Inhalt des Artikels:
- Thermalquellen mit Potenzial
- Paradebeispiel Szeged: Geothermie fürs Wärmenetz
- Rückgang der Luftverschmutzung
- 1400 Thermalbrunnen – aber kaum Wärmenutzung
- Energieabhängigkeit von Russland
- Atomkraft mit russischer Beteiligung
- Erfolgreiche Einzelprojekte
- Beginnt nun das Umdenken?
Sie sind ein "must-see" eines jeden Ungarnurlaubes: Die weltberühmten Thermalbäder in Budapest. Umgeben von wundervoller Architektur kann man hier in bis zu 40 Grad warmem Wasser baden und die Seele baumeln lassen. Und das schon seit mehr als 450 Jahren. Die ältesten der heute noch bestehenden Budapester Bäder wurden Mitte des 16. Jahrhunderts gebaut.
Thermalquellen mit Potenzial
Auf dem europäischen Festland besitzt Ungarn mit Abstand die meisten Thermalquellen – vor allem im Osten des Landes. Hier haben sich Gesteinsschichten des urzeitlichen Pannonischen Meeres abgelagert, die das heiße Nass besonders gut speichern. In eintausend bis zweitausend Metern Tiefe erreicht das Wasser dort oft fünfzig bis neunzig Grad. "Nicht viele Länder haben so einen geothermalen Reichtum wie wir", sagt der Hydrologe János Szanyi von der Universität Szeged, der als ausgewiesener Experte für die ungarischen Thermalquellen gilt. "Aber nicht all unseren Gemeinden gelingt es, ihn auch für sich zu nutzen."

Paradebeispiel Szeged: Geothermie fürs Wärmenetz
Denn das heiße Nass aus der Tiefe eignet sich nicht nur zum Baden, sondern auch zum Heizen und zur Stromerzeugung. Geothermie könnte so eine zentrale Rolle bei der Energiegewinnung Ungarns spielen. Wie das aussehen kann, zeigt die südungarische Stadt Szeged. Hier gibt es seit Mai 2023 das größte Erdwärmenetz der gesamten EU. Rund 27.000 Wohnungen und 400 öffentliche Gebäude – also etwa die Hälfte der Stadt – werden mit Wärme aus der Tiefe versorgt.
Das funktioniert so: Gut 90 Grad heißes Thermalwasser wird aus 2.000 Metern Tiefe an die Oberfläche gepumpt und erhitzt per Wärmetauscher jenes Wasser, das durch das Fernwärmenetz der Stadt zirkuliert. Das abgekühlte Thermalwasser wird derweil wieder in die Erde zurückgepumpt, damit es sich wieder erhitzen kann.

Rückgang der Luftverschmutzung
Rund 70 Millionen Euro hat die Umstellung in Szeged gekostet, die zum Teil durch EU-Mittel finanziert wurde. Die Stadt konnte dabei auf das bestehende Fernwärmenetz zurückgreifen, das bereits in sozialistischen Zeiten errichtet wurde. Auch die Heizungen in den Wohnungen mussten nicht ausgetauscht werden – für die Bewohner der nun mit Geothermie versorgten Häuser hat sich daher nichts geändert. Fast nichts.
Denn ein großer Vorteil der Umstellung ist neben der massiv gesunkenen Gasrechnung der Rückgang der Luftverschmutzung, sagt der Betriebsleiter des örtlichen Fernwärmeversorgers, Tamás Medgyes: "Früher war diese Firma der größte Umweltverschmutzer der Stadt. Das hat jetzt aufgehört. Die Emissionen von schädlichen Stoffen haben um 50 Prozent abgenommen. Ich glaube, wir haben gute Arbeit geleistet und wir würden das gerne weiterführen."

