Viele Menschen in der Ukraine haben keine andere Wahl, als im Land Urlaub zu machen. Die meisten Männer dürfen nicht ins Ausland reisen - den Familien bleibt nur der Urlaub im Kriegsgebiet. Können sie am Strand von Odessa abschalten?
Es ist ein sonniger Badetag am Strand von Odessa am Schwarzen Meer. Bei 26 Grad Lufttemperatur liegen die Badegäste Handtuch an Handtuch, Liege an Liege. Mittendrin ist Familie Kinder aus Kiew. Sie hätten deutsche Wurzeln, daher der Name, erzählt Oma Valentina. Odessa, das sei ihre absolute Lieblingsstadt mit ihrem Charme, mit ihrer Schönheit und ihren Menschen. Sie habe schon andere Metropolen und Strände gesehen, sagt Valentina weiter, alle sehr schön. "Aber Odessa ist für mich etwas Vertrautes. Es gehört zu uns, zur Ukraine."
Zum ersten Mal seit Beginn der Großinvasion sind Valentina und ihr Mann hier. Sie hatten bislang einfach zu viel Angst, während des Krieges zu verreisen, erzählt sie. Doch jetzt sind sie zusammen mit Tochter Tetjana, ihrem Schwiegersohn und den Enkelkindern nach Odessa gefahren und genießen die Zeit am Schwarzen Meer.
Trotz Urlaubsstimmung - auch Odessa ist ein Kriegsschauplatz. Wie überall in der Ukraine gibt es auch hier keine absolute Sicherheit. Im Gegenteil: Die Nähe zur von Russland besetzten Halbinsel Krim und die Lage am Schwarzen Meer machen Odessa sogar gefährlicher als andere Orte im Landesinneren. Raketen, die von der Krim abgeschossen werden, können in wenigen Minuten in der Hafenstadt einschlagen.
Im Juni war Valentinas Tochter Tetjana mit ihrer Familie schon mal hier und erlebte einen Drohnenangriff mit. Schon eine Minute nach dem Alarm habe es "geknallt", erinnert sie sich, ganz in der Nähe, nur 400 Meter von ihnen entfernt. Mit ihren Kindern sei sie gleich als der Alarm ertönte ins nächste Parkhaus geeilt - aber da habe es schon die ersten Einschläge gegeben.
Vor dem Strand stürzen die Drohnen ab
In den sozialen Netzwerken teilen die Menschen Videos von den Angriffen. Sie zeigen Drohnen, die über dem Schwarzen Meer fliegen, während die Menschen in der Sonne am Strand liegen. In manchen Clips ist zu sehen, wie die Drohnen abgeschossen werden und ins Meer stürzen, während die Badegäste applaudieren.
Es sind Szenen aus dem Kriegsalltag, den viele Urlauber so oder so ähnlich auch von zu Hause gewohnt sind. Auch Dmytro Tschuiko, der mit seiner Frau und dem elf Monate alten Sohn aus Kiew nach Odessa gekommen ist, für ein paar Tage Urlaub. An Drohnenangriffe habe sich die Familie inzwischen gewöhnt, sagt er, die sehe und höre man jeden Tag. Am Anfang seien sie noch weggelaufen, aber wohin solle man laufen, wenn man nicht wisse, wo die Drohnen einschlagen. "Irgendwann hörst du auf, in den Keller herunterzugehen, wirst sorglos und vergisst, dass es gefährlich ist."
Andere sind noch Schlimmeres gewohnt. Olexandra Sadowska kommt aus Sumy, einer Stadt im Norden der Ukraine, wo die Front nah ist. Fast täglich gibt es heftige Angriffe in der Region. Sadowska genießt nun die Ruhe in der großen Stadt. Und wenn doch etwas explodiere, höre sie es womöglich in ihrer Unterkunft vielleicht nicht. "Man hat Zeit, den Krieg zu vergessen, aber dann holt er einen wieder ein. In Sumy vergisst man ihn nie. In Sumy wird man ständig daran erinnert."
Gefahr durch Seeminen
Außer Drohnenangriffen kommt es in der Region um die Stadt Odessa auch immer wieder zu tödlichen Unfällen im Meer. An manchen Stränden liegen Seeminen oder Teile von abgeschossenen Drohnen und Raketen im Wasser.
Diese Orte sind eigentlich für Badegäste gesperrt, doch nicht alle halten sich an das Verbot. So wie vor zwei Wochen, als zwei Männer und eine Frau im Ferienort Satoka an einem verbotenen Abschnitt im Meer schwimmen waren. Eine Seemine explodierte. Alle drei starben.
In Odessa dagegen droht an den Stränden keine Gefahr durch Minen. Die mehr als 40 Bereiche zum Baden sind geöffnet. Iwan Liptuga beobachtet, wie seit den letzten Jahren die Besucherzahlen förmlich durch die Decke gehen. Seit 2012, als die Ukraine Mitausrichterin der Fußball-EM war, habe es nicht mehr so viele Touristen in der Stadt gegeben, sagt der Direktor der Marketingabteilung der Stadtverwaltung. Er kann das an den deutlich höheren Einnahmen durch die Kurtaxe ablesen. "Trotz des Krieges kommen heute Menschen nach Odessa", freut er sich.

Die russischen Angriffe gehören weiter zum Alltag in Odessa - hier wurde ein Marktgelände in der Stadt zerstört.
Ein paar Tage ohne Luftangriffe
Im Gegensatz zu den Jahren vor der Großinvasion sind aber kaum Ausländer hier. Die Touristen kommen vor allem aus dem Inland, wie die Familie Kinder. Tetjana will trotz Krieg ihren Urlaub genießen. Gerade in so einer Zeit wie jetzt sei das wichtig, findet sie.
"Ich möchte auch positive Gefühle haben. Es herrscht Krieg, und trotzdem erfreuen sich die Menschen am Leben. Sie trinken, sie entspannen sich, sie baden, sie hören nicht auf, das Leben zu genießen." Und da störe auch die Fülle am Strand nicht. Alle seien freundlich, niemand fühle sich gestört.
Fünf schöne Tage haben die Kinders in Odessa erlebt. Bald schon geht es wieder zurück nach Kiew. Vorher genießen sie noch einmal die Sonne am Schwarzen Meer. Ein Tag mit echter Urlaubsstimmung in Odessa - ohne russische Luftangriffe.
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