Inhalt des Artikels:

  • Rechter Parteichef gegen Unterstützung der Ukraine
  • Kriegsangst nicht nur in Grenzorten
  • Rumänien bei Ukraine-Hilfen im Mittelfeld
  • Lebensmittel in Grenzorten besonders teuer
  • Seit Jahrzehnten mangelhafte Infrastruktur
  • Donaudelta stark von Abwanderung geprägt
  • Neue Regierung verordnet Rumänien harten Sparkurs

Die Donau funkelt im Morgenlicht grau-grün, doch Fischer Mircea Ghiban interessieren in seinem Boot auf dem nördlichsten Flussarm der Donau — dem Kilija-Arm — nicht die Farbspiele, sondern der Schiffsverkehr. Denn aus Ghibans Hausfluss, dem Grenzfluss zwischen Rumänien und der Ukraine, ist seit dem russischen Angriffskrieg eine wichtige Transportroute geworden.

Ghiban und seinen Kollegen verhagelt der stark gewachsene Verkehr das Geschäft. Immer wieder zerstören die Massengutfrachter die Fischernetze. Nachts auf dem nördlichsten Donauarm zu fischen, ist seit dem Krieg beim ukrainischen Nachbarn gänzlich untersagt. Auf den Verlusten bleiben die Männer, die noch vom traditionellen Fischfang auf dem Kilija-Arm im Donaudelta leben, sitzen. Zwar habe die Bukarester Regierung Gelder zugesagt, "doch blieb es bei einem leeren Versprechen", sagt Ghiban. Ob er deswegen enttäuscht oder wütend sei? Der Fischer zuckt mit den Schultern: "Den Regierungen in Bukarest waren wir nie wichtig genug."

Die Ukraine hat die Kapazitäten ihres Donauhafens Izmail seit Kriegsbeginn deutlich ausgebaut.Bildrechte: Annett Müller-Heinze/MDR

Rechter Parteichef gegen Unterstützung der Ukraine

Bei der Präsidentschaftswahl im Mai stimmte der Fischer für den extrem rechten Kandidaten George Simion, der nicht nur in Mircea Ghibans Heimatort Chilia Veche, sondern in vielen anderen Grenzorten zur Ukraine eine deutliche Mehrheit holte. Ginge es nach Simion, würde die militärische Unterstützung für die Ukraine umgehend gekürzt. Im Herbst 2023 verhinderte er mit anderen rechten Parteien einen Auftritt des ukrainischen Staatschefs im rumänischen Parlament bei dessen Staatsbesuch in Bukarest. Zugleich stellt Simions AUR-Partei Gebietsansprüche an die Ukraine – für Teile, die früher vorübergehend zu Rumänien gehörten. Zwar unterlag Simion in der Stichwahl um das Präsidentenamt dem pro-europäischen Kontrahenten Nicusor Dan, doch bei der Parlamentswahl kam seine Partei auf Platz zwei und wurde damit stärkste Oppositionskraft. Nun wettert der AUR-Parteichef lauthals im Parlament gegen eine Unterstützung für Kiew. Eine Forderung, die im rumänischen Grenzgebiet auf offene Ohren stößt – auch bei Ghiban.

Wahlplakate vom Mai: auf linkem Plakat - AUR-Parteichef George Simion; auf rechtem Plakat Wahlsieger und amtierender Präsident, Nicusor DanBildrechte: Annett Müller-Heinze/MDR

Kriegsangst nicht nur in Grenzorten

Der 49-jährige Fischer Mircea Ghiban hat dagegen Angst vor dem Krieg auf der ukrainischen Seite. Fast täglich hört man in seinem Ort Chilia Veche den Sirenenalarm auf der anderen Uferseite der Donau. Teile russischer Drohnen stürzten wiederholt in der Nähe rumänischer Grenzorte ab – nirgendwo sonst in Rumänien ist der russische Angriffskrieg so nah zu spüren. Dass die Bukarester Regierung, wie Regierungen anderer EU-Staaten, die Ukraine bedingungslos militärisch unterstützt, bereitet dem Fischer zusätzliche Sorgen. "Wenn einer im Ort den Gartenzaun des anderen eintreten würde, würde ich mich auch nicht einmischen. Ich würde stattdessen meinen eigenen Zaun noch höher ziehen, damit mir so etwas nicht passiert", sagt Ghiban.

