Die dramatische Lage der Menschen im Gazastreifen sorgt für wachsende Kritik. Die EU-Außenbeauftragte Kallas rief Israel in deutlichen Worten auf, das Töten von Zivilisten zu stoppen. Vor Ort wird zudem der Hunger immer schlimmer.

Fast 21 Monate nach Beginn des Krieges im Gazastreifen ist die humanitäre Lage in dem Palästinensergebiet katastrophal. Angesichts der notleidenden Bevölkerung wird die Kritik an Israel immer deutlicher, ein Einlenken der israelischen Regierung ist jedoch nicht zu erkennen.

EU- Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nannte die Bilder aus Gaza "unerträglich" und ermahnte Israel, seine Versprechen einzuhalten. "Zivilisten dürfen keine Zielscheiben sein. Niemals", stellte sie klar.

Die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas verurteilte die "Tötung von Zivilisten", die bei Verteilzentren Hilfe suchten, als "nicht zu rechtfertigen". In einem Gespräch mit Israels Außenminister Gideon Saar habe sie an die Vereinbarungen zum humanitären Zugang für Hilfsorganisationen erinnert und betont, Israels Armee müsse aufhören, Menschen an Verteilungspunkten zu töten.

Sollten Zusagen nicht eingehalten werden, blieben "alle Optionen auf dem Tisch", sagte Kallas ohne weitere Details zu nennen.

Israel spricht von "Lügenkampagne" der Hamas

Israels Regierung wies die Kritik brüsk zurück. Saar sagte zum Gespräch mit Kallas: "Ich habe ihr gesagt, dass die Hamas eine Lügenkampagne führt", erklärte er auf X. "Die Hamas ist es, die Zivilisten erschießt und foltert, wenn sie versuchen, die Hilfsgüter abzuholen." Die internationale Gemeinschaft dürfe nicht in die Falle der Islamistenorganisation tappen, warnte er.

Ende Mai hatte die von Israel und den USA unterstützte Stiftung Gaza Humanitarian Foundation (GHF) ihre Arbeit nach einer monatelangen israelischen Blockade von Hilfslieferungen begonnen. Sie händigt an wenigen Verteilzentren Lebensmittel aus.

Immer wieder gibt es Berichte über tödliche Zwischenfälle in der Nähe der GHF-Verteilstellen. Meist wird der israelischen Armee vorgeworfen, Schüsse abgegeben zu haben. Die GHF hatte zuletzt auch die Hamas beschuldigt, Unruhen gestiftet und dadurch eine Panik unter den Wartenden ausgelöst zu haben, bei der etliche Menschen getötet worden sein sollen.

Das UN-Menschenrechtsbüro warf dem israelischen Militär nun vor, seit Ende Mai mindestens 1.054 Menschen in der Nähe der Ausgabestellen oder von Hilfskonvois getötet zu haben.

"Entsetzt und angewidert"

Der britische Außenminister David Lammy ist nach eigenen Angaben vom Vorgehen des israelischen Militärs im Gazastreifen "entsetzt und angewidert". Das gehe wohl den meisten Briten so, sagte der Labour-Politiker im BBC-Fernsehen auf die Frage, was die Szenen vor Hilfszentren im Gazastreifen bei ihm auslösten.

UN-Generalsekretär António Guterres zeigte sich entsetzt angesichts von Berichten über Angriffe auf Gebäude der Vereinten Nationen und verlangte Schutz vor Gewalt. "Diese Einrichtungen sind unverletzlich und müssen nach dem humanitären Völkerrecht ausnahmslos geschützt werden", so der UN-Chef vor dem Sicherheitsrat in New York.

Wadephul telefoniert mit Amtskollege aus Israel

Bundesaußenminister Johann Wadephul (CDU) hat einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuters zufolge erneut mit dem israelischen Außenminister Saar telefoniert und dabei auch die Themen angesprochen, die 29 Staaten in einer gemeinsamen Erklärung erwähnt hatten.

"Insbesondere hat der Außenminister seine größte Sorge über die katastrophale humanitäre Lage in Gaza ausgedrückt und die israelische Regierung dringend dazu aufgefordert, die Vereinbarung mit der EU zur Ermöglichung humanitärer Hilfe umzusetzen", zitiert Reuters diplomatische Kreise.

Entwicklungsministerin Reem Alabali Radovan (SPD) forderte mehr Druck auf Israel wegen dessen Vorgehen im Gazastreifen. Deutschland sollte sich der Initiative westlicher Staaten anschließen, die ein sofortiges Ende des Kriegs fordern, sagt sie der Rheinischen Post. "Es braucht jetzt - nicht irgendwann - einen sofortigen und nachhaltigen Waffenstillstand." Auch andere SPD-Politiker äußerten sich zunehmend kritisch.

Menschenrechtskommissar warnt vor Kriegsverbrechen

Angesichts der von Israel verkündeten Ausweitung seines Militäreinsatzes im Zentrum des Gazastreifens warnte UN-Menschenrechtskommissar Volker Türk vor schweren Völkerrechtsverletzungen.

"Wegen der hohen Dichte von Zivilisten in der Region und den Mitteln und Methoden der Kriegsführung, die Israel bisher angewendet hat, ist das Risiko unrechtmäßiger Tötungen und weiterer schwerer Völkerrechtsverletztungen extrem hoch", erklärte er.

Mit den jüngsten von Israel erteilten Evakuierungsaufforderungen bleibe der Bevölkerung im Gazastreifen keine andere Wahl, als in immer kleiner werdende Gebiete zu fliehen, wo bereits Hunderttausende Schutz gesucht hätten, betonte Türk.

Er warnte Israel, jede dauerhaft Vertreibung von Bewohnern könne einem Kriegsverbrechen oder gar einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit gleichkommen.

Hunger beeinträchtigt auch die Helfer

Der Leiter des ehemals größten Krankenhauses im Gazastreifen wies derweil auf die Folgen der Unterernährung in dem Palästinensergebiet hin: In drei Kliniken seien allein in den vergangenen drei Tagen 21 Kinder an Unterernährung und Hunger gestorben, sagte Mohammed Abu Salmija. Er rechne "jederzeit" mit weiteren Hungertoten.

Mitarbeiter des UN-Palästinenserhilfswerks (UNRWA) und andere Helfer im Gazastreifen leiden nach den Worten von UNRWA-Chef Philippe Lazzarini so sehr unter Hunger und Erschöpfung, dass sie im Dienst ohnmächtig werden. Unter den Betroffenen seien auch Ärzte, Krankenpfleger und Journalisten, heißt es in einer in Genf verbreiteten Erklärung.

UNRWA: Hunderte Lkw mit Hilfsgütern stehen bereit

Eine Sprecherin des UN-Hilfswerks für palästinensische Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) sprach zudem von Wucherpreisen auch für Medikamente und Hygieneartikel. Für eine der wenigen noch vorhandenen Babywindeln würden inzwischen drei Dollar (rund 2,60 Euro) pro Stück verlangt. Die allermeisten Eltern könnten sich dies nicht leisten und müssten sich deshalb behelfen, etwa mit Plastiktüten.

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