In der Ukraine ist ein Gesetz beschlossen worden, das den Kampf gegen Korruption erschweren könnte. In mehreren Städten protestierten Tausende Menschen dagegen. Im Fokus der Kritik: Präsident Selenskyj.

Das Gesetz betrifft zwei Antikorruptionsbehörden, die auch auf den Druck der Europäischen Union hin in der Ukraine aufgebaut wurden. Sie sollen Mächtige kontrollieren und - wenn nötig - vor Gericht bringen. Mit dem Gesetz verlieren sie erheblich an Selbstständigkeit.

Dagegen gab es gestern Abend spontan Proteste in vielen Städten des Landes. In der Hauptstadt Kiew kamen Tausende auf den Ivan Franko-Platz. Sie skandierten Losungen wie: "Keine Korruption in der Regierung" oder "Europa wählen".

Vassili Golod zur umstrittenen Reform der Anti-Korruptionsbehörden in der Ukraine

tagesschau24, 23.07.2025 11:00 Uhr

Opposition blockierte Rednertribüne

Demonstrantin Ivanna Tschorna erklärte: "Dieses Gesetz ist nicht hinnehmbar, es ist absurd, es zerstört unsere Demokratie. Es gibt den Mächtigen das Recht zu tun, was immer sie wollen, auch wenn das unsere Rechte verletzt und unsere Bestrebungen der EU beizutreten, untergräbt."

Ivanna ist 26 Jahre alt und arbeitet in einem Verlag. Den ganzen Tag über hatte sie das Spektakel im Parlament verfolgt. Die Opposition hatte zeitweise die Rednertribüne blockiert, um das Gesetz zu verhindern. Letztendlich wurde es vor allem mit den Stimmen der Partei "Diener des Volkes" beschlossen. Sie steht Präsident Wolodymyr Selenskyj nah.

Deshalb protestieren die Menschen in Kiew in Sichtweite von Selenskyjs Amtssitz. Aus seiner Verwaltung soll der Entwurf stammen.

Scharfe Kritik vom Leiter des Antikorruptionsbüros

Das beschlossene Gesetz unterstellt zwei Anti-Korruptionsbehörden de facto dem Generalstaatsanwalt. Dem Antikorruptionsbüro Nabu soll er Anweisungen geben und ihm auch Ermittlungen entziehen können. Bei der Antikorruptions-Staatsanwaltschaft soll er die Unterlagen von bestimmten Ermittlungen anfordern und der gewöhnlichen Staatsanwaltschaft übergeben können.

Der Leiter des Nabu, Semen Kryvonos sagte bei einer Pressekonferenz: "Zerstört wird hier das, was auf großen Wunsch der Gesellschaft geschaffen wurde, auf Wunsch der Demonstranten beim sogenannten Euromaidan 2014 und was die Korruption in den Reihen der höheren Amtsträger bekämpfen soll." Für dieses Gesetz hätten Personen gestimmt, die selbst vom Antikorruptionsbüro der Korruption verdächtigt würden, so Kryvonos. Sie hätten im Interessenskonflikt gehandelt.

Den amtierenden Generalstaatsanwalt, der nun erheblich an Macht gewinnt, hat Präsident Selenskyj erst vor kurzem ernannt. Danach berief er ihn auch in den ihm untergeordneten Rat für Sicherheit und Verteidigung.

Selenskyj spricht von "russischen Einflüssen"

Selenskyj sagte zur Kritik, die Anti-Korruptionsbehörden würden weiterarbeiten - nur ohne russische Einflüsse. Von diesen müsse man sie reinigen. Was er mit diesem Vorwurf an die Arbeit der Behörden im Einzelnen meinte, führte er nicht aus. Noch in der Nacht wurde bekannt, dass Selenskyj das Gesetz unterschrieb.

Beobachter sahen schon in den vergangenen Wochen Rückschritte bei der Korruptionsbekämpfung. So erhob das staatliche Ermittlungsbüro offiziell Vorwürfe gegen einen der prominentesten Anti-Korruptionsaktivisten und Kritiker Selenskyjs. Am Montag dann führte der Geheimdienst SBU Durchsuchungen bei Dutzenden Mitarbeitern des Antikorruptionsbüros Nabu durch.

"Wir können nicht mehr schweigen"

Die Regierung habe eine Grenze überschritten, sagte Iryna Medwedjewa, eine 57-jährige Buchhalterin, bei der Demonstration in Kiew. "Wir können nicht mehr schweigen. Die Staatsmacht muss der Zivilgesellschaft zuhören. Unsere Soldaten verteidigen uns an der Front. Und wir im Hinterland müssen unsere Freiheit und unsere Unabhängigkeit verteidigen, wo wir nur können."

Gerne mache sie das nicht - jetzt im Krieg - da die Nation einig sein müsse. Aber es gehe nicht anders, fügt die 57-Jährige hinzu.

Florian Kellermann, ARD Kiew, tagesschau, 23.07.2025 06:21 Uhr

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