Fischerboot im Donaudelta: In Chilia Veche lebt man noch traditionell vom Fischfang.Bildrechte: Annett Müller-Heinze/MDR

Doch nicht nur Fischer Ghiban treibt die Angst vor einer Kriegsbeteiligung um, die in sozialen Netzwerken auch von rechtspopulistischen Kreisen weiter angeheizt wird. Im Juni bekamen in Westeuropa lebende Rumänen Post – angeblich vom Bukarester Verteidigungsministerium: Es waren gefälschte Einberufungsbefehle. Das Verteidigungsministerium dementierte umgehend, die Schreiben verschickt zu haben. Sie seien Teil einer Serie von Desinformationen vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine, hieß es vom Ministerium. Doch zeigt die Fülle der Fake News über den Krieg beim Nachbarn offenbar Wirkung.

Laut jüngsten Umfragen des Meinungsforschungsinstitutes INSCOP glauben inzwischen fast 42 Prozent der Rumänen, dass ihr Land in den Krieg vom ukrainischen Nachbarn verwickelt werden könnte – der höchste Wert seit Februar 2022, dem Beginn des russischen Großangriffs auf die Ukraine. Über Rumänien laufen zahlreiche Militärtransporte in die Ukraine, auch kommt stetig Nachschub von Treibstoff. Zu Jahresbeginn lieferte das Land ein Patriot-Luftabwehrsystem an den Nachbarn, außerdem bildet es ukrainische Piloten für F-16 Kampfjets aus. Rumänien ist damit ein wichtiger Partner für die Ukraine im Kampf gegen Russland.

Rumänien bei Ukraine-Hilfen im Mittelfeld

Laut Statistik des Instituts für Weltwirtschaft Kiel (IfW Kiel) liegt Rumänien bei der finanziellen Hilfe für den kriegsgebeutelten Nachbarn im Mittelfeld aller 41 Länder, die der Ukraine feste Unterstützung zugesagt haben: Bis 2023 flossen rund 487 Millionen Euro an den Nachbarn. Polen, das ungefäh doppelt so viele Einwohner wie Rumänien hat, unterstützte die Ukraine im selben Zeitraum mit deutlich mehr Geld: mit gut 5,1 Milliarden Euro. Wenngleich die Zahlen im Ukraine Support Tracker des IfW Kiel öffentlich zugänglich sind, hüllt sich die Bukarester Regierung über ihre Unterstützung in Schweigen.

Die zurückhaltende Kommunikation hält die rumänische Politikanalystin Antonia Colibasanu "für äußerst schädlich, weil sie Raum für Interpretationen lässt". In den rumänischen Grenzorten hört man mittlerweile nur noch wenig Kritik am russischen Aggressor, vielmehr herrscht Argwohn darüber vor, dass sich die benachbarte Ukraine so ausdauernd verteidigt. Das würde den Krieg nur unnötig verlängern, glauben viele. "Dieses kreml-freundliche Narrativ hat den rechtspopulistischen Parteien zuletzt viel Zulauf beschert", sagt die Bukarester Wissenschaftlerin Colibasanu.

Expertin für Geopolitik, Antonia Colibasanu, von der SNSPA-Universität BukarestBildrechte: Annett Müller-Heinze/MDR

Lebensmittel in Grenzorten besonders teuer

Doch nicht nur der Ukraine-Krieg beschert den Rechtspopulisten in den rumänischen Grenzorten Zulauf, sondern auch der Unmut über die wechselnden Bukarester Regierungen, die viele ihrer Investitionsversprechen in den letzten Jahren nicht eingelöst haben. Man kann nach Chilia Veche per Fähre über die Donau kommen oder über eine Schotterpiste – beides dauert Stunden. Wegen der zeitaufwendigen Anfahrt sind die Lebensmittel, die die Tante-Emma-Läden im Ort verkaufen, bis zu 30 Prozent teurer als anderswo, erzählt Rentner Constantin Coicoi.

Hinzu kommen die Preissteigerungen durch den Ukraine-Krieg, die Inflation stieg im Juli erneut auf über sieben Prozent. Dass die gut 1.700 Einwohner im Ort frustriert seien, verstehe er, sagt Coicoi, nicht aber, dass seine Landsleute für die Rechtspopulisten gestimmt hätten, die gegen die Ukraine wetterten, aber auch gegen die EU-Behörden: "Ohne EU-Gelder hätten wir bis heute kein fließend Wasser im Ort, keine Straßenbeleuchtung, keine frisch sanierte Kirche. Wie konnten die Wähler all das vergessen?"

