Der Krieg in Gaza hat auch Folgen für die Kultur des Küstenstreifens: Künstler werden getötet, ihr Werk vernichtet, Bräuche gehen verloren. Eine Tanztheater-Performance im Westjordanland will dem etwas entgegensetzen.
Drohnen surren in der Luft. Die Bühne des Kulturpalastes in Ramallah im Westjordanland ist in rotes Licht getaucht. Junge Frauen mit Körben voller Orangen und bunten Kleidern tanzen auf der Bühne, die sich in eines der fruchtbaren Felder von Deir al-Balah im Gazastreifen verwandelt.
Ein Erzähler in traditionellem Gewand betritt die Bühne: "Die alten Überlieferungen erzählen von fruchtbarem Land und Freuden und den Orangenhainen, die zu Schlachtfeldern des Krieges geworden sind."
Immer wieder schrecken Explosionen das Publikum auf. Die Orangen fallen zu Boden, während die jungen Frauen Volkstänze und -lieder aus Deir al-Balah aufführen. Die ländliche Gemeinde zwischen Chan Junis im Süden und Gaza-Stadt im Norden repräsentiere die Kultur, bevor der Krieg in Gaza alles zerstört habe, sagt Kunstdirektor Khaled Alayan.

Khaled Alayan hat "Taraweed Deir al-Balah" auf die Bühne gebracht.
Den Alltag Gazas zeigen
Mit seiner Theater-Tanzperformance "Taraweed Deir al-Balah" will er aufrütteln. "Wenn Sie über Gaza reden, reden Sie über Orangen, das Meer, Fisch, Datteln, besonders aus Deir al-Balah. Ich wollte das tägliche Leben in Gaza zeigen, dass dort normale Menschen leben, die heiraten, fischen und ernten." Mehr als 80 Prozent des Gazastreifens seien zerstört. "Sie haben Künstler getötet, Kulturinstitutionen zerstört, aber unsere Seele und die Kunstszene in Gaza können sie nicht zerstören."
Das Lied "Daba Ya Qalbi Daba" handelt von der Hochzeitsnacht und symbolisiert die Sehnsucht nach denen, die man liebt. Er habe dabei an all die Familien gedacht, die im Krieg auseinandergerissen wurden, erzählt Firas Farrah. Als Erzähler auf der Bühne, mit Vollbart und in braunrotem Leinengewand, führt er durch das Stück. Für ihn habe jedes Lied eine doppelte Bedeutung, sagt der Schauspieler aus Jerusalem.
Botschaften zwischen den Zeilen
"Das Stück handelt von Hochzeiten im Kriegsgebiet. Eine Kombination aus Freude und Trauer. Diese Gefühle erleben wir auch als Tänzer. Aber für uns als palästinensische Künstler im Westjordanland oder in Israel über das Thema Gaza zu sprechen ist schwierig."
Man könne darüber nicht im Internet posten oder die eigene Meinung als Kunstform ausdrücken. Firas hofft, dass das Publikum zwischen den Zeilen liest, während Kampfjets erneut den Orangenhain bombardieren. "Niemand kann den Mond vom Himmel über Gaza holen" - so lautet Firas Lieblingsstelle in dem Stück.
"Es gibt Deir al-Balah fast nicht mehr. Aber es lebt weiter in den Liedern, in der Kultur und den Klängen." Er sei froh, ein Teil davon zu sein.

Der Erzähler des Stücks: Schauspieler Firas Farrah
Ein Versuch, das Erbe der Künstler zu bewahren
Dass Volksgesänge aus Gaza aufgeführt werden können, sei Frauen aus Deir al-Balah zu verdanken, die die Texte aufgeschrieben und veröffentlicht haben, erklärt Bothaina Hamdan. Die Künstlerin aus Ramallah dokumentiert Kunst, Bräuche und Geschichten aus Gaza.
Mehr als 120 Künstler, die getötet wurden, hat sie in ihrer Datenbank, ihre Werke, ihren Todestag - und ihre letzte Nachricht auf Social Media. "Nachdem ich die ersten 100 toten Künstler dokumentiert hatte, musste ich weinen. Weil wir nicht nur Menschen, sondern auch einen Teil unserer Geschichte verlieren. Wir archivieren die Zerstörung unseres Kulturerbes im Internet." Jeder Künstler in Gaza tue gut daran, seine Werke im Web zu veröffentlichen, sagt sie. "Sonst gehen sie verloren."
Kunst aus Gaza existiere vor allem noch online, sagt Hamdan. "Ich kenne eine Folkloretanzgruppe, die es seit 42 Jahren in Gaza gibt. Sie hat ihr gesamtes Archiv für immer verloren." Deshalb seien Aufführungen wie die über Deir al-Balah in Ramallah und anderswo so wichtig, sagt Hamdan.

Die Künstlerin Bothaina Hamdan erinnert an getötete palästinensische Künstler und ihre Kunst.
Den Menschen eine Stimme geben
Das Stück trifft einen Nerv hier in Ramallah. Kristina ist zum zweiten Mal gekommen. Sie beschäftigt, dass die Welt nicht versuche, den Krieg zu beenden - obwohl die Regierungen es aus ihrer Sicht könnten. "Das Stück hier sagt den Menschen in Gaza, dass wir für sie da sind und das ausdrücken, was sie der Welt selbst nicht sagen können."
Eine Orange wird reif und zu einem Lied, das Lied wird reif und zu einer Geschichte, die Geschichte wird reif und zu Kindern - so endet die Performance mit einer weiteren Botschaft.

Zwischen Orangen und Kriegslärm: das Leben in Gaza, dargestellt auf der Bühne in Ramallah
Die Tänzer auf der Bühne sind 15 bis 20 Jahre alt. Diese jungen Palästinenser hätten vor dem Krieg kaum etwas über Gaza gewusst, sagt Regisseur Khaled Alayan zum Schluss. "Jetzt kennen sie jeden Straßennamen in Gaza, jedes Krankenhaus, jedes Flüchtlingslager." Es sei traurig, Gaza durch den Krieg kennenzulernen. "Die Israelis verstehen nicht, dass die junge Generation nun noch mehr um ihre Freiheit kämpfen wird. Sie werden Gaza nicht vergessen."
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