Chinas kommunistische Führung feiert das Ende des Zweiten Weltkriegs in Asien. Dabei stellt sie die Geschichte anders dar. Denn der Sieg über Japan soll den eigenen Anspruch auf eine globale Führungsrolle untermauern.
Es ist die letzte Chance für die kaiserlichen japanischen Truppen, die weiße Fahne zu hissen. "Gebt auf!", ruft der chinesische Soldat der kommunistischen Einheiten durch eine Blech-Flüstertüte den Besatzern zu. Als keine Reaktion kommt, stürmen die Soldaten hinter den Sandsäcken hervor - zum Sieg gegen Japan. Durch den Pulverdampf folgen ihnen Hunderte Menschen in Freizeitkleidung, bewaffnet vor allem mit Handys oder Sonnenschirmen.
In China wird in diesen Tagen mit solchen Freilufttheaterspielen an das Ende des Zweiten Weltkriegs erinnert. Das soll nicht nur an die eigene Geschichte sowie die Gräueltaten erinnern, die japanische Truppen auf chinesischem Boden verübten. Es hat auch viel mit der aktuellen Politik der chinesischen Führung zu tun.
Fakt ist: China hatte länger unter dem Krieg zu leiden als Europa. Weite Teile des Landes lagen am Ende in Trümmern, mindestens 13 Millionen Menschen kamen um. 1937 begann das japanische Kaiserreich mit einer großen Offensive in China - also etwa zwei Jahre vor dem Überfall Nazi-Deutschlands auf Polen. Jahre zuvor hatte Japan bereits die Mandschurei im Nordosten Chinas besetzt.
Japans hochgerüstete Armee traf auf ein Land im Bürgerkrieg. Die damalige Republik China wurde von Chiang Kaishek und seiner Nationalpartei Kuomintang regiert. Einer seiner größten Gegner waren die Kommunisten unter ihrem Führer Mao Tse-Tung. Gegen die japanischen Truppen schlossen sich beide Seiten notgedrungen zusammen, blieben aber verfeindet.

In China sollen derzeit Freiluft-Aufführungen an das Ende des Zweiten Weltkriegs und den Sieg über Japan erinnern.
Kommunisten spielten im Krieg untergeordnete Rolle
Die Hauptlast im Krieg gegen Japan trug allerdings die Kuomintang. Sie führte offene Feldschlachten und musste sich immer weiter in Richtung Chinas Westen zurückziehen. Maos Kommunisten führten hingegen meist einen Guerillakrieg hinter den Linien der Japaner. Am Ende waren die Verluste der Kuomintang nach Schätzungen etwa acht Mal so hoch wie die der Kommunisten.
In den Freilichttheaterspielen sind es aber Maos Truppen, die am Ende die Japaner besiegen. "Lang lebe die Kommunistische Partei", skandieren die Laienschauspieler, das Publikum soll mitrufen. Darstellerin Liu Nenjuan, eine sechzigjährige Dorfbewohnerin in blauer Partisanenkleidung, schwingt eine altertümliche Pistole. "Wir sind der Kommunistischen Partei sehr dankbar, dass sie die Japaner vertrieben hat. Hätte ich damals gelebt, ich hätte auch mitgekämpft", sagt sie und lacht. Ein Junge, der während des Stücks mit einem Spielzeuggewehr nach vorne stürmt, ruft: "Es ist toll, die japanischen Teufel in die Flucht zu schlagen!"

Eine Gruppe mit der Flagge der Kommunistischen Partei Chinas vor dem "Museum des Widerstands-Krieges des chinesischen Volkes gegen die japanische Aggression".
"Die Angriffe der Kommunisten damals haben durchaus eine wichtige Rolle gespielt", sagt der britische Historiker Rana Mitter, der mehrere Bücher über Chinas Blick auf die Geschichte geschrieben hat. Sie seien aber nicht entscheidend für den Sieg über Japan gewesen. Die großen Schlachten seien von den Nationalisten bestritten worden.
Im zentralen Museum für diesen Krieg in der Hauptstadt Peking, dem "Museum des Widerstands-Krieges des chinesischen Volkes gegen die japanische Aggression", wird ein anderer Eindruck erweckt. Überall hängen Mao-Fotos, aus verschiedenen Abschnitten des Krieges.

