Polens Präsident will ukrainischen Geflüchteten Sozialleistungen streichen, wenn sie nicht arbeiten. Zugleich verhindert er, dass Arbeitserlaubnisse verlängert werden. Kritiker sagen: Nawrocki geht es eigentlich um etwas ganz anderes.
Karol Nawrocki ist noch keinen Monat im Amt, da untermauert er als neuer Präsident Polens die schon im Wahlkampf oft geäußerte Befürchtung, er werde vor allem die liberal-konservative Regierungskoalition von Donald Tusk angreifen. Erst gab es Streit zwischen dem Präsidenten und der Regierung, wer das Land außenpolitisch vertreten soll. Dann hat Nawrocki sein Vetorecht genutzt, um den Bau von Windkraftanlagen aufzuhalten.
Jetzt aber ist er einen Schritt gegangen, den selbst viele seiner Anhänger für radikal halten. Per Veto hat Nawrocki die Hilfe für Geflüchtete aus der Ukraine gekürzt und dabei - bewusst oder unbewusst - gleichzeitig verhindert, dass etwa 700.000 in Polen arbeitenden Ukrainerinnen und Ukrainer die Arbeitserlaubnis verlängert wird.
"Polen zuerst, die Polen zuerst"
Während Nawrocki also am Montag erneut ein Regierungsvorhaben per Veto aufhält, postet sein Team bei X ein dramatisches Video. Es sei Zeit, Nawrockis Regel anzuwenden: "Polen zuerst, die Polen zuerst".
Zeitgleich blockiert Nawrocki per Veto ein Gesetz, dass die bisherige Hilfe für ukrainische Geflüchtete, aber auch für die Ukraine selbst um ein halbes Jahr verlängern sollte. Vor allem auf das sogenannte Kindergeldprogramm "800+" hat es der Präsident abgesehen.
Kindergeld nur noch für Berufstätige?
"Es ist im Interesse Polens, die Ukraine in diesem Konflikt militärisch und ganz grundsätzlich zu unterstützen", versicherte Nawrocki zwar. Aber nach dreieinhalb Jahren habe sich die Situation bei den polnischen öffentlichen Finanzen und auch bei den politischen, sozialen Emotionen grundsätzlich geändert. Darum betonte der Präsident: "Ich bin der Meinung, '800+' soll nur den Geflüchteten aus der Ukraine zustehen, die berufstätig sind."
Tatsächlich hatte selbst der Präsidentschaftskandidat der regierenden Bürgerplattform von Regierungschef Tusk im Wahlkampf einen ähnlichen Schritt vorgeschlagen. Auch bei den Polinnen und Polen ist ein Stimmungswandel zu beobachten. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts CBOS sprach sich im Frühjahr nur noch die Hälfte der Befragten dafür aus, Menschen aus der Ukraine aufzunehmen.
Großteil der ukrainischen Geflüchteten arbeitet
Was dabei kaum eine Rolle spielt, ist, dass fast 70 Prozent der ukrainischen Geflüchteten im Erwerbsalter bereits arbeiten. Und Ökonomen zeigen immer wieder auf, dass die Ukrainerinnen und Ukrainer deutlich mehr erwirtschafteten und an Steuern zahlten, als sie vom polnischen Staat an Hilfe erhalten würden.
Der Präsident setzt trotzdem auf "Polen zuerst" und nimmt in Kauf, dass sein Veto nebenbei dafür sorgt, dass in wenigen Wochen ausgerechnet die für etwa 700.000 Geflüchtete ausgestellte Arbeitserlaubnis auslaufen könnte. Denn auch diese hätten mit dem Gesetz verlängert werden sollen. Genau wie etwa 25.000 Starlink-Terminals, die von Polen finanziert werden und der Ukraine, vor allem der ukrainischen Armee, Internetzugang zur Verfügung stellen.
Verteidigungsminister wirft Nawrocki "Missbrauch des Vetos" vor
Entsprechend scharf kritisiert Verteidigungsminister Wladyslaw Kosiniak-Kamysz das Veto von Nawrocki: "Diese Sache betrifft nicht '800+' - es geht um die Sicherheit Polens." Die Entscheidung des Präsidenten, sein "Missbrauch des Vetos", diene "einzig und allein dem eigenen politischen Lager, nicht aber dem gemeinsamen Wohl", mahnte Kosiniak-Kamysz.
Mehrere Hunderttausend Ukrainerinnen und Ukrainer und mutmaßlich die Regierung in Kiew hoffen jetzt darauf, dass die polnische Regierung noch im September einen Kompromissvorschlag findet, den Nawrocki nicht per Veto abschmettert. Aber die Zeit ist knapp - und dem neuen polnischen Präsidenten, so vermuten viele Beobachter, geht es weder um Ukrainer noch um den Stand der Sozialkassen. Nawrocki plant offenbar für die nächste Parlamentswahl 2027, bei der die rechtspopulistische PiS, die Nawrocki aufgestellt hatte, erneut an die Macht kommen will.
Martin Adam, ARD Warschau, tagesschau, 28.08.2025 09:32 Uhr
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke