Auch bei brütender Hitze harren viele Migranten in Los Angeles zu Hause aus. Zu groß ist die Angst vor einer Festnahme durch die US-Einwanderungsbehörde. Eine Hilfsorganisation wird für sie zur letzten Rettungsleine.

Javier Garcia Santana kann weder sprechen noch hören. Der 32-Jährige verständigt sich mit Handzeichen und ist auf Hilfe angewiesen. Als vor wenigen Wochen vermummte Beamte der US-Einwanderungsbehörde die Auto-Waschanlage stürmen, in der er arbeitet, gerät er in Panik, erzählt sein Bruder Miguel.

"Er war überrascht und verängstigt", sagt Miguel Garcia Santana. Er habe nicht gewusst, was er tun soll. "Er hat versucht, sein Handy herauszuholen, um ihnen aufzuschreiben, dass er gehörlos ist, aber sie nahmen es ihm weg. Genauso wie sein Brieftasche."

Anwältin: "Unrechtmäßig und illegal"

Die Beamten nehmen Javier fest - trotz Arbeitserlaubnis und Aufenthaltstitel. Sie setzen ihn in einen Flieger nach Texas. Dort kommt er in Untersuchungshaft. Erst nach 23 Tagen gelingt es seiner Familie mit ihm in Kontakt zu treten und seine Entlassung zu erwirken - dank Anwältin Roxana Muro. Sie hat einen solchen Fall in ihrer Berufslaufbahn noch nicht erlebt.

"Das ist unrechtmäßig und illegal", sagt Muro. "Die US-Verfassung schützt jeden in unserem Land vor ungerechtfertigten Durchsuchungen und Beschlagnahmungen. Diese Rechte werden jeden Tag verletzt."

Zu Hause bleiben - aus Angst vor Festnahme

In einer Lagerhalle im ärmeren Süden von Los Angeles stapeln sich Hunderte Kisten mit Lebensmitteln. Alles Spenden, die Freiwillige der Organisation CLEAN (Carwash Worker Center and the South Central Unity Coalition) in Kartons packen. Seit die Einwanderungsbehörde so rigoros und scheinbar willkürlich gegen Migranten vorgeht, trauen sich viele von ihnen nicht mehr aus dem Haus. Sie gingen weder in den Supermarkt noch zur Arbeit, um jedes unnötige Risiko zu vermeiden, sagt Kevin Amador. Er selbst ist Sohn mexikanischer Einwanderer.

Drei Mal die Woche fährt Kevin von Tür zu Tür, um bis zu 50 Familien zu versorgen. "Wir geben ihnen das Nötigste: Brot, Milch, Obst und Gemüse, Eier", sagt Kevin. "Einige Familien, die zusätzliche Hilfe benötigen, versorgen wir mit Toilettenpapier, Spülmittel, Handseife, Nudeln, einfach kleinen Dingen, die sie brauchen."

Ehrenamtliche bringen in Los Angeles das Allernötigste zu verängstigten Migranten.

Razzien vor Kindergärten, Kirchen und Baumärkten

3.000 Festnahmen täglich hat die US-Regierung als Ziel ausgegeben. Um das zu erreichen, scheint ihr jedes Mittel recht. Razzien gibt es nahezu täglich, sagt Kevin. Vor Schulen und Kindergärten, an Kirchen, Baumärkten und Bushaltestellen.

"Niemand weiß wirklich, was passieren wird, wann es passieren wird oder hinter wem sie her sind", sagt der ehrenamtliche Helfer. "Es ist nicht nur aus moralischer Sicht falsch, was sie tun. Auch aus rechtlicher Sicht scheint es falsch zu sein."

"Hatte noch nie Probleme, das ist eine Ungerechtigkeit"

Hinter der Eingangstür eines kleinen Wohnhauses wartet eine Frau auf Kevin. Sie lebt mit ihren drei eigenen Kindern und neun Enkeln zusammen auf engstem Raum und möchte anonym bleiben. Seit Wochen seien sie praktisch eingesperrt, erzählt sie. Trotz Hitzewelle und fehlender Klimaanlage. Ihre Familie fühle sich politisch verfolgt - von der US-Einwanderungsbehörde.

"Wir sind ehrliche Menschen, die hierhergekommen sind, um zu arbeiten", erzählt die Frau. Sie habe ihre Steuern bezahlt und sei seit 18 Jahren in den USA. "Ich habe eine sehr saubere Weste. Ich hatte noch nie Probleme mit irgendjemandem, und genau da sehen wir die Ungerechtigkeit."

Eine Ungerechtigkeit, die auch Javier erfahren hat. Der gehörlose 32-Jährige geht mittlerweile wieder arbeiten. Ganz der Alte ist er trotzdem noch nicht, sagt sein Bruder. Zu groß ist die Angst, erneut ins Visier der Behörden zu geraten.

Torben Börgers, ARD Washington, tagesschau, 26.08.2025 13:32 Uhr

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