Seit 2015 retten vor allem zivile Organisationen Migranten aus dem Mittelmeer. Aber sie stecken in Schwierigkeiten, denn Italiens Regierung behindert ihre Arbeit. Und der Bundestag streicht Fördermittel.

Es ist früh am Morgen, als am vergangenen Montag das Schiff Sea Watch 5 der privaten deutschen Seenotrettungsorganisation Sea Watch den Hafen von Neapel erreicht. An Bord sind auch 124 aus dem Mittelmeer gerettete Migrantinnen und Migranten. Sea-Watch-Einsatzleiterin Eliora Henzler ist erst mal mehrere Stunden bei der Küstenwache, um Fragen zur Rettungsaktion zu beantworten.

Sie seien von der libyschen Küstenwache bedroht und beschossen worden, als sie 60 Menschen aus dem Meer retten wollten, erzählt Henzler danach - und das in internationalen Gewässern, nicht direkt vor der libyschen Küste. Sie und die anderen seien müde, aber erleichtert, dass die Rettungsaktion geglückt ist, dass alle jetzt sicher an Land sind. Die libysche Küstenwache wird vor allem von Milizen kontrolliert, verifizieren lässt sich dieser mutmaßliche Angriff daher nur schwer.

Ein Bootsunglück und seine Folgen

Rettungsaktionen wie diese wurden früher mal von staatlichen Stellen durchgeführt, nicht von zivilen Seenotrettungsorganisationen wie Sea Watch, Sea Eye oder all den anderen. Gerade Italien tat sich da hervor: Nach einem schweren Bootsunglück vor Lampedusa am 3. Oktober 2013, bei dem mehr als 300 Migrantinnen und Migranten starben, schickte die damalige Mitte-Links-Regierung in Italien zusätzliche Marineschiffe ins Mittelmeer. Sie sollten Schlepper finden, aber auch Menschen in Seenot retten.

Mehr als 150.000 Menschen wurde durch diese sogenannte Mission Mare Nostrum aus dem Mittelmeer gerettet, in etwa einem Jahr. Dann lief Mare Nostrum aus, und der politische Wind hatte sich gedreht: Die Nachfolgemission Triton der EU hatte das Ziel, die Grenzen der EU zu schützen, nicht Menschen zu retten.

Deshalb sprangen Privatleute ein, gründeten Nichtregierungsorganisationen (NGOs), kauften mit Spendengeldern Schiffe, um Migranten zu retten.

Die Bilder von der Insel Lampedusa spalteten nicht nur die italienische Gesellschaft. Die hohe Zahl von ankommenden Migranten und Flüchtlingen zeugte von der dramatischen Lage auf dem Mittelmeer. Zugleich fühlte man sich auf der Insel immer wieder überfordert.

Zehntausende im Mittelmeer verschwunden

So wie die Sea Watch 5, auf der Henzler im Einsatz ist. Ihre Bilanz der vergangenen zehn Jahre: Die Arbeit der NGOs reiche nicht aus, sei in etwa so hilfreich wie ein Pflaster auf einer Schusswunde. Zivile Organisationen könnten diese Aufgabe nicht stemmen, eigentlich müssten da die Staaten Verantwortung übernehmen, sagt sie.

Und: Die Seenotrettung habe in den vergangenen zehn Jahren zwar extrem viele Leute gerettet, sehr viele Leute seien aber auch beim Überqueren des Mittelmeers ertrunken. Die Internationale Organisation für Migration der Vereinten Nationen geht davon aus, dass seit 2014 mehr als 32.000 Menschen im Mittelmeer verschwunden sind.  

Melonis verschärfter Kurs

Ein großes Problem für die NGOs: Italiens aktuelle, sehr rechte Regierung behindert die zivile Seenotrettung - noch mehr als andere rechte Regierungen vor ihr. Unter Ministerpräsidentin Giorgia Meloni wurde unter anderem eingeführt, dass Seenotrettungsschiffe nach jeder Rettung zurück in den Hafen müssen, auch wenn sie noch Platz für weitere Menschen in Seenot hätten.

Die NGOs beklagen zudem, dass Italiens Behörden ihnen oft weit entfernte Häfen zuweisen, irgendwo in Norditalien, anstatt im nahen Sizilien. Die Folge: Die Schiffe sind tagelang unterwegs und können in dieser Zeit keine Migrantinnen und Migranten retten.

Oft werden die Seenotrettungsschiffe wochenlang in den Häfen festgesetzt. Immer wieder entscheiden italienische Gerichte im Nachgang, dass diese Festsetzungen nicht rechtmäßig gewesen seien.

Abschreckung statt Seenotrettung

Die Strategie von Italiens Regierung, um mit der Migration umzugehen: Sie setzt auf Abschreckung und auf Abkommen mit Libyen oder Tunesien. Die Länder sollen die Migrantinnen und Migranten zurückhalten, damit diese gar nicht erst aufs Meer kommen.

Für Italiens Innenminister Matteo Piantedosi geht diese Strategie auf. Nur, indem man die irregulären Abfahrten komplett blockiere, könne man die Schiffbrüche auf null reduzieren, sagte Piantedosi.

Seitdem die aktuelle Regierung im Amt sei, habe sich die Zahl der Ankünfte drastisch reduziert - in diesem Sommer seien es 60 Prozent weniger als im Jahr 2023 gewesen. Man sei zuversichtlich, noch besser zu werden, so der Innenminister. 

Bundestag streicht Mittel

Das politische Klima in weiten Teilen Europas hat sich in den vergangenen zehn Jahren verändert. Vor kurzem hat auch der Haushaltsausschuss im deutschen Bundestag die Mittel für die Seenotrettung gestrichen. Viele NGOs sehen dies als ein Zeichen dafür, dass die Rettung von Migrantinnen und Migranten auch für Deutschland kaum noch Priorität hat.

Kritiker der zivilen Seenotrettung befürchten allerdings, dass immer mehr Menschen in Boote steigen und im Mittelmeer sterben, weil sie davon ausgehen, sowieso von den NGOs gerettet zu werden und nach Europa zu kommen.

Seenotrettung als Pull-Effekt?

Mit diesem so genannten Pull-Effekt hat sich auch Christopher Hein beschäftigt. Er ist Professor für Migrations- und Asylrecht an der Universität LUISS in Rom. Dazu sei viel diskutiert, geschrieben und geforscht worden, sagt er, aber empirisch sei dieser Pull-Effekt bei der Seenotrettung nicht nachweisbar.

Für Hein gibt es einen anderen Faktor: Viele Staaten kürzen momentan Hilfsgelder für die Anrainerstaaten von Kriegs- und Krisengebieten in Afrika oder Asien. Wenn Menschen vor Krieg oder Hungersnöten aus ihrer Heimat in Nachbarstaaten fliehen, dort aber nicht leben können, weil es an allem fehlt, dann zögen sie weiter nach Europa, sagt der Professor.

Den gleichen Effekt habe man schon während der so genannten Flüchtlingskrise vor zehn Jahren gesehen. Auch da hatten viele Staaten einige Zeit zuvor angefangen, bei der humanitären Hilfe zu sparen.

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