Das Schockierende an den „Schockcollagen“, die Sarah Schumann von 1957 bis 1964 herstellte, ist ihre erst kürzliche Entdeckung auf einem Dachboden. Die aus Ausschnitten von Schwarz-Weiß-Fotos komponierten Bilder zeigen verstümmelte Leichen und verführerische Frauenkörper, Krater und Kinder, Marienstatuen in zerstörten, von Explosionswolken vernebelten Landschaften, in denen monströse Hybride aus Tier und Mensch auftauchen. Collagen sowie Zeichnungen und Gemälde sind in der Berliner Galerie Meyer Riegger zu sehen.
Kuratiert hat die museale Schau der Verleger Christoph Keller, der ein hervorragendes Buch über Schumann veröffentlicht hat. Er war es auch, dem der Berliner Galerist Boris Brockstedt den Dachboden öffnete: Sein Vater und Vorgänger Hans Brockstedt, der mit Otto Dix, Christian Schad und Horst Janssen handelte, hatte nach seiner Scheidung das Konvolut mit den Werken seiner Ex-Frau Schumann 1960 dorthin verbannt.
Geboren 1933 als Maria Schirmer in einen prekären Berliner Künstlerhaushalt, wächst sie erst bei Nonnen, dann beim Großvater und schließlich im Atelier der selbstsüchtigen Eltern auf, bis die Mutter sich scheiden lässt und einen SA-Mann heiratet. Die Flucht vor mordenden und vergewaltigenden Russen wird zum Trauma. Gebeutelt von der Härte und Gleichgültigkeit der Mutter, zieht Maria mit 15 Jahren von zu Hause aus, beginnt eine kaufmännische Lehre in Hamburg und lernt Hans Brockstedt kennen, der sie auf Reisen einlädt, wo sie ihm die Augen für Kunst öffnet.
Bei der Hochzeit ist sie 18. Es beginnt eine Langeweile, die sie, ermuntert von ihrem Vater, mit Kunst totschlägt, was eine enorme Energie freisetzt. Erst entstehen Gemälde, dann die „Schockcollagen“. Ihr Mann denkt nicht daran, sie in seiner inzwischen gut laufenden Galerie auszustellen. Eine Affäre mit Horst Janssen soll sie gemeinsam nach London führen, doch der Maler kneift – und das Leben der Sarah Schumann beginnt.
Allein zieht sie an die Themse, wo sie weder Menschen kennt noch die Sprache versteht, sie es aber als Künstlerin mit neuem Namen zu einer ersten Bekanntheit und auch ersten Verkäufen bringt. Doch als wollte sie sich selbst ein Bein beim sozialen Aufstieg stellen, zieht sie schon bald in eine verfallene Villa im italienischen Piemont, wo sie verarmt und vereinsamt – bis ein Freund sie nach Berlin holt. Vorübergehend weist man Schumann in eine Nervenklinik ein. In ihrer Kunst transformieren da bereits eigene Fotografien mit wolkiger Malerei, was in jenen Jahren der Performance- und Videokunst nicht immer auf Zuspruch stößt. In der Unheimlichkeit ihrer Arbeiten offenbart sich jedoch eine konsequente Weiterentwicklung der „Schockcollagen“.
Ihre Partnerin schreibt „Sarahs Gesetz“
Schumann beginnt, sich in feministischen Zirkeln zu engagieren, gestaltet deren Publikationen und co-kuratiert 1977 die bahnbrechende Schau „Künstlerinnen international“ im Berliner Schloss Charlottenburg mit 190 Werken, darunter von Louise Bourgeois, Valie Export, Hannah Höch und Martha Rosler. Dabei lernt sie die Literaturwissenschaftlerin Silvia Bovenschen kennen: Die beiden sollten für die nächsten vierzig Jahre das schillerndste Paar der feministischen Kulturszene Deutschlands werden.
Bovenschen widmet Schumann ein Buch, „Sarahs Gesetz“ – vieles, was man in Christoph Kellers Publikation und in der Galerieausstellung über die Künstlerin erfährt, ist ihrer Partnerin zu verdanken. So auch, dass Schumann sich dermaßen quer zum Kunstbetrieb und vor allem zum Kunstmarkt stellte, dass ihr die Anerkennung eines größeren Publikums stets verwehrt blieb. Doch es sind auch die Werke selbst, die in einer für ihre Zeit völlig unbekannten Weise abschreckend waren.
So mag man bei den „Schockcollagen“ zwar an Hannah Höch denken, doch Schumanns Werke sind ebenso wenig einem aufmüpfigen Dada-Geist entsprungen wie der surrealistischen Traumwelt einer Meret Oppenheim. Vielmehr nehmen sie die knallharten, verlockenden Bildwelten von Feminismus und aufkeimender Postmoderne vorweg, wie sie die amerikanische Konzeptkünstlerin Martha Rosler Ende der 1960er-Jahre in ihren Fotomontagen „House Beautiful: Bringing the War Home“ über den Vietnamkrieg definierte: ein brutales visuelles Gemisch von Hausfrauen und Kriegsgemetzel.
Rosler trieb die Idee des Bilderatlas „Mnemosyne“ des Kunsthistorikers Aby Warburg, der in den 1920er-Jahren Fotomotive nach Ähnlichkeiten gruppiert hatte, an den Rand des Erträglichen. In Thomas Hirschhorns Rauminstallationen fanden diese Vorbilder zur Jahrtausendwende neue heftige Ausformungen. Doch bei Schumann spürt man, wie unter dem Politischen die eigene Psyche pocht. Ihre Erfahrungen von Gewalt, Flucht und Einsamkeit sowie das Gefühl, niemals anzukommen (das erst in der Beziehung zu Bovenschen weicht), hat sie in Interviews selbst benannt, ohne ihre Kunst biografisch deuten zu wollen.
Wer sich jedoch heute mit Sarah Schumann auseinandersetzt, kommt um diese Perspektive nicht herum. Ihr Werk ist ein frühes Beispiel einer künstlerischen Arbeit, die sich aus in der Kindheit erlittener Angst und Verletzung speist – aus traumatischen Erfahrungen, die sich in Bildern Bahn brechen, weil sie im Körper keinen Platz mehr haben.
Schumanns Kunst ist zu emotional, zu wenig konzeptionell kalkuliert, um in Tendenzen zeitgenössischer Kunst zu passen. Wer ihre Großcollagen mit geisterhaft aus dem Bild herausschauenden Mädchen in einem Inferno aus abstrakter Malerei, Ziergeländern und Leoparden in der Ausstellung betrachtet, spürt ein solches Unbehagen, dass man die innere Getriebenheit dieser Frau am eigenen Leib spüren kann.
Es scheint, als hätte der Geist von Sarah Schumann nur darauf gewartet, vom Dachboden herabzuschweben und eine Schockwelle durch einen von Identitätsdebatten gelähmten Kunstbetrieb zu schicken: mit einem Werk, das Schönheit und Schmerz unter dem Brennglas der Weiblichkeit verschmilzt und das sich – einmal gesehen – aus der Kunstgeschichte nicht mehr wegdenken lässt.
„Sarah Schumann: Collagen und Gemälde von 1954 bis 1982“, bis 1. November 2025, Galerie Meyer Riegger, Berlin
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