Inhalt des Artikels:

  • "Dieses Land ist ständig im Wahlkampf"
  • Politik als Bühne
  • Sichtbarkeit ist Ramas Kapital

Eine Frau mit strengem Blick und weißem Kopftuch – und doch nur virtuell: "Diella" (Albanisch für "Sonne") ist die erste KI-Ministerin Europas. Ein Avatar, der in Albanien künftig öffentliche Ausschreibungen beaufsichtigen soll. Premier Edi Rama präsentierte sie Mitte September als Mitglied seines neuen Kabinetts. Erst im Mai hatte er die Parlamentswahl gewonnen und damit seine vierte Amtszeit in Folge gesichert. Prompt berichteten Medien weltweit. Für einen Moment schien Albanien der Zukunft näher als viele EU-Staaten.

Edi Ramas jüngster Coup: Im September präsentierte der albanische Regierungschef der Öffentlichkeit die weltweit erste KI-Ministerin. Sie heißt Diella und soll künftig über die Vergabe von öffentlichen Aufträgen entscheiden.Bildrechte: IMAGO / ZUMA Press Wire

"Dieses Land ist ständig im Wahlkampf"

Doch in Albaniens Hauptstadt Tirana überwogen Skepsis und Spott. Viele fühlten sich von der Meldung provoziert. Denn während das Land international mit der innovativen Idee glänzt, fließt in manchen Stadtteilen nicht einmal zuverlässig Wasser aus der Leitung. Im Global Innovation Index, rangiert Albanien im unteren Mittelfeld, auf Rang 84 von insgesamt 133 erfassten Volks­wirtschaften.

Auch die albanische Haupstadt Tirana ist zum Schaufenster von Premier Ramas Imagepolitik geworden: Moderne Hochhäuser mit Glasfassaden und futuristischen Formen, entworfen von internationalen Stararchitekten, prägen zunehmend die Skyline.Bildrechte: IMAGO / Pond5 Images

"Es gibt viel Lärm um einen bescheidenen Fortschritt", sagt Zef Preçi, Direktor des Albanian Center for Economic Research (ACER). Bei der KI-Ministerin handele es sich um eine PR-Maßnahme, die vor allem dazu diene, Klicks zu generieren. "Dieses Land ist ständig im Wahlkampf", sagt Preçi und meint damit, dass das Regierungshandeln stark von PR-Aktionen und kurzfristiger Symbolpolitik geprägt sei.

Es ist nicht das erste Mal, dass Premier Edi Rama sein Land geschickt ins internationale Rampenlicht rückt. Vergangenes Jahr sorgte er mit der Verkündung eines "Bektashi-Staates" für Aufsehen – eine Art Mini-Vatikan für den islamischen Derwisch-Orden mitten in Tirana. Inzwischen ist es um die Pläne still geworden. Ob das Projekt tatsächlich voranschreitet, ist unklar. Weder die staatliche Medienagentur MIA noch der Pressesprecher des Bektashi-Ordens reagierten bis Redaktionsschluss auf Anfragen des MDR.

Politik als Bühne

Auch die Diplomatie nutzt Rama als Bühne. Mit Italiens Premierministerin Giorgia Meloni unterzeichnete er ein Abkommen, das die Errichtung von Asylzentren in Albanien vorsieht. Die Meldung ging um die Welt. Befürworter sahen darin eine Lösung für das europäische "Migrationsproblem", Kritiker warnten vor einem Bruch mit Menschenrechten.  Inzwischen ist das Vorhaben im ursprünglichen Sinne gescheitert. Italienische Gerichte erklärten es für unzulässig, die Asylsuchenden mussten zurückgebracht werden. Für Albanien spielt das kaum eine Rolle: Premier Rama hatte sich längst als Problemlöser der EU und Unterstützer der aufstrebenden Rechten in Szene gesetzt.

Große Show auf dem Gipfeltreffen der Europäischen Politischen Gemeinschaft (EPG) im Mai 2025 in Tirana: Albaniens Premier begrüßt seine italienische Amtskollegin Giorgia Meloni. Bildrechte: IMAGO / Bestimage

Die permanente Symbolpolitik birgt die Gefahr, jede politische Maßnahme unbedeutend erscheinen zu lassen. Als Albanien im Sommer 2021 kurzfristig afghanische Flüchtlinge aufnahm, sahen viele im Land auch darin eine reine PR-Aktion. Doch auf bloße Symbolik reduziert, würde das den Anstrengungen der Beteiligten nicht gerecht: Mehrere Tausend Menschen fanden in Albanien monatelang Sicherheit und Versorgung, bevor sie nach Kanada oder in die USA weiterreisen konnten.

Dass der Premier die Kommunikation wie kein Zweiter beherrscht, beweist er auch in den Sozialen Netzwerken. Mit 674.000 Followern ist er wohl der größte Politikinfluencer des Landes. Auf Instagram und Facebook verkündet er schon mal Entscheidungen und neue Gesetze. Als ihm in einer Live-Übertragung ein lautes "Fuck" herausrutschte, nutzte er den Moment kurzerhand für mehr Reichweite: Er stellte ein selbstironisches Fake-Video online, in dem Giorgia Meloni ihm angeblich per SMS ihre Liebe aufkündigte. Aus einem Patzer wurde so ein viraler Hit.

Sichtbarkeit ist Ramas Kapital

Auch Tirana selbst ist zum Schaufenster von Edi Ramas Imagepolitik geworden: Moderne Hochhäuser mit Glasfassaden und futuristischen Formen, entworfen von internationalen Stararchitekten, prägen zunehmend die Skyline. Das niederländische Architekturbüro MVRDV etwa baut einen Turm, dessen Form an den Kopf des albanischen Nationalhelden Skanderbeg erinnert. Dahinter steckt ein klares Kalkül: Die Bauten sollen Fortschritt signalisieren, Investoren und Touristen anlocken. Internationale Architekturmagazine feiern Tirana bereits als Hotspot für unkonventionelles Design.

Skyline in Tirana. Rechts im Bild ein Turm des niederländische Architekturbüro MVRDV, dessen Form an den Kopf des albanischen Nationalhelden Skanderbeg erinnert.Bildrechte: picture alliance / ZUMAPRESS.com | Gent Shkullaku

Vor diesem Hintergrund wirkt der albanische Pavillon auf der derzeit laufenden Architekturbiennale in Venedig fast unspektakulär: Ein einfacher Raum mit viel Flachwahre. Zur Eröffnung allerdings versammelten sich dort international renommierte Architekten wie Bjarke Ingels und Winy Maas. "Das war die eigentliche Performance", erinnert sich eine aufmerksame Beobachterin, denn die Anwesenheit der Stars lenkte erneut alle Aufmerksamkeit auf Albanien.

Zu Hause zeigt man sich davon weniger beeindruckt, denn hinter den glänzenden Fassaden in Tirana bleibt die Infrastruktur marode: Wasserversorgung und Verkehrssystem halten mit dem Bauboom kaum Schritt, kritisieren lokale Stadtplaner. Und doch geht Ramas Strategie auf – im Ausland ist Albanien so gefragt wie nie. 2024 kamen mehr als elf Millionen Touristen in ein Land, das lange als arm und gefährlich galt. Seit seinem Amtsantritt 2013 hat sich das Image grundlegend gewandelt: vom "Gangsterstaat" zu den "Malediven Europas". Aufmerksamkeit ist für ein kleines Land wie Albanien politische Währung – und Ramas Dauerpräsenz in den Medien kein Selbstzweck. Sichtbarkeit ist sein Kapital.

Ob in ein paar Wochen noch jemand von der KI-Ministerin "Diella" spricht, ist fraglich. Sicher scheint nur: Albanien wird bald mit der nächsten Geschichte von sich reden machen – und so schnell nicht aus den Schlagzeilen verschwinden.

MDR (voq)

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