Menschen der Gattung Homo sapiens sind schon immer Gruppentiere gewesen. Genau wie ihre direkten Vorfahren, vom Homo erectus bis zu Neandertalern und Denisovanern, zeichnen sie sich dadurch aus, dass sie eng zusammenarbeiten. Nur so konnten die körperlich überlegenen Raubtiere wie Löwen oder Tiger bändigen und die Kontrolle über ganze Ökosysteme übernehmen. Kulturell erlernte und weitergegebene Techniken wie Kochen, Kleidung oder der Bau fester Behausungen, haben ihnen zudem ermöglicht, tendenziell lebensfeindliche Lebensräume wie sehr heiße oder kalte Gebiete zu besiedeln.
Gene als Basis: Warum genetische Unterschiede anfangs überlebensentscheidend waren
Trotzdem seien anfänglich noch die individuellen Gene wichtiger gewesen für die Chancen zu überleben, schreiben die Autoren Timothy Waring und Zachary Wood von der University of Maine. Grund dafür sei, dass die Fähigkeit zur Kultur von diesen Genen abhing: Ob es in den zusammenlebenden Gruppen also Individuen gab, die dank eines größeren Gehirns komplexere Techniken entwickeln konnten, oder andere, die dank einer robusten Gesundheit besonders als wurden und die Techniken in die nächste Generation vermitteln konnten. Diese Phase nennen Waring und Wood die durch Gene limitierte Gen-Kultur-Koevolution.
Danach folgte eine Phase, in der Gene und Kultur gleichermaßen die Evolution der Menschheit bestimmten. Hier sind komplexe Gesellschaften entstanden, die ihr Überleben gemeinsam organisieren, in denen Arbeitsteilung unter anderem Gesundheitsversorgung ermöglicht oder Wissen über Schrift systematisch weitergegeben werden kann. In dieser Phase würden Gene, die kulturelle Fähigkeiten ermöglichen, stärker selektiert: Wer lesen, rechnen und planen kann, steigt auf und hat bessere Chancen, seinen Nachwuchs aufzuziehen.
Kultur überholt Gene: Wie Technik und Medizin die natürliche Selektion verändern
In der letzten Phase schließlich überhole die Kultur die Gene: Heute etwa sorgten gesundheitliche Techniken wie Brillen oder Kontaktlinsen dafür, dass Sehkraft nicht mehr entscheidend für das Überleben sei. Überhaupt: Kaiserschnitte und Fruchtbarkeitsbehandlungen machten Überleben direkt möglich, wo früher keine Weitergabe von Genen möglich gewesen wäre. Diese Entwicklung führt zugleich dazu, dass die Individuen immer stärker vom Kollektiv abhängig sind.
Im Endeffekt könne also ein Übergang in der Evolution der Menschheit beobachtet werden: von einer genetisch bestimmten zu einer kulturell bestimmten Entwicklung. Waring und Wood haben ein theoretisches Modell entwickelt, das diesen Übergang mit empirischen Daten überprüfbar macht. Zudem liefert der Ansatz unter anderem eine Erklärung für die sinkende Fruchtbarkeit: Da Reproduktion vor allem durch Kultur bestimmt werde, überschreibe sie praktisch die genetische Selektion, die zu einer Ausselektion unfruchtbarer Gene geführt hätte.
Links/Studien
- Waring, Wood (2005): Cultural inheritance is driving a transition in human evolution, BioScience
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