Überall im "Museum des Widerstands-Krieges des chinesischen Volkes gegen die japanische Aggression" hängen Fotos von Mao Tse-Tung.
Versuch, das Erbe der Nationalisten zu beanspruchen
Die Kuomintang tritt am Rande auf. Immerhin bekommt sie überhaupt einen Platz im nationalen Gedenken. Das war unter Mao noch anders. Historiker Mitter sieht darin auch den Versuch der Kommunistischen Partei, das Erbe der Kuomintang für sich zu beanspruchen. Die Republik China war nach dem Weltkrieg Gründungsmitglied der UN - allerdings unter Maos Rivalen Chiang Kaishek, bevor dieser von den kommunistischen Truppen nach Taiwan vertrieben wurde.
Die heutige Führung der Volksrepublik leitet von Chinas Status als Siegermacht nach dem Zweiten Weltkrieg ihren Anspruch für eine stärkere Rolle in der Geopolitik ab. China sei ein Bewahrer der internationalen Ordnung, heißt es. Ein starkes China unter kommunistischer Führung, mit einem starken Militär, so das Narrativ, müsse die Lehre aus dem Zweiten Weltkrieg sein.
Das zeigt sich selbst im Souvenirladen des Museums. Panzer zum Zusammenbauen und Granaten aus Plüsch für die Kleinsten gibt es da. An einer Granate hängt der Spruch "Mach Dir keine Illusionen, bereite Dich auf den Kampf vor". Manches Kind spaziert gleich mit einem Spielzeuggewehr in der Hand durch das Museum.

Im Andenkenladen des Museums gibt es auch Plüsch-Handgranaten. "Mach Dir keine Illusionen, bereite Dich auf den Kampf vor", steht daran unter anderem.
Geopolitische Lage beeinflusst Geschichtsschreibung
Die kommunistische Regierung der Volksrepublik betont immer wieder, China sei ein friedliebendes Land. Viele Anrainerstaaten des Südchinesischen Meeres befürchten wegen Chinas Aufrüstung und seinen Gebietsansprüchen jedoch etwas anderes. Zudem steht Chinas Drohung im Raum, die demokratisch regierte Insel Taiwan notfalls mit Gewalt unter seine Kontrolle zu bringen.
Die geopolitische Lage spiegelt sich auch in dem Kriegsmuseum wider. Von einem entscheidenden Ereignis, das zur Niederlage Japans führte, findet sich nur ein kleines Foto: die Atombombenabwürfe der USA auf Japan.
Dagegen wird die Rolle der sowjetischen Unterstützung gegen Japan in den frühen Kriegstagen hervorgehoben. Offenbar ein Zeichen, wie eng das Verhältnis zwischen China und Russland inzwischen geworden ist, seitdem sich beide Seiten eine enge Partnerschaft geschworen haben, von der China trotz des russischen Kriegs gegen die Ukraine nicht ablässt und Russland weiter unterstützt.
Gedenken mit anderen Autokraten
Das zeigt sich auch daran, dass Kremlchef Wladimir Putin - neben Nordkoreas Diktator Kim Jong Un und weiteren Gästen - zu einer großen Militärparade am 3. September nach Peking kommt. Mit dem Aufmarsch Tausender Soldaten mit neustem Militärgerät soll an das Ende des Zweiten Weltkriegs vor 80 Jahren erinnert werden. Damit will Chinas kommunistische Führung ein Zeichen der Stärke setzen. Zahlenmäßig verfügt das Land über die größte Armee und die größte Flotte weltweit.
Das Narrativ einer historischen Freundschaft mit Moskau im Zweiten Weltkrieg hat allerdings seine Schönheitsfehler. Darauf weist Historiker Mitter hin: "Unter allen Alliierten war es die Sowjetunion, die sich gegenüber Japan die meiste Zeit neutral verhalten hat - bis zum August 1945, kurz vor Kriegsende."
Das kommunistische China jedenfalls sieht sich mit an vorderster Front im historischen Kampf gegen den Faschismus. Im Gedenken daran werden bei der Parade in Peking allerdings vor allem Vertreter aus autoritären Staaten sitzen.
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