Hereinspaziert, meine Herrschaften! Pünktlich zu Weihnachten ist „Avatar“ in der Stadt. Zum dritten Mal in diesem Jahrtausend präsentiert James Cameron seinen blaustichigen Cirque du Soleil, sein 3D-Ringelpiez zum Anfassen, seine gewagte Mischung aus „Rambo“und den „Glücksbärchis“. Der Film heißt „Fire & Ash“ und erzählt das nächste Kapitel im endlosen Gerangel zwischen Menschen (böse) und eingeborenen Na’vi (gut) auf dem Science-Fiction-Mond Pandora. Es wird wohl noch lange so weitergehen, denn der erste „Avatar“ führt noch immer die Liste der erfolgreichsten Filme aller Zeiten an, mit einem inflationsbereinigten Einspielergebnis von über vier Milliarden Dollar.
Muss man noch mehr sagen? Eigentlich könnte von hier an der Algorithmus übernehmen: Wenn Sie die ersten beiden Teile mochten, wird Ihnen wahrscheinlich auch dieser gefallen (und umgekehrt). So viel ist sicher: Regisseur James Cameron („Terminator“, „Aliens“, „Titanic“) backt auch mit über 70 keine kleinen Brötchen. Das legt schon die Laufzeit nahe. Sie schrammt knapp an dreieinhalb Stunden vorbei, so wie eines der fiesen Fangboote an einem der Tulkun genannten Walverwandten, die durch die Ozeane pflügen und deren Gehirnsaft als Longevity-Arznei teuer gehandelt wird. Wenig überraschend haben auch die Tulkun Überlänge: Sie werden fast 100 Meter groß. Neben ihnen nähme sich ein Blauwal wie ein besserer Hering aus.
Die Story spoilerfrei kurz umrissen: Der böse Colonel Quaritch (Stephen Lang) jagt immer noch seinen fahnenflüchtigen Kollegen Jake Sully (Sam Worthington). Nachdem der sich in einen Na’vi-Körper hochgeladen hat, ist er inzwischen mit Neytiri (Zoë Saldaña) verheiratet, hat ein paar gemeinsame und ein paar Adoptivkinder – der eine, Spider, ein Mensch, der in der für ihn tödlichen Pandora-Luft Maske tragen muss, die andere, Kiri, ein echtes Wunderkind, durch unbefleckte Empfängnis direkt von der spirituellen Seele Pandoras geschaffen.
Weil sowieso alle aussehen wie eine Kreuzung aus Käpt’n Blaubär und den Fraggles, die unter die Dampfwalze geraten sind, kann das Teenagermädchen Kiri auch von der nicht mehr ganz jugendlichen Sigourney Weaver gespielt werden, seit „Aliens“ einer alten Cameron-Bekannten. Es ist eine lustige Pointe, dass ausgerechnet die naturverbundenen Na’vi in Wahrheit per Motion-Capturing computergenerierte High-Tech-Wesen sind. Das von Ubisoft vertriebene Videospiel „Avatar: Frontiers of Pandora™ – From the Ashes“ erscheint parallel und sieht genauso aus. Zur weiteren Promotion wurden auf der Tiroler Zugspitze 450 Feuer entzündet. Die zugehörige Pressemitteilung erläutert spitzfindig: „Die Lichtpunkte sind mit Sägemehl gefüllte Säcke, die erst mit einer Pistenraupe hinaufgebracht und anschließend per Hand in Position gebracht wurden.“ Was die Bedeutung dieser Nachricht angeht, ist demnach nicht auszuschließen, dass in Tirol der ein oder andere Sack Sägemehl umgefallen ist.
