Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich. Dieses – wohl fälschlicherweise Mark Twain zugeschriebenen – Bonmot lässt sich als Credo für Bijan Moinis neuestes Buch lesen. Der Autor und promovierte Jurist, der aktuell federführend für die „Gesellschaft für Freiheitsrechte“ ein Gutachten zur möglichen Verfassungswidrigkeit der AfD erstellt, widmet sich in „2033“ literarisch der Rückkehr des Totalitarismus.
Dementsprechend besteht das imaginierte Deutschland in „2033“ aus einem von Dichotomien geprägtem Kampf zwischen einer liberal gemäßigten Partei namens „Reformer“ und dem rechtsextremen „Aufstand“ unter deren Kanzlerkandidatin namens Frieda Vogel. Phonetische Ähnlichkeiten zu real existierenden Parteien und Politikerinnen dürften kaum Zufall sein. Nach dem „Kobaltkanzler“ des ehemaligen „Stern“-Journalisten Hans-Ulrich Jörges erscheint mit „2033“ somit ein weiteres Buch binnen weniger Monate, das sich auf literarische Weise mit dem Aufstieg einer AfD-ähnlichen Partei befasst.
Ausgangspunkt dieses bundesdeutschen Polit-Thrillers ist ein Sprengstoffanschlag auf die Parteizentrale des „Aufstands“ mit mehreren Toten und Dutzenden Verletzten. Als Folge dieses „Reichstagsbrands reloaded“ – die titelgebende Jahreszahl spielt auf die Machtergreifung der Nazis 1933 an – gewinnt die Partei bei den Bundestagswahlen die absolute Mehrheit. Als Anstifterin des Anschlags kristallisiert sich rasch ausgerechnet die Parteivorsitzende der „Reformer“ namens Skadi Semmerich heraus.
Die aufstrebende Junganwältin Marie Wiegand, angestellt „in einer der besten Kanzleien der Stadt, in einem verrückt gut bezahlten Job, der all ihre finanziellen Sorgen binnen Monaten beseitigt hatte“, wird mit der Verteidigung der Tatverdächtigen mandatiert. Während die neue Regierung um Bundeskanzlerin Vogel Nägel mit Köpfen macht und Zeitungen verbietet, politische Gegner inhaftiert und die Stelen des Berliner Holocaust-Mahnmals schreddern lässt, legt die Angeklagte im Gerichtsprozess erstaunlich schnell ein Geständnis ab. Doch Wiegand und ihre Chefin Ava recherchieren auch nach dem Urteilsspruch weiter und stoßen auf immer mehr Anhaltspunkte dafür, dass es sich bei dem Bombenanschlag um eine „false flag“-Aktion handelt.
Moini hat mit „2033“ ein konsequent zu Ende gedachtes Totalitarismus-Szenario konstruiert, das eine Mischung aus Polit-Dystopie und Justiz-Thriller sein will. Seine Stärken entwickelt der Text in den Kapiteln rund um den Gerichtsprozess der Angeklagten, hier erzeugen die schnell geschriebenen Dialoge und der milieutypische Juristen-Sound eine Plastizität, die sich in den übrigen Kapiteln nicht einzustellen vermag. Dies liegt vor allem darin begründet, dass Moini keinen Hehl daraus macht, wer die Guten und wer die Bösen in seiner Drohkulisse sind.
Auf der einen Seite die gemäßigten Demokraten der „Reformer“-Partei und die idealistische Junganwältin Marie Wiegand. „Marie freute sich nicht über die Nachricht“, lässt die Erzählstimme den Leser wissen, als bekannt wird, dass die designierte Bundeskanzlerin das Sprengstoffattentat überlebt hat. „Es war ein hässliches Gefühl, doch sie konnte es nicht ändern. Vogel war ihr suspekt, oder besser: unheimlich. Sie war klug, eloquent, wirkte in Talkshows sehr sympathisch – sagte aber Dinge über Ausländer und Grundbedarfler, über Linke und Menschen mit Behinderung, die Marie schaudern ließen.“
Dem steht diametral der faschistoide „Aufstand“ gegenüber, der in dem fiktiven Roman-Setting bereits einige Bundesländer regiert. „Nun musste sie an den Fall in Thüringen denken. Vor drei Jahren fing die dortige Landesregierung an, ausreisepflichtige Ausländer in Lagern zusammenzupferchen und zu unbezahlter Arbeit zu zwingen.“ Angesichts dieser Schwerst-Geschütze, die der Autor auffährt, verwundert es auch nicht mehr, dass die Anhängerschaft des „Aufstands“ fast ausnahmslos aus biertrinkenden Proleten mit Deutschlandmütze und SS-Runenzeichen auf der Stirn besteht, die in einem sozialen Netzwerk namens „Y“ ständig rechte Memes und Verschwörungstheorien verbreiten.
Die Folge dieser erzählerischen Verhärtungen ist, dass die Charaktere kaum Raum bekommen, um Tiefe oder Ambivalenz zu entwickeln. Zu oft fungieren sie als bloße Sprechpuppen ihrer jeweiligen Agenda. Gegen Ende hin verliert sich die Handlung zudem in recht beliebig eingestreuten Nebenplots, etwa, als sich Marie auf den Weg zum Bundesverfassungsgericht macht, um das drohende Parteiverbot der „Reformer“ zu verhindern und somit „der Demokratie den Arsch zu retten“. Warum sich hier zu den politischen Ausnahmezuständen im Land auch noch eine Jahrhundertflut gesellen muss, die weite Teile des Landes absaufen und die Autofahrt Maries von Berlin nach Karlsruhe zu einer Odyssee werden lässt, erschließt sich nicht.
Somit wird „2033“ seinem Anspruch, die Gefahren für die Demokratie in Zeiten politischer Polarisierung aufzuzeigen, über weite Strecken nicht gerecht. Dafür reimt sich der aktivistisch anmutende Roman den Gang der Geschichte dann doch zu simpel zusammen.
Bijan Moini: 2033. Atrium, 336 Seiten, 23 Euro
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