Es war Bayrous Flucht nach vorn, nun ist klar: Frankreichs Premier muss das Feld räumen. Was folgt nach der verlorenen Vertrauensabstimmung? Und was bedeutet das für den französischen Präsidenten Macron?
Wie ist es zur Vertrauensabstimmung gekommen?
Frankreich ist hochverschuldet. Nach Ansicht des nun gestürzten Premiers François Bayrou führt kein Weg aus der finanziellen Misere an einem eisernen Sparkurs vorbei.
Das Staatsdefizit wollte er im kommenden Jahr auf unter 4,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts senken. Für dieses Jahr wird noch mit einem Defizit von 5,8 Prozent gerechnet - bei einem europäischen Grenzwert von 3 Prozent.
Bayrous Sparplan sah ein Einsparvolumen von rund 44 Milliarden Euro vor, die öffentlichen Ausgaben mit Ausnahme der Verteidigung sollten eingeschränkt, Renten und Sozialleistungen eingefroren und zwei der insgesamt elf Feiertage abgeschafft werden.
Bei der Opposition und bei den Gewerkschaften löste der Sparplan massive Kritik aus. Es galt als durchaus wahrscheinlich, dass die Mitte-Rechts-Regierung darüber in den kommenden Wochen von der Opposition gestürzt worden wäre.
Daher ergriff Bayrou die Flucht nach vorn und stellte die Vertrauensfrage - trotz des absehbaren Ausgangs, denn diverse Vertreter aus dem linken und dem rechten Lager hatten im Vorfeld angekündigt, Bayrou das Vertrauen zu entziehen.
Was passiert nun nach der verlorenen Abstimmung?
Der nun eingetretene Ausgang des Votums zieht automatisch einen Rücktritt von Bayrous Regierung nach sich. Präsident Emmanuel Macron muss nun einen neuen Regierungschef bestimmen. Theoretisch könnte er auch Neuwahlen ausrufen, doch dieses Szenario schloss der Staatschef bislang aus.
Für die Ernennung eines neuen Premierministers gibt es keine Frist. Bis dahin bleibt die vorige Regierung "geschäftsführend" im Amt. Das bedeutet, dass sie sich weiter um laufende Angelegenheiten kümmert. Neue Gesetzesvorhaben oder Entscheidungen, die die künftige Regierung betreffen würden, sind jedoch nicht möglich.
Warum gibt es wohl keine Neuwahlen?
Die Franzosen waren erst im Sommer 2024 zu vorgezogenen Neuwahlen aufgerufen worden. Präsident Macron hatte dies nach dem starken Abschneiden der Rechtsradikalen bei der Europawahl getan - und sich dabei verspekuliert. Denn statt gestärkt aus der Wahl hervorzugehen, verlor sein Mitte-Bündnis die ohnehin dünne Mehrheit.
Seitdem ist die Nationalversammlung in drei Blöcke gespalten: das rechte, das linksgrüne und das Regierungslager. Umfragen zufolge dürften sich die Mehrheitsverhältnisse bei möglichen Neuwahlen derzeit nicht wesentlich ändern.
Wer könnte neuer Premier werden?
Nach der Neuwahl 2024 hat das Links-Bündnis aus Sozialisten, Grünen, Linkspartei LFI und den Kommunisten die meisten Sitze im Parlament - daher fordert das Lager seit vergangenem Jahr auch einen Regierungschef aus den eigenen Reihen, so wie es in Frankreich traditionell geschieht. Macron hatte diesen Wunsch den Linken bisher allerdings verweigert.
In seiner Wahl ist Macron völlig frei. Es ist jedoch bereits absehbar, dass auch Bayrous Nachfolger angesichts der komplizierten Mehrheitsverhältnisse in der Nationalversammlung die Hände gebunden sein werden.
Die einzige Chance, beispielsweise einen Sparhaushalt für 2026 durchzusetzen, besteht nach Ansicht von Experten darin, nun um die Unterstützung der gemäßigten Sozialisten zu werben. Ob Macron diesen Weg geht, ist allerdings unklar.
Im Gespräch sind weiterhin vor allem Kandidaten aus dem Regierungslager: Etwa Justizminister Gérald Darmanin, Finanzminister Eric Lombard und Verteidigungsminister Sébastien Lecornu. Auch Arbeitsministerin Catherine Vautrin wird genannt.
Wie schnell ist mit einer Neubesetzung zu rechnen?
Es wird damit gerechnet, dass Macron sich mit der Ernennung eines neuen Premiers nicht lange Zeit lassen wird, denn Frankreich steht eine Streik- und Protestwelle bevor. Bereits kurz nach Bayrous Vorstellung seines Sparhaushalts verbreitete sich in Frankreich ein Aufruf, am kommenden Mittwoch das ganze Land zu blockieren.
Obwohl weiterhin unklar ist, wer hinter dem Aufruf "Bloquons tout" (Blockieren wir alles) steckt, sind die Sicherheitskräfte in Alarmbereitschaft. Es wird mit bis zu 100.000 Protestierenden und spektakulären Blockade- und Sabotageaktionen gerechnet.
Für den 18. September haben dann die Gewerkschaften zu landesweiten Streiks und Kundgebungen gegen den Sparkurs der Regierung aufgerufen. Inzwischen nehmen diese Proteste das Ausmaß eines Generalstreiks an, die Pariser Verkehrsbetriebe und die Eisenbahn sollen bestreikt werden, und auch die Fluglotsen haben zu einem Streik aufgerufen.
Spätestens zu diesem Datum dürfte Macron wieder einen neuen Premier und eine neue Regierungsmannschaft am Start haben wollen, um nicht selbst in den Hauptfokus der Proteste zu rücken, vermuteten französische Medien.
Der neue Premierminister stellt üblicherweise innerhalb weniger Tage eine neue Regierungsmannschaft vor.
Was bedeutet das Votum für Macrons politische Zukunft?
Die häufigen Regierungswechsel erinnern an italienische Verhältnisse vor einigen Jahren - und sie schränken die Handlungsfähigkeit Macrons erheblich ein. Zurücktreten muss er dennoch nicht. Denn bei der Abstimmung ging es nur um die Regierung, nicht um Macron, der als Staatschef direkt vom Volk gewählt ist.
Obwohl inzwischen zwei Drittel der Franzosen laut Umfragen eine vorgezogene Präsidentschaftswahl befürworten - die nächste steht regulär 2027 an -, schließt Macron dies bislang kategorisch aus.
Die Schuld für die instabile politische Lage dürften viele nun aber erst recht dem Präsidenten in die Schuhe schieben. Denn die komplizierte Gemengelage, in der keine politische Kraft über eine eigene Mehrheit verfügt, ist ein Ergebnis seiner 2024 herbeigeführten Parlamentsneuwahl.
Die Linken haben bereits jetzt eine vorgezogene Präsidentschaftswahl gefordert. Die Rechtsnationalen dürften sich bei aller Kritik an Macron hier bedeckt halten. Denn noch steht wegen eines laufenden Justizverfahrens nicht fest, ob ihre Fraktionsvorsitzende Marine Le Pen bei einer Wahl überhaupt antreten dürfte. Sie machen allerdings Druck auf Macron, das Parlament erneut aufzulösen - in der Hoffnung auf weiteren Stimmzuwachs.
Quellen: AFP, dpa, Reuters
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke