Das Putsch-Urteil gegen Brasiliens Ex-Präsident Bolsonaro ist nach Ansicht des Lateinamerika-Experten Maihold ein Zeichen für das Durchgreifen des Rechtsstaats. Dennoch glaubt der Politologe, dass die Spaltung im Land zunehmen wird.
NDR Info: Wie ist aus Ihrer Sicht das Urteil gegen Jair Bolsonaro einzuordnen?
Günther Maihold: Es ist wahrscheinlich der Auftakt eines weiteren Abschnitts im Rahmen dieses Gerichtsverfahrens, weil hier zwei unterschiedliche Wege beschritten werden können: zum einen die Möglichkeit der begrenzten Revision und zum anderen der Versuch, auf parlamentarischer Ebene ein Amnestiegesetz voranzubringen. Damit sollen Bolsonaro und seine Unterstützer - das sind ja etwa 600 Beteiligte am Sturm auf die Institutionen vom Januar 2023 - von ihren Verurteilungen befreit werden.
All dies deutet darauf hin, dass das noch nicht das Ende ist, dass hierdurch kein Frieden eintreten wird, sondern dass die Auseinandersetzungen anhalten.
NDR Info: Nach der verlorenen Wahl haben Bolsonaros Anhänger den Kongress, den Präsidentensitz und das Oberste Gericht gestürmt. War das aus Ihrer Sicht ein Staatsstreich?
Maihold: Sicherlich, es war ein klarer Angriff auf die verschiedenen Institutionen des Staates, die in Brasilia an einem Ort versammelt sind. Dahinter standen Unterstützer Bolsonaros aus seiner Regierung, die jetzt auch mit verurteilt wurden - insbesondere aber auch Mitglieder des Militärs.
Die Urteile sind nun ein Hinweis darauf, dass hier der demokratische Staat reagiert hat und deutlich gemacht hat, dass diese Überschreitung von Gesetzen einfach nicht akzeptabel ist und entsprechend verurteilt wird.

"Es wird mehr Spaltung geben"
NDR Info: Ein Sturm auf den Kongress - die Analogie liegt auf der Hand. Als Bolsonaro noch regierte, sprachen viele vom "Tropen-Trump". Bleibt Brasilien heute ähnlich politisch gespalten wie die USA?
Maihold: Ja, sicherlich. Das wird durch Trump und sein Handeln noch verstärkt. Es gibt Äußerungen von Unterstützern Bolsonaros, dass ihnen jetzt nur noch der liebe Gott und Trump blieben, um das Urteil zu Fall zu bringen.
Es ist also völlig klar, dass hier die Polarisierung voranschreitet. Die Rolle Trumps als Unterstützer von Bolsonaro mit Zöllen als Druckmittel auf die Regierung und die Richter, die daran beteiligt waren, ist ein klarer Hinweis darauf, dass hier eine Internationalisierung des nationalen Konflikts vorangetrieben wird.
NDR Info: Was glauben Sie, wird passieren? Mehr Unruhen und eine weitere Spaltung oder am Ende doch Versöhnung?
Maihold: Eher mehr Spaltung. Wir müssen davon ausgehen, dass jetzt die Mobilisierungen der Bolsonaro-Anhänger auf den Straßen zunehmen und die Regierung von Präsident Luiz Inácio Lula da Silva als Feind, als der Übeltäter dargestellt wird und damit eine Versöhnung nicht möglich ist. Hinzu kommt natürlich auch die massive Fragmentierung im Parlament, die auch nicht dazu beiträgt, Gemeinsamkeiten voranzubringen.
Rückhalt im Finanzsektor und in der Mittelschicht
NDR Info: Alle reden über Bolsonaro, aber wer war denn noch vor Gericht?
Maihold: Das waren der ehemalige Verteidigungsminister, der Ex-Justizminister, seine persönlichen Adjutanten - also der engere Kreis an Unterstützern in seiner Regierung, die er mit in den Plan einbezogen hatte, Lula zu stürzen oder sogar umzubringen. Das ist aber letztendlich an der fehlenden Unterstützung einiger führender Militärs gescheitert, die sich dem nicht anschließen wollten.
NDR Info: Sie sagen, auf den Straßen könnte es unruhig werden. Wie groß ist Bolsonaros Rückhalt heute noch? Also im Establishment, bei den Menschen im Hintergrund, beim Militär - überall dort, wo Geld und Macht vereint sind?
Maihold: Das ist insbesondere im Finanzsektor der Fall. Das gilt auch für den Bereich der Viehzüchter, die eine große Bedeutung für den brasilianischen Außenhandel haben. Und es ist vor allem der Bereich der Mittelschichten, die sich bedroht fühlen durch einen sozialen Abstieg und Bolsonaro als den Retter der brasilianischen Zukunft sehen.
Muss das Oberste Gericht noch einmal an das Urteil ran?
NDR Info: Wie schätzen Sie das ein: War das ein ordentliches Verfahren, das jetzt zu Ende gegangen ist?
Maihold: Ja, es war an sich ein ordnungsgemäßes Verfahren. Die Frage ist nun, ob es ordentlich war, in dem Sinne, dass auch wirklich die verschiedenen Instanzen, die hätten beteiligt werden sollen, auch einbezogen wurden. Darauf bezieht sich ja insbesondere das Argument des abweichenden Richters, der sagt, hierzu hätte das gesamte Plenum des Obersten Gerichtes und nicht nur ein Senat beteiligt werden müssen.
Das ist ein Punkt, an dem sich nun die Revision aufhängen wird, um eine Veränderung des Urteils zu erreichen.
NDR Info: Wenn es aber auch nach der Revision bei diesem Urteil bleibt: 27 Jahre, drei Monate Haft für Bolsonaro. Glauben Sie, dass er diese ganze Zeit im Gefängnis bleiben wird?
Maihold: Nein, sicherlich nicht. Er ist ja schon 70 Jahre alt und auch gesundheitlich angeschlagen. Es gibt sicherlich die Möglichkeit, dass das Oberste Gericht diese Entscheidung noch mal revidiert und ihm etwa eine Fußfessel und Hausarrest verordnet. Aber hierfür braucht es eben eine neue Entscheidung des Obersten Gerichts.
Das Gespräch führte Gerd Wolff, NDR Info.
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