Immer wieder gibt es die Forderung, Deutschland solle diplomatische Beziehungen zu den Taliban in Afghanistan aufnehmen. Offiziell gibt es nur "technische" Gespräche mit Kabul. Aber wie direkt sind die Beziehungen tatsächlich?
Deutschland müsse doch diplomatische Beziehungen mit den Taliban aufnehmen, damit Abschiebeflüge nach Afghanistan künftig direkt mit Kabul abgesprochen werden können. Das forderte Markus Söder gestern über die sozialen Medien.
Bislang hatte das Auswärtige Amt jedoch immer betont, man habe mit den Radikalislamisten lediglich "technische Kontakte" zu humanitären Fragen - schließlich erkenne Deutschland deren Emirat nicht an. Aber sind diese Kontakte tatsächlich nur "technisch"?
"Gespräche über die bilateralen Beziehungen"
Ein führender Taliban lässt kaum eine Gelegenheit aus, in Afghanistan über seine Gespräche mit den Deutschen zu berichten. Wenn Suhail Shaheen westliche Diplomaten trifft, dann spricht er anschließend gerne darüber - so wie auch Dienstagabend im afghanischen Nachrichtensender Tolonews nach einem Treffen mit dem Deutschen Rolf-Dieter Reinhard. Der Diplomat ist in Katar stationiert und dort für Afghanistan zuständig.
"Es fanden Gespräche über die bilateralen Beziehungen zwischen Deutschland und Afghanistan statt", sagte Shaheen. Auch sei über humanitäre Hilfe für afghanische Rückkehrer aus dem Iran und Pakistan gesprochen worden sowie über den Besuch des deutschen Geschäftsträgers in Afghanistan und Treffen mit Vertretern des Islamischen Emirats.
Berlin windet sich sprachlich
Das Islamische Emirat, also der Taliban-Staat, wird offiziell weltweit von keinem Land außer Russland anerkannt. Shaheen ist dessen Botschafter in Katar, ein versierter Außenpolitiker und einer der prominentesten Taliban. In Katar pflegt Shaheen seit Langem rege Kontakte mit Diplomaten aus dem Westen, die darüber aber deutlich weniger gerne sprechen als er.
Fragt man beispielsweise das Auswärtige Amt, so wird dort besonders auf die Wortwahl geachtet. Im vergangenen September etwa bestätigte die damalige Außenamtssprecherin Kathrin Deschauer, "dass es ein sogenanntes Verbindungsbüro der Bundesregierung in Doha, Katar, gibt, das für technische Kontakte ‑ nicht politische Kontakte ‑ auf technischer Ebene genutzt wird". Außerdem gebe es "technische Gespräche".
"Technische Kontakte" auf "technischer Ebene", "technische Gespräche" - seit Langem windet man sich in Berlin sprachlich, obwohl ganz offenbar hochrangige Diplomaten beider Seiten über politische und diplomatische Themen sprechen. Für Deutschland tut dies regelmäßig der Diplomat Reinhard. Er sitzt zwar in Katar, reist aber gelegentlich auch nach Afghanistan. Die deutsche Botschaft in Kabul ist seit der Machtübernahme der Taliban geschlossen.
Gibt es schon direkte Gespräche?
Söders jüngste Äußerungen in den sozialen Medien waren gestern Abend Thema in den Hauptnachrichten Afghanistans. Der bayerische Ministerpräsident habe gefordert, diplomatische Beziehungen mit den Taliban aufzunehmen, damit in Deutschland straffällig gewordene Flüchtlinge zurück nach Afghanistan gebracht werden könnten.
Ein als Politikanalyst vorgestellter Mann behauptete sogar: "Die neue deutsche Regierung hat beschlossen, auch ohne Anerkennung der afghanischen Übergangsregierung direkte diplomatische Beziehungen zu Afghanistan aufzunehmen." So sollten Migranten, die aus Gefängnissen entlassen werden, nach Afghanistan und nicht in Drittstaaten zurückgeschickt werden können und dort ihre Straf- oder Gerichtsverfahren durchlaufen.
Das stimmt nicht, denn einen solchen Beschluss der Bundesregierung gibt es nicht. Bundesinnenminister Alexander Dobrindt hatte Anfang Juli lediglich erklärt, er strebe direkte Gespräche mit den Taliban an. So sollten Abschiebeflüge einfacher abgesprochen werden können.
Ob das Gespräch des Taliban-Botschafters Shaheen mit dem deutschen Diplomaten schon ein solches direktes Gespräch war - und er es einfach öffentlich gemacht hat? Eine entsprechende Anfrage des ARD-Studios Neu-Delhi hat das Auswärtige Amt bislang nicht beantwortet.
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