Derweil lebt auf Pandora die Patchwork-Na’vi-Familie seit der Flucht vor den menschlichen Kolonisatoren aus dem heimischen Dschungel in einem ewigen Beachclub am anderen Ende der Welt. Sie haben bei den Wasser-Na’vi freundliche Aufnahme gefunden. Deren Sci-Fi-Pferdchen können nicht nur fliegen, sondern auch schwimmen. Und sie gehen gern auf ausgedehnte Tauchgänge, was dazu führte, dass die „Avatar“-Schauspieler jahrelang in Interviews prahlten, wie lange sie die Luft anhalten könnten: Stephen Lang fünf Minuten, Kate Winslet, die auch irgendeine Rolle spielt, sogar sieben. James Cameron ist ebenfalls ein Apnoe-Aficionado. Aber das nur am Rande.
Erzähl es einfach noch einmal
Irgendwann kriegen die Menschen Wind von dem Eso-Rave am Sandstrand und machen sich auf die Socken, den edlen Wilden den Spaß zu verderben. Zu diesem Zweck verbündet sich Quaritch – auch er nach einem Malheur in einen Na’vi-Körper gebeamt – mit den ersten charakterlich zweifelhaften Eingeborenen der „Avatar“-Geschichte, den sogenannten Ash People. Irgendwas hat sie frühkindlich verkorkst, sodass sie, statt sich an ihrer paradiesischen Heimat zu erfreuen, schlecht gelaunt am Fuße eines Vulkans mit dem Feuer spielen. So viel Ambivalenz darf nun sein, eine Premiere im „Avatar“-Universum.
Die Wal- vulgo Tulkunfänger aus dem letzten Teil treten, wie oben schon angedeutet, auch wieder auf den Plan, darunter eine unverhohlene Kapitän-Ahab-Parodie mit einem mechanischen Arm, dessen weiteres Schicksal man sich als „Moby Dick“-Kenner ausmalen kann. So viel zur sogenannten Handlung, die somit im Grunde ein Remake des letzten Films ist, in dem es um das Gleiche ging.
Auch ästhetisch ist alles beim Alten: Die stereoskopischen Explosionen knallen einem weiterhin direkt zwischen die Augen, sodass man im Kinosessel unwillkürlich zurückzuckt. Das psychedelische Farbfeuerwerk der Flora und Fauna wird so verschwenderisch abgefackelt, dass selbst Leute mit brutaler Rot-Grün-Schwäche auf ihre Kosten kommen. Das Worldbuilding ist mitunter derart grandios, dass selbst das Comicgenie Moebius mit den Ohren schlackern würde. Dessen Werk mit seinen seltsamen Flugsauriern und schwebenden Felsbrocken stand für Pandora offensichtlich Pate. Kurz: Es sieht zwischenzeitlich immer wieder sehr, sehr gut aus. Nicht mal gegen die Schauspieler lässt sich was sagen. Besonders Oona Chaplin als Na’vi-Hexe Varang schießt diesmal – buchstäblich – den Vogel ab. Sie faucht, zetert und flirtet – häufig gleichzeitig –, dass es die reine Freude ist.
Nebenbei schafft es Cameron, eine ganze Menge gedankenanregenden Gegenwartsdiskurs in seine vermeintlich eskapistische Märchenwelt zu kippen, so wie die Mafia bei Neapel Giftfässer im Meer versenkt: Da ist die erwähnte Longevity-Besessenheit, also die seit Eldorado beliebte Suche nach dem ewigen Leben, wie sie seit einer Weile im Silicon Valley grassiert und, wenn sie schon nicht den Tod bezwingt, wenigstens allerlei Memes und Netflix-Serien abwirft.
Ferner werden auch auf Pandora Identitätsfragen heiß diskutiert. Neytiri hadert mit der menschlichen Abstammung ihres Ziehsohns Spider. Das ist allerdings auch der nervigste Depp des gesamten Franchises. Seine dummdreisten Egotrips bringen ein ums andere Mal den ganzen Clan in Gefahr. Scully weist seine Frau dann regelmäßig liebevoll darauf hin, dass auch er selbst mit seinem transplantierten Bewusstsein kein geborener Na’vi ist, was sie seltsamerweise stur ausblendet. Merke: Wo die Liebe hinfällt, wächst im Plot kein Gras mehr.
