Wegen des Gaza-Kriegs will die EU-Kommission gegen Israel vorgehen - mit weitreichenden Sanktionen. Brüssel geht es um ein politisches Signal. Aber machen genug Staaten mit?
Normalerweise lässt Kaja Kallas sich nicht aus der Ruhe bringen. Die Außenbeauftragte der EU hat ihre Gefühle unter Kontrolle. Wenn sie ans Mikrofon geht, spricht sie sachlich und nüchtern. Das war am Mittwoch für einen kurzen Moment anders, als ein Journalist sie mit dem Vorwurf konfrontierte, die EU tue zu wenig gegen die humanitäre Krise in Gaza. "Das ist nicht wahr!", wies Kallas den Journalisten zurecht.
Die Europäer seien im Gegenteil diejenigen, die von allen internationalen Akteuren in der Region am aktivsten sind. Tag für Tag habe sie sich dafür engagiert, einen Beitrag zur Verbesserung der Lage in Gaza zu leisten. "Was kann man mehr tun?"
Die Frage blieb im Pressesaal des Berlaymont stehen. Denn es ging um einen weiteren Versuch, den Kallas zusammen mit der gesamten EU-Kommission unternahm, Druck auf die Regierung von Benjamin Netanjahu auszuüben. Israels Wirtschaft soll nicht mehr in den Genuss von Handelserleichterungen kommen. Konkret sollen für rund ein Drittel der importierten Waren aus Israel Zölle fällig werden - vor allem für Gemüse, Obst und andere landwirtschaftliche Produkte.

Christian Feld, ARD Brüssel, zu möglichen Israel-Sanktionen der EU
tagesschau24, 17.09.2025 16:00 UhrKallas hält an Zwei-Staaten-Lösung fest
"Das Ziel ist nicht, Israel zu bestrafen", versicherte Kallas. "Das Ziel ist, die humanitäre Lage in Gaza zu verbessern." Auch das Ziel einer Zwei-Staaten-Lösung dürfe die EU nicht aus den Augen verlieren. Extreme israelische Siedler im Westjordanland seien gerade dabei, die Chancen für einen palästinensischen Staat zu untergraben.
Ob der Kommissionsvorschlag für eine schärfere Gangart gegen Israels Regierung die nötige Unterstützung der Mitgliedsländer findet, ist offen. Für die Aussetzung der Handelserleichterungen ist die qualifizierte Mehrheit nötig - mindestens 15 der 27 Mitgliedsländer müssten zustimmen, die mindestens 65 Prozent der EU-Gesamtbevölkerung ausmachen.
Die Erfahrung hat gezeigt, dass es bei solchen Abstimmungen entscheidend auf Deutschland ankommt. Eine qualifizierte Mehrheit ohne Deutschland ist kaum hinzubekommen. Doch bisher sieht die Bundesregierung Strafmaßnahmen gegen Israel skeptisch bis ablehnend. Ähnliche Vorbehalte sind auch aus Österreich und Ungarn zu hören, ebenso aus Tschechien. Und wie Italien sich verhält, ist noch ganz offen.
EU ist Israels wichtigster Handelspartner
Der wirtschaftliche Schaden der Kommissionsvorschläge ist, wenn sie denn umgesetzt werden, schwer abzusehen. Einerseits ist die EU für Israel der wichtigste Handelspartner, noch vor den USA. Von den Waren, die Israel in die ganze Welt exportiert, geht rund ein Drittel auf den europäischen Binnenmarkt. Allein im vergangenen Jahr machte der Handel 42,6 Milliarden Euro aus.
Andererseits schätzt die EU-Kommission selbst die möglichen Verluste für Israels Wirtschaft durch die geplanten Zollaufschläge auf nur 220 Millionen Euro - eine überschaubare Summe. "Wir reden hier aber nicht nur über Handel und Zahlen", gab der für Außenhandel zuständige EU-Kommissar Maros Sefcovic zu Bedenken.
Es geht um ein politisches Signal
Die Strafandrohung aus Brüssel habe in erster Linie eine politische Bedeutung. In der Tat ist es noch nicht oft vorgekommen, dass Brüssel Handelserleichterungen aus einem bestehenden Assoziierungsabkommen eingefroren hat. Man habe das schon mal mit Syrien gemacht, erinnert sich ein Kommissionsbeamter, das sei in den Zeiten der Assad-Herrschaft gewesen. Schwer vorstellbar, dass die Regierung Netanjahu sich in einer Reihe mit Assads Terrorregime wiedersehen will.
Bei der Aussetzung der Handelserleichterungen bezog sich die EU damals wie heute auf Artikel 2 des Assoziierungsabkommens, in dem sich alle Seiten auf die Einhaltung der Menschenrechte verpflichten. Die sieht Brüssel in Netanjahus Gaza-Politik nicht mehr gewährleistet.
Strafmaßnahmen gegen israelische Minister geplant
Neben höheren Zöllen schlägt die EU-Kommission auch direkte Strafmaßnahmen gegen einige Verantwortliche vor. Darunter sind zwei amtierende israelische Minister: Finanzminister Bezalel Smotrich und Polizeiminister Itamar Ben-Gvir. Beide gelten als rechtsextrem, beiden werden Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen.
Sanktioniert werden sollen auch zehn führende Mitglieder der Terrororganisation Hamas. Solche persönlichen Sanktionen bedeuten in der Regel das Einfrieren von Vermögen in der EU sowie Einreiseverbote. Wobei keine Informationen vorliegen, ob einer der Hamas-Führer oder einer der israelischen Minister überhaupt Eigentum in der EU haben. Ohnehin sind die personenbezogenen Sanktionen eher noch unwahrscheinlicher als die Zollaufschläge, weil hier nicht einmal die qualifizierte Mehrheit ausreicht. Nötig ist Einstimmigkeit unter den 27 Mitgliedsländern. Und die gilt - wie bei jedem Nahost-Thema - als nahezu ausgeschlossen.
Helga Schmidt, ARD Brüssel, tagesschau, 17.09.2025 19:28 UhrHaftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke