Ungewöhnlich deutliche Worte findet EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen bei ihrer Rede zur Lage der Union im Europaparlament. Besonders die angekündigte Wende in der Israel-Politik sorgt für Aufsehen.

Bevor Ursula von der Leyen nach vorn ans Rednerpult geht, biegt sie links in die erste Reihe der Abgeordnetenbänke ab. Hier sitzen die Fraktionsspitzen des Europaparlaments.

Fast alle werden von der Kommissionspräsidentin persönlich begrüßt, manche bekommen mehrere Bisous von ihr,  Küsschen links, Küsschen rechts. Der Fraktionsvorsitzende der Grünen, Bas Eickhout, kommt genauso in den Genuss der herzlichen Begrüßung wie Parteifreund Manfred Weber, CSU, Vorsitzender der Europäischen Volkspartei.

Wer will, kann das als Zeichen gegen die Polarisierung im Parlament interpretieren. Oder als ein Signal für eine breite Basis pro-europäischer Parteien. Oder einfach nur als eine entspannende Geste, weil im Vorfeld viel davon die Rede war, dass die Abgeordneten geladen aus der Sommerpause nach Straßburg gekommen sind.

Die Zumutungen aus dem Zoll-Deal mit Donald Trump, Europas vorsichtiger Umgang mit Israel - Ursula von der Leyen werde dafür verantwortlich gemacht, hieß es, Unmut habe sich zusammengebraut, in mehreren Parteien.

Ungewöhnlicher erster Satz

Angekommen am Rednerpult steigt Ursula von der Leyen mit einem ungewöhnlichen Satz ein. "Europa befindet sich in einem Kampf", sagt sie als allerersten Satz. Sie habe sich das lange überlegt, vertraut sie den Abgeordneten an, ob sie eine Rede zur Lage der Union wirklich mit solch einem "schonungslosen" Einstieg beginnen sollte. Aber die Lage sei nun einmal schwierig nach diesem Sommer.

Für von der Leyen ist klar, Europas Zukunft steht auf dem Spiel, die Freiheit des Kontinents. Es gibt aus ihrer Sicht nichts schönzureden an den Großmachtfantasien einiger, die dazu führen, dass gerade eine auf bloße Macht und Stärke aufgebaute neue Weltordnung entsteht. Deshalb müsse ein "neues Europa" entstehen.

Wende in der Israel-Politik

Nach dem Prolog wird die Kommissionschefin relativ schnell konkret - mit einer Wende in der Israel-Politik, die ihre Parteifreunde aus den Reihen von CDU und CSU so schnell nicht mitvollziehen wollen. Manche sind regelrecht entsetzt, als sie "ihre" Kommissionspräsidentin hören. Die EU werde ihre bilateralen Zahlungen an Israel stoppen, kündigt Ursula von der Leyen an.

Zwar nimmt sie die Gelder für die Arbeit der israelischen Zivilgesellschaft aus und auch die Unterstützung für die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem ist davon nicht betroffen. Aber die Aufkündigung der Geldzuweisungen entsetzt manche in der Union regelrecht. "Ich bin schockiert über die Einseitigkeit des Vorschlags der Kommissionspräsidentin", schreibt die CDU-Europaabgeordnete Hildegard Bentele auf der Plattform X noch während der Rede.

Das sei "verheerend" für den künftigen Dialog mit Israel. Auch Dennis Radke, Europaabgeordneter und Bundesvorsitzender des CDU-Arbeitnehmerflügels, macht sein Unbehagen öffentlich. "Ich bin über weite Strecken enttäuscht", erklärt er gegenüber der Augsburger Allgemeinen, "über die Einseitigkeit in Sachen Israel sogar entsetzt".

"Schmerzhafte" Uneinigkeit Europas

Nicht selten ist Ursula von der Leyen aus einigen Hauptstädten vorgeworfen worden, sie handle gegenüber Israel zu sehr mit deutscher Vorsicht, spreche aber nicht für Europa. An diesem Mittwoch in Straßburg scheint sie dagegen einen Kontrapunkt setzen zu wollen.

