Irans Regierung erhöht den Druck auf Afghaninnen und Afghanen. Und das, obwohl schon seit März eine regelrechte Ausschaffungswelle im Gang ist. Die Hintergründe erläutert SRF-Nahost-Korrespondent Thomas Gutersohn.
Warum erhöht Teheran gerade jetzt den Druck auf Afghaninnen und Afghanen?
Das hat mit dem zwölf-Tage-Krieg gegen Israel zu tun: Die iranischen Behörden suchen mit Hochdruck nach israelischen Spionen, die für die Ermordung zahlreicher iranischer Militärs und Sabotage-Aktionen verantwortlich gemacht werden. Dazu wurden hunderte Checkpoints eingerichtet, es gibt massive Kontrollen im ganzen Land. Hunderte Personen sollen verhaftet, Dutzende sollen bereits hingerichtet worden sein. Bei den Kontrollen und Razzien gingen den Iranern auch bis zu 800'000 Afghaninnen und Afghanen ins Netz. Manche von ihnen werden verdächtigt, für Israel spioniert zu haben.
Wie plausibel ist das?
Es ist tatsächlich nicht sehr plausibel, dass Afghanen in grosser Zahl für Israel spioniert haben. Sie kamen meist ohne Papiere illegal in den Iran und verdingen sich als Tagelöhner, Hilfskräfte oder als Hausangestellte. Selbst wenn einige mit den ermordeten Generälen in Kontakt standen, stehen jetzt 3.5 Millionen Afghaninnen und Afghanen im Iran unter Generalverdacht, für Israel gearbeitet zu haben. Sie sind wohl vor allem eine Art Beifang der Razzien. Schon seit März führt der Iran eine gross angelegte Abschiebewelle von Afghanen durch, jetzt wird sie intensiviert. Nach dem Krieg gegen Israel hatte der Iran zudem angekündigt, alle Ausländer ohne gültigen Aufenthaltstitel auszuweisen.
Warum leben so viele Afghanen im Iran?
In keinem anderen Land leben so viele Flüchtlinge wie im Iran. Die meisten von ihnen sind Afghanen. Bei den meisten handelt es sich um junge Männer auf der Suche nach Arbeit, die vor der Repression der Taliban und der wirtschaftlichen Not in ihrem Heimatland geflohen sind. Viele wollen weiter in Richtung Türkei und Europa – und weil das sehr teuer ist, arbeiten sie zunächst im Iran, um Geld zu verdienen. Jetzt sollen bis zu 50'000 Afghanen pro Tag in Bussen nach Afghanistan zurückgebracht worden sein.
Wie leben die Afghanen im Iran?
Sie sind dort schlecht integriert – aber immerhin sprechen sie praktisch die gleiche Sprache wie die Iraner und so ist eine Verständigung gut möglich. Doch die Afghanen werden im Iran als Menschen zweiter Klasse angesehen und sind stark marginalisiert. So sind sie der Willkür ihrer Arbeitgeber und auch der Behörden schutzlos ausgeliefert. Selbst wenn ein Afghane über eine Arbeitserlaubnis verfügt, hat er praktisch keine zivilen Rechte im Iran.
Was passiert mit den Ausgeschafften in Afghanistan?
Viele werden wohl versuchen, wieder in den Iran zu gelangen – vor allem jene, die dort über eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis verfügen. Die wirtschaftliche und politische Lage in Afghanistan hat sich keineswegs verbessert, sondern eher verschlechtert. Und so sind die Aussichten für die Afghanen im Iran trotz allem immer noch besser als in ihrer Heimat.
Was sagen Beobachter?
Hilfsorganisationen warnen angesichts der Situation vor einer Verschärfung der humanitären Krise in Afghanistan: «Das Land ist überfordert mit der Aufnahme der Vertriebenen», heisst es etwa von der NGO World Vision. «Die Wirtschaft liegt am Boden, und schlechte Ernten als Folge des Klimawandels verschärfen die Not.» Nach Angaben der UNO sind derzeit knapp zehn Millionen Menschen in Afghanistan von Hunger bedroht.
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