Mit den Kampfjetflügen über Estland verstärkt Russland seine Provokationen, meint Sicherheitsexperte Masala bei tagesschau24. Ob Trump noch hinter der Ukraine stehe, sei fraglich. Bedeutsam seien nun vier Staaten.
tagesschau24: Russland bestreitet einmal mehr die Verletzung des Luftraumes. Aber so etwas passiert immer wieder. Was für eine Strategie steckt dahinter?
Carlo Masala: Russland will provozieren. Russland will zeigen, dass es sich von den Entscheidungen der NATO - zum Beispiel, die Luftverteidigung an der Ostflanke zu stärken - nicht beeinflussen lässt. Russland testet sozusagen die Reaktion und die Reaktionsfähigkeit der NATO-Staaten und der einzelnen Staaten aus. Das ist eine weitere Provokation - wie die 19 Drohnen in Polen. Russland wird immer mutiger in der Art und Weise, wie es provoziert.

tagesschau24: Und wie kann die NATO verhindern, dass sie von Putin regelrecht vorgeführt wird?
Masala: Zunächst einmal ist es jetzt an der NATO, die Abschreckung zu stärken, also sich zu überlegen: Wie kann man solche Vorfälle in Zukunft verhindern? Sodass Russland überhaupt nicht auf die Idee kommt, hier irgendwelche Mechanismen der Verteidigung auszutesten.
Und der zweite Punkt ist natürlich, dass man über die EU jetzt klare Nachrichten senden kann, dass - wenn so etwas noch mal vorkommt - direkt Sanktionen folgen werden. Das nennt man dann horizontale Eskalation.
Das sind die zwei Möglichkeiten, die zur Verfügung stehen.

Carlo Masala, Politikwissenschaftler, Universität der Bundeswehr München, zur Luftraumverletzung durch russische Kampfjets
tagesschau24, 20.09.2025 10:00 Uhr"Die EU ist schlecht darin, Sanktionslücken zu schließen"
tagesschau24: Stichwort horizontale Eskalation: Die EU hat ja gerade erst gestern ein neues Sanktionspaket vorgelegt, das inzwischen 19. Aber wie sehr haben die bisherigen Sanktionen denn Russland überhaupt geschadet?
Masala: Es ist ja nicht so, dass die Sanktionen Russland überhaupt nicht schaden. Wir wussten von Anfang an: Sanktionen dauern sehr lange, bis sie wirken - und wir sehen, dass sie wirken. Die EU ist halt schlecht darin, Sanktionslücken zu schließen. Das betrifft Sekundärsanktionen auf Staaten, die weiterhin Exporte beziehen und die dann nach Russland umleiten.
Die EU ist noch immer nicht entschlossen genug, das eingefrorene Vermögen der Russen den Ukrainern zur Verfügung zu stellen. Also: Wir sanktionieren Russland - es zeigt Auswirkungen. Aber wir sind schlecht darin, Sanktionslücken zu schließen. Wir beziehen ja zum Beispiel noch immer Öl aus Russland.
tagesschau24: Gerade ging es ja jetzt auch darum, ob man russisches Vermögen noch stärker beschlagnahmen und dann zum Beispiel in der Ukraine einsetzen könnte. Besteht da ein direkter Zusammenhang? Also: Die EU-Finanzminister spekulieren offen über mögliche weitere Sanktionsmechanismen - und kurze Zeit später dringen dann Kampfjets in den NATO-Luftraum ein?
Masala: Nein. Ich glaube, der Zusammenhang ist zu sehen zu dem, was die Allianz vor drei oder vier Tagen beschlossen hat, nämlich diese Operation "Eastern Sentry" (Anm. d. Red.: Wächter des Ostens), die die Luftverteidigung an der Ostflanke nach dem Drohnenvorfall stärken soll.
Russland führt hier die NATO vor und zeigt sozusagen, dass es keine Angst vor der NATO hat. Die NATO ist ja dazu da, abschreckend zu wirken, dass so etwas überhaupt nicht passiert. Russland zeigt, dass es nicht an die abschreckende Wirkung der NATO glaubt.