In den vergangenen Monaten habe sich grundsätzlich etwas verändert in der Region, berichtet sie und zählt auf: Die palästinensische Behörde werde finanziell ausgetrocknet, Pläne für neue Siedlungen würden das besetzte Westjordanland faktisch von Ostjerusalem abschneiden, besonders extremistische Minister der israelischen Regierung würden mit Worten und Taten die Gewalt anstacheln.

"Schmerzhaft" nennt sie die Uneinigkeit der EU-Mitgliedsländer in der Frage von Sanktionen gegen Israel - das darf man in Berlin als Kritik an der Haltung der Bundesregierung werten, denn die für solche Sanktionen nötige qualifizierte Mehrheit scheiterte bisher am Nein aus Deutschland.

Einseitigkeit muss die Kommissionspräsidentin sich allerdings nicht vorwerfen lassen. Genauso offen wie Israel wird die andere Seite kritisiert - die Hamas seien Terroristen, die nicht nur Israel vernichten wollen, sondern auch das eigene Volk in Gaza mit Terror überziehen.

Auch die Forderung nach Freilassung der Geiseln fehlt nicht in der Rede - aber das kann die parteiinternen Kritiker schon nicht mehr besänftigen, der Vorwurf der falschen Akzente steht im Raum, zu heftig ist aus ihrer Sicht der gerade im Straßburger Plenum vollzogene Kurswechsel gegenüber Israel.

Bekenntnis zu Klimazielen

Auch bei den wenigen Passagen, die Ursula von der Leyen der Umwelt- und Klimapolitik widmet, dürfte sie hinter den Erwartungen einiger Unionskollegen zurückgeblieben sein. Das von den Christdemokraten jetzt offen herbeigesehnte Aus vom Verbrenner-Aus kommt nicht vor, dafür aber ein Bekenntnis zum Fahrplan für die Einhaltung der Klimaziele.

Auch beim Thema Zukunft des Autos kann sich von der Leyen den Pfeil in Richtung Deutschland nicht verkneifen. "Millionen Menschen in Europa wollen bezahlbare europäische Autos kaufen", sagt sie und damit steht die Frage im Raum, warum die deutschen Autohersteller da hinterherhinken und Firmen aus China schon seit langem günstige E-Autos anbieten können.

Die Kommissionspräsidenten scheint entschlossen, hier einen Vorstoß zu machen. Sie plant eine Initiative für kleine, bezahlbare Autos ins Leben zu rufen, gemeinsam mit der Wirtschaft.

Das bringt ihr Lob aus den Reihen der Grünen ein. "Ihre Rede war gut", ruft die deutsche Europaabgeordnete Anna Cavazzini der Präsidentin zu, besonders hat ihr der Appell "Kurshalten beim Green Deal" gefallen. Allerdings sieht Cavazzini ein Problem bei der Umsetzung. "Ihre eigene Fraktion attackiert immer wieder wichtige Gesetze wie das Verbrenner-Aus", so Cavazzini, das zwinge die Unternehmen in einen Zick-Zack-Kurs, wo diese doch gerade jetzt Planungssicherheit bräuchten.

Allianz für die Ukraine

Ungeteilt positiv dagegen das Echo beim Thema Ukraine. Die Kommissionschefin will, dass die EU gemeinsam mit der Ukraine Drohnen produziert, dazu soll eine Allianz gebildet werden. Sechs Milliarden Euro stellt von der Leyen in Aussicht, das Geld soll über ein Darlehen kommen, das mit den Zinserträgen aus den eingefrorenen russischen Vermögenswerten finanziert wird.

Wie schon bei früheren Reden zur Lage der Union versucht Ursula von der Leyen, die großen politischen Themen auf die Folgen für die Menschen runterzubrechen. Zu Gast in der Straßburger Parlamentsdebatte ist dieses Mal eine ukrainische Mutter, sie hat ihren Sohn mitgebracht. Sämtliche verschleppten Kinder der Ukraine müssten zurück nach Hause kommen, fordert von der Leyen unter dem Applaus des Plenums.

Auf einige Abgeordnete wirkt das etwas inszeniert, andere sprechen von einem belebenden Element - und davon, dass mehr getan werden muss, um die Europapolitik näher an die Menschen zu bringen.

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