1400 Thermalbrunnen – aber kaum Wärmenutzung
Das ginge auch andernorts in Ungarn. In einer Datenbank sind die Thermalbrunnen Landes verzeichnet: Rund 1.400 gibt es in Ungarn, etwa tausend davon werden auch genutzt – aber nicht für die Wärmegewinnung. Nur 6,5 Prozent des Wärmebedarfes des Landes werden zur Zeit durch Erdwärme gedeckt. Viel zu wenig, findet Hydrologe János Szanyi: "Leider sind wir mittlerweile ein bisschen zurückgefallen. Die umgebenden Länder überholen uns langsam in der Nutzung von Thermalenergie. Wir müssen schneller werden mit den Entwicklungen."
Der Hydrologe ist davon überzeugt, dass die Geothermie eine bedeutende Rolle bei der Wärmeversorgung seines Landes spielen könnte: "Wenn wir unser Potential ausnutzen würden, könnten wir mit der geothermischen Zentralheizung mit Sicherheit 50 Prozent des Bedarfes im Land decken. In der Industrie und Landwirtschaft mindestens 70 Prozent des Bedarfes. Und man könnte sogar Strom damit produzieren."
Ein Problem dabei sieht er in den aktuellen Regelungen für die Wärmegewinnung, die Investoren verunsichere: "Investitionen in Geothermie-Projekte können nicht im selben Maße abgeschrieben werden wie bei Gas-Projekten", so Szanyi. "Die Gesetze unterstützen also viel mehr den Gasverbrauch als die Nutzung von Geothermie. Das müsste man ändern und dann würde es sich auch für Privatinvestoren viel mehr lohnen." Doch derzeit mangle es an politischem Willen im Land.
Energieabhängigkeit von Russland
Trotz dieses geologischen Reichtums an günstiger, verlässlicher und klimaneutraler Energie setzte die rechtsnationale Regierung von Viktor Orbán in den vergangenen 15 Jahren auf andere Energiequellen: Wichtigste Energieträger waren 2023 Erdgas und Erdöl, die jeweils rund ein Drittel des ungarischen Energieverbrauches decken. Beides wird trotz des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine größtenteils aus Russland importiert: 2023 deckte Ungarn 80 bis 85 Prozent seines Bedarfes an Erdgas und 80 Prozent des Rohölbedarfs mit russischen Lieferungen. Im selben Jahr hatte die Regierung einen neuen Gasdeal mit Russland geschlossen und so die Abhängigkeit Ungarns von Russland weiter zementiert.
Atomkraft mit russischer Beteiligung
Auch Atomkraft ist ein bedeutender Faktor in Ungarn. Schon jetzt gewinnt das Land einen signifikanten Anteil seines Stroms aus dem einzigen Atomkraftwerk des Landes in Paks, rund 110 Kilometer südlich der Hauptstadt Budapest. Dort werden derzeit zwei neue Reaktorblöcke gebaut: Paks II. Doch das Projekt ist hochumstritten: Nicht nur, weil die Atomkraft an sich in der Kritik steht, sondern vor allem auch wegen der Beteiligung Russlands an dem 2014 beschlossenen Projekt.
So übernimmt ausgerechnet der russische Staatskonzern RosAtom nicht nur den Bau, sondern auch die Lieferung der Brennstäbe und den Abtransport des radioaktiven Mülls. Russland sichert zudem die Finanzierung des Baus mit einem Kredit in Höhe von rund elf Milliarden Euro ab. Die Baugenehmigung erging im August 2022, das Projekt soll trotz der russischen Aggression fortgesetzt werden, Ungarn hat dafür eine Ausnahme von den EU-Sanktionen erwirkt. 2032 sollen die Reaktorblöcke ans Netz gehen.