Unterstützung der Ukraine sei zentral
tagesschau24: Wie wichtig ist es denn in dieser Situation, in der Ukraine nicht nachzugeben und sich womöglich nach Moskaus Bedingungen auf einen Frieden einzulassen?
Masala: Das ist der zentrale Konflikt, um den es geht. Also: Sollte man in der Ukraine nachgeben, wird das Russland nur ermutigen, diese Provokationen weiterzuführen - weil es den sogenannten Westen dann als schwach empfindet, der nicht entschlossen genug seine Interessen mit der Ukraine vertritt. Deswegen ist die Frage der Unterstützung der Ukraine die zentrale Frage zur Abschreckung Russlands.
tagesschau24: Das heißt: Putin freut sich jedes Mal, wenn man sich in der EU oder in der NATO nicht einigen kann?
Masala: Es ist das Ziel Putins, hier einen Keil zwischen EU- und NATO-Staaten zu treiben, um denen die eigene Ohnmacht vor Augen zu führen.
"Trump unterminiert die Abschreckungsfähigkeit"
tagesschau24: Welche Rolle spielen die USA in dem Ganzen? Nachdem Trumps Friedensbemühungen zuletzt gescheitert sind, hat man den Eindruck, er hat so ein bisschen die Lust an dem Thema verloren.
Masala: Die Vereinigten Staaten spielen hier eine nicht besonders gute Rolle. Also zum einen muss man sagen: Militärisch sind sie natürlich eingebunden über das "NATO Air Command", das ja viele dieser Reaktionen koordiniert.
Gleichzeitig aber sehen Sie ja politisch, dass Trump diese Verletzungen durch die MiGs jetzt nicht hart verurteilt. Dass er bei den Drohnen, die in den polnischen Luftraum eingedrungen sind, sagt: Das könnte auch ein Fehler gewesen sein, die könnten ja abgelenkt worden sein. Und er unterminiert natürlich damit - als der Führer der stärksten Allianzmacht - die Abschreckungsfähigkeit der NATO.
tagesschau24: Steht er also wirklich noch hinter der NATO?
Masala: Vielleicht ist die Frage, die man sich stellen muss: Steht er noch hinter der Ukraine? Dahinter würde ich ein großes Fragezeichen setzen.
tagesschau24: Wie könnte man ihn denn dazu bringen, dass er sich wieder stärker für die Ukraine einsetzt? Durch Investitionen in den USA? Letztendlich funktioniert Donald Trump ja häufig doch über Geld.
Masala: Das ist alles schon passiert. Wir wissen ja, dass der EU-Zoll-Deal mit den USA unter anderem deshalb von der EU so eingegangen worden ist, weil man die Amerikaner weiterhin mit Blick auf die Ukraine in Europa halten wollte. Es ist die Strategie der Europäer, Trump so lange wie möglich an Bord zu halten. Aber wir sehen, dass diese Strategie so langsam zu ihrem Ende kommt.
Also die Aufforderung Trumps an die europäischen NATO-Staaten, China zu sanktionieren mit Blick auf die chinesischen Käufe von Öl aus Russland: Das sind ja alles Maßnahmen, in denen Trump sozusagen die Verantwortung für die Weiterführung der Ukraine-Unterstützung den Europäern zuschiebt. Und wenn die diese Forderungen nicht erfüllen können - wonach es momentan aussieht -, kann er dann immer wieder sagen: Er wäre ja bereit dazu gewesen - aber die Europäer haben ihren Teil nicht geleistet.
tagesschau24: Wer könnte also jetzt anstelle von Donald Trump Stärke zeigen, damit wir irgendwie weiterkommen in dem Konflikt?
Masala: So, wie es sich momentan ausnimmt, kann es nur sozusagen eine Allianz zwischen Großbritannien, Frankreich, Italien und der Bundesrepublik Deutschland sein. Das sind die zentralen Staaten in Europa mit großen Streitkräften, mit großen Ressourcen, die hier ein klares Signal gegenüber Moskau aussenden könnten.
Das Gespräch führte André Schünke, tagesschau24. Für die schriftliche Fassung wurde es redigiert.
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