Lesen ist eine introvertierte Angelegenheit. Aber für die Vermittlung, Förderung, Verbreitung von Literatur braucht es dann die Extravertierten. Einer von ihnen, der Germanist Hansgeorg Schmidt-Bergmann, wurde jetzt mit 69 Jahren aus einem immer noch rastlos aktiven Leben gerissen.

Er hat wie kein anderer im deutschen Südwesten in „seinem“ Prinz-Max-Palais, dem ehemaligen Karlsruher Wohnsitz des letzten deutschen Reichskanzlers der Monarchie, Max von Baden, der Literatur ein weithin ausstrahlendes Forum bereitet. Durch seine umfängliche Tätigkeit, Vernetztheit und charismatische Persönlichkeit war er selbst ein Prinz, ach was ein König in seinem Reich, das allerdings jedem offenstand. Der König rief, und alle kamen: Beginnend mit dem greisen Martin Walser bis hinauf (oder hinab?) zu den Jungen und Jüngsten, gab sich in Karlsruhe unter Hansgeorg Schmidt-Bergmann über drei Jahrzehnte hinweg ein Stelldichein, was zum Literaturgeschehen hierzulande in Beziehung stand.

Auf der Grundlage seiner Funktion als Leiter der altehrwürdigen Literarischen Gesellschaft Karlsruhe hatte Schmidt-Bergmann ein Literaturhaus eigener Art geschaffen. Denn der imposante Gründerzeitbau im Herzen der Stadt und Sitz dieser Gesellschaft beherbergte auch ein Museum für das literarische Leben am Oberrhein in Geschichte und Gegenwart.

Schmidt-Bergmann, der eigentlich aus dem Norden (Bad Oldesloe) stammte, was man auch deutlich hörte, hat sich im Laufe der Jahrzehnte zu DEM Repräsentanten des literarischen und auch kulturellen Lebens in Baden entwickelt. Er identifizierte sich vollkommen mit seiner Wahlheimat. Er wirkte in tausend kommunalen Gremien mit. Er wusste alles über die großen literarischen Söhne der Region, heißen sie nun Johann Peter Hebel oder Victor von Scheffel. Und wer einmal mit ihm durch Karlsruhe spazierte, um die rar gesäten architektonischen Leuchttürme in Augenschein zu nehmen, spürte auch seine Liebe zum klassizistischen Baumeister Friedrich Weinbrenner, dem Schinkel des Großherzogtums Baden, oder zum Maler Gustav Schönleber, der im 19. Jahrhundert Direktor der Karlsruher Kunstakademie war.

Denn er, der Literaturenthusiast, hatte nicht den Tunnelblick so vieler Literaturfunktionäre. Er wusste, dass die Literatur nur eine Funktion des kulturellen Lebens ist und nur im Zusammenspiel mit anderen ästhetischen Ausdrucksformen begriffen werden kann. Daher auch Schmidt-Bergmanns Immunität gegen ideologische Scheuklappen, für die gerade die Literatur immer besonders anfällig war und heute wieder ist. Er hielt stattdessen die Fahne des Artistischen hoch.

Kein Anhänger des „anything goes“

Andererseits legte Schmidt-Bergmann mit seinem Engagement in diversen Jurys (um nur diese zu nennen: für den Hermann-Hesse-Preis sowie für den Staatspreis des Landes Baden-Württemberg), mit seinem Sitz im Kuratorium der Deutschen Schillergesellschaft in Weimar und nicht zuletzt als Germanistikprofessor an der Universität Karlsruhe auch Wert auf solide und aus der Tradition abgeleitete Qualitätsmaßstäbe.

Er selbst war ein Schüler des großen Literaturwissenschaftlers Gert Mattenklott, bei dem er sich habilitierte. Und er hat, anfangs noch angeregt von seinem akademischen Lehrer, wichtige Grundlagenbücher zur Literatur des postromantischen Biedermeier (Platen, Lenau), aber auch zur Literatur „Jung-Wiens“ um 1900 (beispielsweise Schnitzlers) publiziert. Zuletzt plante er eine Edition der Briefe Hebels.

Diese fundierte Bildung bewahrte Schmidt-Bergmann davor, mit seinem Literaturforum in Karlsruhe, wie so viele Literaturhäuser inzwischen, lediglich als Durchlauferhitzer für saisonale Nichtigkeiten zu fungieren. Wenn irgendwo, dann war unter seiner Ägide der Kampf gegen die allenthalben drohenden Kürzungen im Kulturbereich, also auch für die von ihm betreuten Institutionen in Karlsruhe, richtig und wichtig, weil Schmidt-Bergmann wählerisch und kein Anhänger des „anything goes“ war.

Er wird eine große Lücke in das kulturelle Leben des Südwestens reißen. Und er wird als Mensch sehr fehlen. Denn bei aller intellektuellen Kompetenz war er nicht nur die farbige Figur eines selbstbewussten Königs. Er hatte auch ein echtes Interesse an allem Menschlichen. Zugewandt, neugierig, immer beflügelt von sprudelnden Ideen, besaß er die seltene Gabe, andere mit seiner Begeisterung anzustecken, sie zu eigenen Projekten zu animieren. Falls es jemals eine gewisse norddeutsche Schwere in seinem Charakter gegeben haben sollte, so löste sie sich unter der Sonne Badens auf in jene Leichtigkeit des Seins, die nur in südlichen Gefilden gedeiht. Ein 69-jähriges Sonnenkind der Literatur ist von uns gegangen.

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