Inhalt des Artikels:
- Immer häufigere Hagelstürme
- Mit Schallkanonen gegen den Hagel
- Mit Flugzeugen und Raketen gegen den Hagel
- Hagelflieger: Nah ran an die Gewitterwolken
- Bauern fordern besseren Schutz gegen Hagel
- Wirksamer Hagel-Schutz überhaupt möglich?
Najden Petrow (links) betreibt mit seinen erwachsenen Kindern zusammen eine Beerenfarm in Bulgarien.Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNKBei seinem Blick in die Wetter-App am Morgen fühlt sich Najden Petrow jeden Tag wie in einem Thriller. Der Mittfünfziger betreibt im Nordosten von Bulgarien eine Beerenfarm. Seine Himbeeren, Erdbeeren, Brombeeren und Heidelbeeren gehen in der Saison täglich an große Supermarktketten in Bulgarien und Rumänien.
Vor sechs Jahren vernichtete ein Hagelsturm die Frühernte seines Familienbetriebs. "Das war einer der schlimmsten Tage meines Lebens", sagt Petrow. "Innerhalb von zwei Stunden gab es vier Hagelstürme, je 15 Minuten lang. Du siehst zu, wie alles zum Teufel geht. Die ganze Arbeit: weg." Petrow zeigt Bilder, Felder voller abgeknickter Pflanzen, weiß vom Hagel, eine Handvoll Hagelkörner, so groß wie Aprikosen. Der Schaden von etwa 400.000 Euro trieb seinen Betrieb fast in den Ruin.
Hagel – Gefahr besonders für Jungpflanzen und Früchte.Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNKImmer häufigere Hagelstürme
Bulgarische Meteorologen registrieren in den vergangenen Jahren immer öfter Hagelstürme. Klimawissenschaftler weisen darauf hin, dass vor allem schwere Hagelunwetter wegen des Klimawandels häufiger auftreten. Die vielen Gebirge in Bulgarien begünstigen die Hagelbildung ohnehin, weil sie den Auftrieb warmer Luft in die eiskalten Atmosphärenschichten verstärken. Geht Hagel nieder, sind reife Beeren auf Najden Petrows Feldern hinüber. Im günstigsten Fall kann er sie dann noch als zweitklassige Ware verscherbeln. Aber auch Kleinbauern in Bulgarien, die Wein, Tabak oder andere Kulturen anbauen, sehen sich vom zunehmenden Hagel in ihrer Existenz bedroht.
Wie entsteht Hagel? (bitte aufklappen)
Hagel kommt immer zusammen mit Gewitter vor. Sehr warme, feuchte Luft steigt nach oben, trifft dort auf kältere Luft und die Feuchtigkeit darin kondensiert zu Regentropfen. Die Regentropfen gefrieren. Starke Luftströme können diese gefrorenen Wassertropfen noch weiter hoch in noch kältere Luft drücken. So reichert sich immer mehr Eis an den Kristallen an. Wenn sie schwerer werden, fallen sie nach unten.
Mit Schallkanonen gegen den Hagel
Bei schweren Hagelstürmen, die ab Frühjahr einsetzen können, werden nicht nur Pflanzen und Früchte im Freien beschädigt. Es kann sogar vorkommen, dass auch die Gewächshäuser weggeweht werden, in denen etwa die empfindlichen Heidelbeeren reifen. Nach einem verheerenden Unwetter und großen Verlusten schaffte Beerenbauer Petrow vor fünf Jahren eine Schallwellenkanone an. 55.000 Euro hat das Gerät gekostet, die Hälfte der Summe stammte aus Fördergeldern.
Die Schallwellenkanone auf dem Feld soll Hagelschäden verhindern.Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNKWissenschaftler sagen aber, die Schallkanone sei nichts als ein teures Placebo. Petrow glaubt trotzdem, dass die ausgestoßenen Schallwellen Hagel verhindern können. 2018 hat der Verband der bulgarischen Beerenerzeuger sogar beim zuständigen Landwirtschaftsministerium durchgesetzt, dass die Schallwellenkanone als offizielle Schutzmethode anerkannt wird. So kann, wie auf Petrows Beerenfarm geschehen, auch staatliches Geld in die Anschaffung einer Schallwellenkanone fließen.
Um die Schallwellenkanone zu benutzen, muss sie mit 15 Minuten Vorlauf angeschaltet werden, erklärt Beerenfarmer Petrow. Kurz vor einem schweren Hagelschlag vor zwei Jahren sah er zwar die Wolken kommen, starker Wind trieb sie aber schneller auf seine Felder zu als erwartet, so dass die Vorlaufzeit für die Schallkanone fehlte.
