Eine Feier, wenn niemandem zum Feiern zumute ist, ist kein erfreulicher Anlass. Doch genau das erlebt die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa OSZE, die in Helsinki ihr fünfzigjähriges Bestehen zelebriert. Ein Gespräch mit Thomas Greminger, ehemaligem Generalsekretär der OSZE.
SRF News: Die OSZE verkörpert den Geist von Helsinki, als sich Ost und West während des Kalten Krieges anzunähern begannen. Ist von diesem Geist noch etwas übriggeblieben?
Thomas Greminger: Nüchtern betrachtet nicht mehr viel. Die Prinzipien und Verpflichtungen, für welche die OSZE steht, sind durch die Schlüsselakteure über die letzten ein, zwei Jahrzehnte zu massiv verletzt worden. Praktisch den Todesstoss versetzte der kooperativen Sicherheit natürlich die russische Invasion in die Ukraine im Februar 2022.
Welche Rolle kann die OSZE aktuell überhaupt noch spielen? Wo ist sie noch nützlich?
Sie ist keine relevante Akteurin mehr in der europäischen Sicherheitspolitik. Doch bei anderen Themen leistet sie immer noch wichtige Arbeit. Ihre Feldmissionen in Zentralasien, in Osteuropa oder im Westbalkan, ihre Wahlbeobachtungen, ihre Arbeit für die Medienfreiheit, bei der Bekämpfung von Desinformation, Menschenhandel, Extremismus und Terrorismus – all das wird weiterhin sehr geschätzt.
Die OSZE könnte das Monitoring eines Waffenstillstands in der Ukraine übernehmen.
Was liesse sich tun, damit die OSZE wieder relevanter wird und auf welchen Gebieten wäre das denkbar?
Sie müsste wieder auf den Radar der wichtigen Hauptstädte gelangen – Washington, Moskau, Paris, London, Berlin. Das würde am besten klappen, wenn die OSZE erneut eine Rolle im Konfliktmanagement in der Ukraine übernehmen könnte. Sie könnte das Monitoring eines Waffenstillstands alleine übernehmen oder, was wahrscheinlicher ist, zusammen mit der UNO.
Irgendwann wird im hochgerüsteten Europa auch wieder über Rüstungskontrollmassnahmen verhandelt werden müssen.
Was könnte sie in diesem Fall konkret tun?
Es gibt eine Vielzahl von Aufgaben. Egal, wie der Ukraine-Krieg ausgeht, werden wir eine über 5000 Kilometer lange Kontaktlinie zwischen Russland und dem Westen haben. Wir werden Konfrontation und Abschreckung haben. Diese Konfrontation muss gemanagt werden. Es geht um Risikominderung, um vertrauens- und sicherheitsbildende Massnahmen. Irgendwann wird im hochgerüsteten Europa auch wieder über Rüstungskontrollmassnahmen verhandelt werden müssen. Für all diese Aufgaben ist die OSZE gut gerüstet, verfügt sie über die entsprechenden Instrumente.

Ausgerechnet in der aktuellen schwierigen Phase übernimmt auf Anfang 2026 die Schweiz den Vorsitz der OSZE. Was kann sie erreichen?
Die Aufgabe für die Schweiz ist anspruchsvoll. Man muss in Szenarien denken und sich auf ganz unterschiedliche Entwicklungen vorbereiten. Zum Beispiel: Es ändert sich nicht viel in der Ukraine. Dann hätte das Vorsitzland Schweiz in der OSZE bloss sehr limitierte Spielräume. Sie könnte nicht viel mehr tun als das Terrain für bessere Zeiten vorbereiten.
Falls sich bei der Ukraine etwas bewegt, muss die Schweiz dafür sorgen, dass die OSZE rasch die Überwachung eines Waffenstillstands übernehmen kann.
Falls sich jedoch in der Angelegenheit Ukraine Bewegung ergibt, muss die Schweiz die OSZE darauf vorbereiten, sich nützlich zu machen. Sie muss dann dafür sorgen, dass sie rasch die Überwachung eines Waffenstillstands übernehmen kann. Aber die OSZE müsste auch einer militärischen Risikominderung und der Wiederherstellung eines Minimums an Vertrauen zur Verfügung stehen. Überall da hat die OSZE etwas zu bieten. Und dafür könnte es plötzlich wieder eine Nachfrage geben, falls Bewegung in den Ukrainekonflikt kommt.
Das Gespräch führte Fredy Gsteiger.
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