Erfolgreiche Einzelprojekte
Derweil machen einige wenige Kommunen vor, wie die Geothermie zum Vorteil der Bürger genutzt werden kann: Etwa Bóly, eine Ortschaft mit knapp 4.000 Einwohnern im äußersten Süden Ungarns, unweit der kroatischen Grenze. Hier hat die Gemeindeverwaltung 2004 begonnen, Geothermie zu nutzen, und sie seither in kleinen Schritten ausgebaut. So werden öffentliche Gebäude wie die Grundschule, der Kindergarten oder das Rathaus beheizt. Zusätzlich kann auch das Industriegebiet des Ortes versorgt werden. Nun soll das Netz erweitert und erneuert werden.
Eine Autostunde weiter westlich liegt die Kleinstadt Szigetvár. Hier wird Thermalwasser nicht nur im Heilbad genutzt, sondern auch, um eine Wohnsiedlung zu heizen. Und auch andere Ortschaften setzten inzwischen auf Erdwärme.
Geothermie-Projekte gibt es auch im privatwirtschaftlichen Bereich in Ungarn. So wird das Werk des deutschen Autobauers Audi im westungarischen Győr mit Geothermie beheizt, was nach Angaben des Konzerns rund 17.000 Tonnen CO2 im Jahr einspart. Und in Szentes im Südostens des Landes wird die Geothermie in der Landwirtschaft genutzt: Árpád-Agrár, ein Großproduzent von Gemüse, heizt so seine Gewächshäuser.
Beginnt nun das Umdenken?
Auch in Budapest möchte man die Geothermie in Zukunft besser nutzen: Im Stadtteil Zugló wird derzeit ein bereits bestehender Thermalbrunnen ausgebaut, um zur Wärmeversorgung beizutragen. Budapests grün-liberaler Oberbürgermeister Gergely Karácsony konnte sich in diesem Zusammenhang einen Seitenhieb auf die Regierung Orbán nicht verkneifen und schrieb auf Facebook: "Das ist die echte nationale Souveränität! (…) So heizen wir einen Teil der Gebäude der Hauptstadt nicht mit russischem Gas, sondern mit der Wärme der ungarischen Muttererde." Auch am Budapester Flughafen wird derzeit ein Thermalbrunnen gebohrt, zudem wurde im Mai in der Hauptstadt ein neuer Sportpark mit geothermischer Heizung fertiggestellt.
Das ist die echte nationale Souveränität! (…) So heizen wir einen Teil der Gebäude der Hauptstadt nicht mit russischem Gas, sondern mit der Wärme der ungarischen Muttererde.
Sogar die Regierung Orbán scheint inzwischen auf die Vorzüge der Geothermie gekommen zu sein: Im letzten Jahr stellte sie ein "Nationales Konzept zur Nutzung der Erdwärme" vor. Zudem hat die Regierung ein Förderprogramm aufgelegt, um die Energieunabhängigkeit des Landes voranzubringen. Der zuständige Staatssekretär Attila Steiner kündigte laut Medienberichten an, dass daraus rund 70 Milliarden Forint (ca. 175 Millionen Euro) in Geothermie-Projekte fließen könnten. Ziel sei es, die Nutzung der Geothermie bis 2030 zu verdoppeln. Steiner würdigte deren Vorteile: "Dann müssen wir nicht das Gas über mehrere tausend Kilometer importieren, sondern produzieren die Energie vor Ort. Das ist am sichersten, das ist immer da, am günstigsten, am berechenbarsten, und auch aus Sicht des Umweltschutzes ist das die beste Lösung."

Eine Verdopplung der Geothermie-Nutzung würde in Zahlen landesweit 13 Prozent bedeuten, die mit Wärme auch aus Thermalbrunnen des Landes versorgt würden. Von der Hälfte der Wärmeversorgung aus Geothermie, wie sie Hydrologe und Geothermie-Experte János Szanyi erträumt, ist man dann aber immer noch sehr weit entfernt. Zumal die Lieferverträge mit Russland bis mindestens 2036 gelten und Ungarn gleichzeitig auf ein großangelegtes Gasfracking-Projekt an der rumänischen Grenze setzt.
MDR (dh)
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