Mit Flugzeugen und Raketen gegen den Hagel
Der bulgarische Staat ist ebenfalls in der Hagelabwehr aktiv und das schon seit Ende der 1960er Jahre. Heute setzt man darauf, Gewitterwolken mit Silberjodid zu "impfen", ein chemischer Stoff, der bewirkt, dass in der Wolke künstliche Eiskristalle entstehen. So soll sich die Feuchtigkeit in den Wolken auf viele kleinere Kristalle verteilen. Große Hagelkörner sollen auf diese Weise gar nicht erst entstehen.
Der Hagelflieger steht flugbereit im Hangar. Vom Flugzeug aus wird Silberjodid direkt in die Hagelsturmwolken geschossen.Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNKDazu muss das Silberjodid direkt in eine potentielle Hagelwolke geschossen werden. Eine Möglichkeit ist, sie vom Boden aus mit Raketen zu "impfen", eine Methode, die vor allem im ehemaligen Ostblock verbreitet war. Meteorologen bestimmen vorher den aktiven Bereich der Wolke, denn genau dort muss der chemische Wirkstoff freigesetzt werden.
Hagelflieger: Nah ran an die Gewitterwolken
Aber es starten auch Kleinflugzeuge, die das Silberjodid hoch oben in die Wolken schießen. Wasil Nubenow arbeitet bei einem Unternehmen, das im Auftrag der staatlichen Agentur für Hagelabwehr solche Flüge absolviert. Er ist häufig in der Region nahe Najden Petrows Beerenfarm unterwegs und hat dabei schon recht gefährliche Manöver erlebt: "Die Leute, die hier arbeiten, haben alle sehr viel Erfahrung in der Luftfahrt. Früher sind wir um solche Wolken immer herumgeflogen. Und jetzt sind wir – ich will nicht sagen, direkt in ihnen – aber an ihren Rändern, an der Grenze dessen, was möglich und sicher ist." Denn anders als im zivilen Luftverkehr, müssen die Piloten gerade bei gefährlichen Wetterlagen starten und nah an die Gewitterwolken heranfliegen.
Abschussbereite Silberjodid-Munition am HagelfliegerBildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNKBauern fordern besseren Schutz gegen Hagel
Bis zu fünfzehn Millionen Euro lässt sich Bulgarien die Hagelabwehr jährlich kosten. Damit verhindere die staatliche Agentur für Hagelabwehr laut eigenen Angaben Schäden im Wert von rund siebzig Millionen Euro. Ganz unumstritten ist die Wirksamkeit dieser Methode in der Wissenschaft jedoch nicht. Auch in Deutschland nicht, wo sie ebenfalls eingesetzt wird. Klimaforscher wie Michael Kunz in Karlsruhe sprechen sogar davon, dass Hagelschäden in Regionen, wo Hagelflieger eingesetzt werden, nicht geringer ausfallen als in Gebieten, wo keine Flieger eingesetzt werden. In Bulgarien weisen sowohl staatliche Stellen als auch Landwirte auf einen weiteren Punkt hin: Völlig flächendeckend findet die Hagelbekämpfung nicht statt. Schließlich können Hagelraketen und -flieger aus Sicherheitsgründen in dicht besiedelten Gebieten und auf stark frequentierten Flugrouten nicht eingesetzt werden.
Und so fühlen sich viele Landwirte trotz Hagelabwehr nicht ausreichend geschützt, sagt Boschidar Petkow, Vorsitzender des Verbandes der Beerenerzeuger: "Wir sind dankbar für ihren Raketen- und Flugzeugschutz. Aber wir wollen, dass sie die Intensität der Flüge und Raketen erhöhen. Denn bei unseren Produkten kann selbst die kleinste Lücke im Schutz von nur fünf bis zehn Prozent vernichtend sein." Die Ernteausfälle durch Hagel nehmen in den letzten Jahren zu. Petkow hat deshalb alle Hände voll zu tun, Beerenfarmer dabei zu unterstützen, Entschädigung vom Staat zu bekommen.
Auch in Gewächshäusern ist die Ernte vor sehr schweren Hagelstürmen nicht sicher.Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNKWirksamer Hagel-Schutz überhaupt möglich?
Auch Beerenfarmer Petrow sagt, er könne sich nicht auf die staatliche Hagelabwehr verlassen. Es bleibt ihm nichts anderes übrig, als ständig die Wetterprognose im Auge zu behalten und bei aufziehenden Sturmwolken die Schallwellenkanone zu starten. Schließlich rechnen die Supermarktketten täglich mit drei- bis viertausend Kilogramm Beeren und der Betrieb gilt als einer der wichtigsten Arbeitgeber der Region.
Bulgarien und seine Bauern stemmen sich mit viel Geld, Technik und Aufwand gegen Hagelstürme. Doch so sehr es sich alle wünschen, ein flächendeckender Hagelschutz bleibt wohl ein Traum.
MDR (usc)
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