Constantin Coicoi vom Verein "Gemeinsam für Chilia" blickt mit seinem Fernglas auf den Kilija-Arm der Donau.Bildrechte: Annett Müller-Heinze/MDR

Seit Jahrzehnten mangelhafte Infrastruktur

Coicoi, früher Beamter in einem Strafvollzug, hat, wie er sagt eine "auskömmliche Rente". Mit seinen 57 Jahren betreibt er mit anderen Freiwilligen im Ort den Verein "Gemeinsam für Chilia": Mal geht es ihnen um Umweltschutz, mal um Sozialprojekte, mal darum, sich bei den Zentralbehörden mehr Gehör zu verschaffen. Dass bis heute keine asphaltierte Straße nach Chilia Veche führt, macht Coicoi ratlos: "Wir haben bei den Behörden Petitionen eingereicht und zu hören bekommen, dass wir lieber den Esel nehmen sollten statt das Auto."

Als der Krieg in der Ukraine ausbrach, dachten viele, dass der an der EU- und Nato-Außengrenze gelegene Ort nun zu einem strategisch wichtigen Gebiet erklärt werden würde, zu dem im Ernstfall schnell Truppen und Panzer verlagert werden könnten. Doch auch die dreieinhalb Jahre Krieg beim Nachbarn haben den Bau einer asphaltierten Zufahrt nicht vorangebracht.

Pferdewagen in Chilia Veche – passendes Fortbewegungsmittel für die Straßenverhältnisse in der Region.Bildrechte: Annett Müller-Heinze/MDR

Donaudelta stark von Abwanderung geprägt

Wegen der mangelnden Infrastruktur kommt der Hausarzt nur einmal die Woche in den Ort, der Zahnarzt ebenso. An den anderen Wochentagen muss man sich selbst zu helfen wissen. Die Bukarester Journalistin Sabina Fati hat ein Buch über die Grenzorte im Donaudelta geschrieben. Es sind bis heute Multikulti-Hotspots, in denen Rumänen, Russen und Ukrainer friedlich zusammenleben. Dass sie mehrheitlich extrem rechts gewählt haben, verwundert die Journalistin nicht. Viele fühlten sich wirtschaftlich und sozial abgehängt, die Einwohnerzahl schrumpfe seit Jahrzehnten kontinuierlich. Allein Chilia Veche hat in den vergangenen Jahren gut die Hälfte seiner Einwohner verloren. "Die wenigsten Menschen in diesen Orten interessiert das große Weltgeschehen. Sie wollen einfach nur, dass der Krieg endet, die Preise wieder sinken und, dass sie zu ihrem gewohnten Alltag zurückkehren können. Wer ihnen das verspricht, den wählen sie", sagt Fati.

Orthodoxe Kirche des alten Ritus in Rumänien für die russischsprachige Minderheit der Lipowaner in der rumänischen Gemeinde Chilia Veche im DonaudeltaBildrechte: MDR/Annett Müller-Heinze

Neue Regierung verordnet Rumänien harten Sparkurs

Rentner Constantin Coicoi ist pessimistisch, was die Zukunft angeht. "Die Wut der Leute wird noch zunehmen, nicht nur in Chilia Veche", sagt er. Seit Juni regiert in Rumänien eine pro-europäische Koalition aus vier Parteien, die in den vergangenen Jahren die Macht inne hatten – wenngleich in unterschiedlichen Regierungsbündnissen. Mit ihrer Haushaltspolitik haben sie das Land in eine prekäre Situation gebracht: Rumänien verzeichnet derzeit mit 9,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts das höchste Haushaltsdefizit in der EU.

Der jetzt amtierenden Vierer-Koalition bleibt nichts anderes übrig, als dem Land einen harten Sparkurs zu verordnen. Der Mehrwertsteuersatz wurde zu Monatsbeginn erhöht, staatliche Investitionen sollen allerorten gekürzt, tausende Beamtenstellen abgebaut werden. "Die extrem rechte Opposition muss im Parlament eigentlich nur abwarten und zuschauen, bis die Koalition zerbricht, um ans Ruder kommen", meint Rentner Constantin Coicoi.

Ukrainischer Hafen Izmail am Kilija-Arm, dem Grenzfluss zwischen Rumänien und der UkraineBildrechte: Annett Müller-Heinze/MDR

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