Es geht um zurückgehaltene Textnachrichten und um angebliches Missmanagement: Das EU-Parlament debattiert heute über einen Misstrauensantrag gegen Kommissionspräsidentin von der Leyen. Wie sind die Erfolgsaussichten?
77 Unterschriften hat Gheorghe Piperea, ein rumänischer Abgeordneter vom nationalkonservativen EKR, zusammengebracht. Das reicht, um das Misstrauensvotum gegen die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf die Tagesordnung des Parlaments zu bringen.
Es sei "ein notwendiger Schritt, um zu den Grundlagen der Demokratie zurückzukehren", begründet Piperea sein Vorgehen. So solle der "Trend zur Zentralisierung der Macht" gestoppt werden - die "schrittweise Übernahme von Zuständigkeiten, die den Mitgliedstaaten und dem Europäischen Parlament zustehen".
Urteil noch nicht umgesetzt
In dem Antrag geht es unter anderem um die berüchtigten SMS zwischen Kommissionspräsidentin von der Leyen und dem Chef des Impfstoff-Herstellers Pfizer während der Corona-Pandemie, die nie offengelegt wurden.
Ein EU-Gericht hatte im Mai geurteilt, dass die Begründung der Kommission, warum sie diese Textnachrichten trotz Nachfrage zurückhält, nicht ausreicht. Trotzdem ist auch seitdem nichts veröffentlicht worden, es ist auch unklar, ob die SMS überhaupt noch existieren - intransparent und möglicherweise rechtswidrig sei das, sagen die Antragsteller.
Ein zweiter Punkt ist das 150-Milliarden-Kreditpaket, das die Kommission für mehr gemeinsame europäische Rüstung auf den Weg gebracht hat. Die Antragsteller werfen von der Leyen eine Umgehung des Parlaments vor. Es gehe um Verantwortung, sagt Piperea, "darum, klar zu sagen, dass kein Politiker, nicht einmal der Präsident der Europäischen Kommission, über dem Gesetz oder unseren gemeinsamen Werten steht".
Erfolgsaussichten gering
Die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner des Antrags kommen aus mehreren Fraktionen, vor allem aus dem nationalkonservativen EKR, dem keine deutschen Abgeordneten angehören. Deutsche Parlamentarierinnen und Parlamentarier sind aber auch dabei, nämlich von der AfD und vom BSW sowie ein früherer BSW-Politiker, der inzwischen aus der Partei ausgetreten ist.
Chancen auf die erforderliche Zweidrittel-Mehrheit hat das Misstrauensvotum allerdings kaum, denn die meisten Fraktionen im Europaparlament wollen nicht zustimmen.
Manfred Weber, der Chef der Christdemokraten, wirft den Antragstellern politische Spielchen vor: "Der Misstrauensantrag der Putin-Freunde im Europäischen Parlament ist verantwortungslos, jetzt die Stabilität Europas in Frage zu stellen, wo wir so dringend Handlungsfähigkeit brauchen."
Wachsender Unmut auch im Mitte-links-Spektrum
Handlungsfähig geworden ist von der Leyen im vergangenen Jahr allerdings erst dadurch, dass sie gemeinsam von der christdemokratischen EVP mit den Sozialdemokraten, Liberalen und Grünen in eine zweite Amtszeit gewählt wurde. Seither hat die EVP jedoch mehrfach mit dem rechten Block im Parlament votiert, zum wachsenden Unmut auf der Mitte-links-Seite.
Terry Reintke, Co-Vorsitzende der Grünen im Europaparlament, nimmt den Vorgang zum Anlass, die Christdemokraten zur Rückbesinnung auf die demokratische Mitte im Parlament: "Die EVP um Manfred Weber muss sich jetzt entscheiden: Möchte sie mit der demokratischen Mitte ein Europa für die Bürgerinnen und Bürger aufbauen oder will sie ihre Zusammenarbeit mit den Rechtsextremen fortsetzen."
Die Parteifreunde sind zufrieden
Die Debatte heute und die Abstimmung am Donnerstag werden einen Hinweis darauf geben, wie es um die selbst ernannte demokratische Plattform in der Mitte des Europaparlaments bestellt ist. EVP-Chef Weber jedenfalls findet, das erste Jahr der neuen Amtszeit von der Leyens sei ein gutes Jahr gewesen: Die Flüchtlingszahlen gingen nach unten, der Bürokratieabbau werde angegangen, die europäische Sicherheit komme voran. "Ursula von der Leyen hat klar gezeigt, dass sie Europa in turbulenten Zeiten mit Stabilität durch diese Zeiten führt", lautet Webers Bilanz.
Drei Mal musste das Europaparlament in seiner Geschichte bislang über ein Misstrauensvotum entscheiden, alle drei Male kam keine Mehrheit dafür zustande. 1999 trat die damalige EU-Kommission von Jacques Santer im Zuge einer Korruptionsaffäre zurück, bevor es zu einer Abstimmung im Parlament kam.
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