbetrag unterstützen.
Ein Teil der Entwicklungshilfe sei nach dem Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023 eingefroren worden und stehe jetzt wieder zur Verfügung, sagte die SPD-Politikerin. Der genaue Betrag stehe aber noch nicht fest. Deutschland werde aber auch direkte Übergangshilfen leisten, etwa mit Notunterkünften, die schon bereitstünden.
Wille zum Wiederaufbau
Der 35-jährige Mohammed Abu Auda erzählt von der Rückkehr in seine Heimatstadt Bet Hanun im Norden des Gazastreifens: "Vor Tagesanbruch machten wir uns auf den Weg nach Norden - meine Frau, vier Kinder und viele andere Familien."
Die Straßen seien voller Menschen gewesen, die zu Fuß unterwegs seien. "Als wir unser Zuhause erreichten, sahen wir nur Ruinen. Selbst die Bäume, die ich gepflanzt hatte, waren verbrannt." Die Kinder hätten gefragt: "Papa, wo ist unser Haus?" Er habe erwidert: "Hier, das ist unser Zuhause - wir werden es wieder aufbauen."
Der 19 Jahre alte Student Rawan al-Atar erzählt von seiner Rückkehr in das Flüchtlingsviertel Dschabalija: "Was ich sah, war anders als erträumt." Wo früher das Haus seiner Familie gestanden habe, sei nur noch ein "leeres, staubiges Stück Land" zurückgeblieben.
Trotz der Trauer bedeute die Rückkehr aber auch Hoffnung: "Ich habe mich selbst nicht verloren. Ich will mein Studium in Gaza fortsetzen, hier leben und die Stadt aus den Trümmern auferstehen sehen."

Menschen versammeln sich in Khan Yunis bei Lkw mit Hilfslieferungen.
Hilfslieferungen und Wiederaufbau laufen an
Täglich sollen jetzt rund 600 Lastwagen mit humanitärer Hilfe in das Gebiet fahren. Aus israelischen Sicherheitskreisen verlautete, auch der freie Verkehr von Hilfslastwagen zwischen dem Norden und Süden des Gazastreifens sei wieder erlaubt. Es werde auch die Reparatur kritischer Infrastrukturen wie Wasserleitungen, Abwassersystemen und Bäckereien ermöglicht.
Der einzige Grenzübergang zwischen dem Gazastreifen und Ägypten, Rafah, könnte nach übereinstimmenden Angaben aus israelischen und ägyptischen Sicherheitskreisen bald wieder teilweise geöffnet werden. Aus palästinensischen Quellen hieß es, die Verwaltung werde gemeinsam von der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA), die eigentlich nur im Westjordanland regiert, und einer EU-Mission übernommen.
Den Angaben zufolge könnten Fußgänger den Gazastreifen womöglich bereits am Dienstag wieder über Rafah verlassen. Umgekehrt könnten Einwohner des Gazastreifens, die in Ägypten festhängen, zurückkehren.
Bei dem Überfall der Terrororganisation Hamas und mit ihr verbündeter Kämpfer auf Israel am 7. Oktober 2023 wurden nach israelischen Angaben mehr als 1.200 Menschen getötet worden. Viele Menschen wurden damals als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt.
Als Reaktion auf den Hamas-Überfall griff Israel massiv im Gazastreifen an. Dabei wurden nach Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums mehr als 67.000 Menschen getötet. Diese Angaben lassen sich nicht unabhängig überprüfen.
Mit Informationen der Nachrichtenagentur dpa
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