Zudem geht es in gewisser Weise um Künstliche Intelligenz – Pandoras Vegetation hat sich, als hätte sie nicht James Cameron erfunden, sondern Peter Handke, zu einer Art Wurzel-und-Pilz-LAN zusammengeschaltet. Das hat ein kollektives Bewusstsein namens Eywa hervorgebracht, eine planetare Biosphäre und spirituelle Muttergottheit, in die sich die Na’vi mit ihren Rastafari-Zöpfen bei Gelegenheit einklinken können wie in ein Multiplayer-Online-Rollenspiel. Nach dem Tod gehen sie ganz darin auf – in einem Paradies, halb christlicher Himmel, halb New-Age-Schamanen-Gedöns. In den tönernen Töpfen, die in jeder zweiten Szene auf dem Feuer stehen, brodelt wohl schon die nächste Portion Ayahuasca fürs psychedelische Abendessen. Bei den Na’vi wäre Helmut Schmidt niemals Bundeskanzler geworden; hier wird zum Arzt geschickt, wer keine Vision hat.
Dieser gesammelte Indigenenkitsch wird von den kapitalistischen Invasoren beharrlich bekämpft, wozu man sie eigentlich nur beglückwünschen kann. Sie müssen den Friede-Freude-Eierkuchen-Schmonzes immerhin seit 16 Jahren aushalten, so lange ist es her, dass Cameron uns mit dem ersten „Avatar“ beglückte. Man will sich gar nicht ausmalen, wie das wäre, säße man als Zuschauer hier fest, und das nächste Raumschiff nach Hause käme erst nach dem fünften oder sechsten Teil oder wie viele auch immer geplant sind. Dass der Tulkun-Lebertran verjüngend wirken soll, muss zumindest diesseits der Kinoleinwand als Gerücht gelten; die dreieinhalb Stunden dehnen sich so sehr, dass man dabei eher ums Doppelte altert.
Die Filme selbst sind auch nicht mehr die Jüngsten; „Fire & Ash“ hat Cameron schon 2017 gedreht, zusammen mit dem letzten, der vor drei Jahren in die Kinos kam. Man sieht dem nervigen Spider – der alle Leute immerzu mit „Bro“ anredet, als wohnte er nicht in Pandora, sondern in einem Vorort von Los Angeles – dabei zu, wie er sich mit seiner Atemmaske abmüht und wundert sich, dass dieser Film doch eigentlich noch nichts von der Pandemie wissen kann. Auch hier war Cameron seiner Zeit voraus.
Die markigen Sprüche der Kombattanten stammen hingegen eher aus der B-Movie-Kiste der Achtziger, auf die Cameron ein lebenslanges Ehren-Abo hat. „Das ist eine Familie, keine Demokratie“, bescheidet Scully den Seinen ziemlich autoritär, als sie auch mal mitreden wollen. Was damals bei Arnold Schwarzenegger noch ging, wirkt heute unangenehm altbacken, steif und dümmlich. Schön wäre eine Fassung für die spätere BluRay-Auswertung, in der man die Dialoge abstellen kann.
So ist der neue „Avatar“ ganz der alte: technisch toll, erzählerisch na ja. „Avatar“ setzt auch in seinem dritten Aufwasch den Maßstab für zeitgemäße Screensaver. Als Weihnachtsrummel für Mama, Papa und die Kinderlein (ab zwölf) eignet er sich hervorragend. Dem Themen-Tohuwabohu zum Trotz muss man nicht fürchten, mit allzu viel Tiefsinn belästigt zu werden (bloß mit jeder Menge Tiefsee). Was man aus dem Kino mitnimmt, schüttelt sich flugs ab wie Wassertropfen nach dem Bad im Meer. Pünktlich zum Festschmaus ist das meiste angenehm vergessen. Mit vollem Mund vom komischen Onkel nach der Meinung gefragt, kann man guten Gewissens nuscheln: Jo, passt schon, guckt sich gut weg.
„Avatar: Fire & Ash“ läuft ab dem 17. Dezember 2025 im Kino.
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke