Die Netanjahu-Regierung droht am Streit um die Wehrpflicht für Ultraorthodoxe zu zerbrechen. Die Koalitionspartner des Premiers haben starke Druckmittel, denn ohne sie hat Netanjahu keine Mehrheit.

Israels Regierungskrise zeigt mal wieder, welchen großen Einfluss die ultraorthodoxen Juden im Land haben. Sie machen nur fast 14 Prozent der Bevölkerung aus - aber sie könnten nun darüber entscheiden, ob Premierminister Benjamin Netanjahu und seine Regierung im Amt bleiben.

Im Streit um die Wehrpflicht für streng religiöse, jüdische Männer will die ultraorthodoxe Schas-Partei laut israelischen Medien alle Posten in der Regierung aufgeben, sich im Parlament aber nicht der Opposition anschließen. Was das für Netanjahus Mehrheit bedeutet, ist bislang unklar. Die Schas-Partei hat elf Mandate in der Knesset, steigt sie aus, hat Netanjahus Regierung keine Mehrheit mehr.

Eine der Parteien, die die Ultraorthodoxen wählen, das Vereinigte Thora-Judentum, ist schon aus der Koalition ausgestiegen. Nach der Schas-Ankündigung erklärte Oppositionsführer Jair Lapid nun, Israel habe nun eine Minderheitsregierung. Auch einige Medien sprachen davon, dass Netanjahus Regierung die Mehrheit im Parlament verloren habe.

Ultraorthodoxe sollen zum Militär

Streitpunkt ist ein Gesetz, nachdem es weniger Möglichkeiten für ultraorthodoxe Juden geben soll, sich dem Wehrdienst zu entziehen. Das schreibt ein Urteil des Obersten Gerichts vor.

Juri Edelstein, ein Politiker aus Netanjahus Likud-Partei, hat das Gesetz entworfen: "Dieses Gesetz richtet sich nach den Bedürfnissen der Armee und stellt sicher, dass die Rekrutierung von Soldaten wächst. Die Last für die Bevölkerung, die im Militär dient, wird weniger." Jeder, der als Ultraorthodoxer in die Armee eintrete, könne als solcher wieder herauskommen. Edelstein bedauerte, das "die ultraorthodoxen Kräfte im Parlament nicht bereit", dem Gesetz zuzustimmen.

Kritik an der Ausnahmeregel wächst

Es geht um Klientelpolitik - denn die Parteien der ultraorthodoxen Israelis stellen nicht nur sicher, dass es viele Subventionen für ihre Wähler gibt, beispielsweise für Männer, die sich dem Thorastudium widmen - sie haben bis jetzt auch verhindert, dass ihre Wähler im großen Stil zur Armee gehen.

Dabei könnten rund 60.000 Ultraorthodoxe sofort eingezogen werden. Und da Israels Armee an mehreren Fronten kämpft und Soldaten braucht, fordern immer mehr Israelis, dass das auch passiert. Immer wieder gibt es Proteste gegen die Ausnahmeregelungen für Ultraorthodoxe, die es seit den Gründungsjahren des Staates Israel gibt. Damals betrafen sie wenige tausend Menschen, inzwischen gibt es mehr als 1,3 Millionen ultraorthodoxe Juden in Israel.

Minister übt Druck auf Premier aus

Zum offenen Bruch wollen es die ultraorthodoxen Parteien indessen nicht kommen lassen. Israelische Medien zitieren Politiker die ankündigen, sich nicht mit Oppositionsparteien verbünden zu wollen.

Michael Malkieli, ultraorthodoxer Minister für Religiöse Angelegenheiten, hofft immer noch darauf, dass Premier Netanjahu in der langen Sommerpause des Parlaments, die in elf Tagen beginnt und drei Monate dauert, einen Kompromiss findet: "Der Premierminister ist für alles verantwortlich, auch für das Einberufungsgesetz. Wir richten uns an ihn, sagen ihm: 'Hör zu, wenn entschieden wird, dass wir die Regierung verlassen, hast du drei Monate Zeit.' Aktuell werden wir uns nicht der Linken anschließen."

Spielt Netanjahu auf Zeit?

Auch Netanjahu scheint sich in die Sommerpause retten zu wollen. Deshalb, so sehen es Beobachter, wird auch der Krieg im Gazastreifen vorerst weitergehen. Denn für den Fall einer Waffenruhe in Gaza haben seine rechtsextremen, nationalreligiösen Koalitionspartner angekündigt, die Regierung zu verlassen. Entsprechende Äußerungen gibt es beispielsweise vom rechtsextremen Minister für Nationale Sicherheit, Itamar Ben Gvir, der bereits zu Beginn der letzten Waffenruhe im Januar dieses Jahres die Regierung verlassen hatte.

Deshalb dürfte der Krieg in Gaza zumindest in den kommenden Tagen weitergehen - denn sonst würde es einsam um Israels langjährigen Premier.  

Benjamin Netanjahu hatte heute auch einen guten Grund, den Korruptionsprozess gegen ihn erneut zu verzögern: Wegen der Lage in Syrien und den israelischen Angriffen auf Ziele in Damaskus. Die dortige Eskalation könnte ihm auch helfen, die Parteien der Ultraorthodoxen bis zur Sommerpause des Parlaments zu besänftigen.  

Auch Opposition steht schwach da

Assaf Shapira vom Israel Democracy Institute glaubt noch nicht an das politische Ende von Netanjahu. Er sagte dem ARD-Studio Tel Aviv, dass es früher oder später zu Neuwahlen in Israel kommen werde aber noch nicht jetzt: "Es ist möglich, dass er es nochmal schafft, die Krise zu überleben und die Ultraorthodoxen zurück in die Regierung zu bringen. Oder er hält noch ein paar Monate als Chef einer Minderheitenregierung durch, bevor es zu Wahlen kommt."

Die Umfragen stünden nicht gut für Netanjahu, aber sie zeigen auch, "dass es die Opposition schwer haben könnte eine Regierung zu bilden", so Shapira. Und wenn die Regierungsbildung scheitert, würde Netanjahu geschäftsführend im Amt bleiben - bis es eine neue Regierung gibt.  

So kann man in Israel derzeit politische Überlebenskunst und Klientelpolitik beobachten - während es in der Region keine Aussicht auf ein Ende der Gewalt gibt und täglich, nicht nur im Gazastreifen, Menschen sterben.

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