Die „Salzburger Bachmann Edition“, die Gesamtausgabe der Werke und Briefe der österreichischen Schriftstellerin Ingeborg Bachmann, ist um einen neuen Band reicher: den Briefwechsel mit Heinrich Böll, herausgegeben von Renate Langer und versehen mit einem Vorwort von Hans Höller. Gleich drei Verlagshäuser, die über Textrechte verfügen, sind diesmal beteiligt, der leinengebundene und geheftete Band ist außerdem in gleich zwei Schutzumschläge gehüllt. Dabei wäre sein Inhalt gar nicht einmal so fragil: die Korrespondenzen mit Autorenkollegen und Liebes- und Lebenspartnern wie Paul Celan und Max Frisch lesen sich ungleich persönlicher und intimer. 

Die Freundschaft, und damit der Briefwechsel, zwischen Ingeborg Bachmann und Heinrich Böll beginnt Anfang der 1950er-Jahre und dauert, mit Unterbrechungen, über zwei Jahrzehnte bis zum Tod der Dichterin. Wie schwer muss es gewesen sein, für ihren Tod nach dem Feuerunfall in Rom Worte zu finden: Der kluge, beinahe trotzig klingende Nachruf Bölls, erschienen im „Spiegel“ vom 22. Oktober 1973, markiert denn auch das Ende dieser Konversation.

Sie umfasst etwa 200 Buchseiten und verfügt über einen mindestens so umfangreichen Anhang mit ausführlichem Stellenkommentar, Personenregister, einigen wenigen Fotos und Faksimiles. Und ja, auch im vorliegenden Briefwechsel findet sich wieder alles, was man vom Leben und Schreiben der Bachmann bereits kennt: Berichte vom Aufschieben der Arbeit und vom Druck durch Auftraggeber und Öffentlichkeit. Fragen der Lebensführung. Zweifel und Suche, dann wieder Mutschöpfen und Hoffnung, intensive Schreibphasen. Wohnungssuche, Umzüge, Reisen. Krankheiten, Melancholie und Depression. Medikamenteneinnahme, Klinikaufenthalte. Dabei zeigt sich Heinrich Böll als nicht weniger von den individuellen und gesellschaftlichen Lebensumständen im Nachkriegsdeutschland bzw. Nachkriegseuropa gebeutelt.

Sie Mitte zwanzig, er Mitte dreißig

Auch er steht am Anfang dieses Briefwechsels beinahe noch am Beginn einer großen Karriere, hat mehrere Erzählungen und einen Roman veröffentlicht und 1951 den publikumswirksamen „Preis der Gruppe 47“ zugesprochen bekommen. Die junge Ingeborg Bachmann hat da gerade noch für den Rundfunk Rot-Weiß-Rot gearbeitet und danach, 1953, ebenfalls die Auszeichnung der Gruppe für ihre Gedichtlesung aus „Die gestundete Zeit“ erhalten. Man muss sich das einmal vorstellen und versuchen, hinter die Bilder zu schauen, die man heute von den beiden kennt: Sie, Mitte zwanzig, Doktorin der Philosophie, aus Kärnten und, später, nach Wien kommend, anspruchsvoll, unveröffentlicht. Er, Mitte 30, ehemaliger Soldat der deutschen Wehrmacht, in Köln lebend, einer Stadt zwischen Trümmern und Wiederaufbau, mit Frau und den drei kleinen Söhnen, die auch in den Briefen immer wieder erwähnt werden.

Hinter die Bilder und öffentlichen Images zu schauen, hieße dann, eben nicht der Ikonisierung, Romantisierung und Literarisierung eines Lebens auf den Leim zu gehen. Böll beschreibt das im Nachruf auf Bachmann so: „Daß in der Ikonisierung einer lebenden Person eine schrittweise Tötung versteckt sein kann, müßte gerade an ihr deutlich werden. Ich mag die Art ihres Todes nicht symbolisieren, mythologisieren oder gar eine metaphysische Schleife draus winden.“

Der Umstand, dass auch wir Leserinnen und Leser solch eines – einst doch privaten – Briefwechsels nicht davor gefeit sind, uns den Ikonenbildern der Dichterin nachträglich und weiterhin hinzugeben, sorgt für das anhaltende Interesse an der Herausgabe desselben, sowie an Ausstellungen mit überdimensionalen Schriftstellerinnenporträts von München bis Wien und Rom – dort aktuell in der Casa di Goethe.

Dabei ist der genaue, gut lesbare Stellenkommentar im vorliegenden Band vielleicht eines der Gegengifte gegen allzu erstarrte Ehrfurcht: Auch diese beiden Schreibenden haben nur mit Wasser ihren Tee gekocht, die Schreibmaschinen haben zu laut geklappert, die Bänder sind gerissen und Abgabetermine nicht selten verschoben worden. Geld und das Fehlen desselben spielt dabei über die Jahrzehnte bei beiden eine große Rolle. Von Verlegern müssen Vorschüsse eingefordert werden, Auftragsarbeiten müssen angenommen, kräftezehrende Lesereisen unternommen, feste Stellen abgelehnt werden. Manches hat sich seither ja nicht verändert.

Böll, weiter im Nachruf: „War Ingeborg Bachmann nicht gefangen in dem Bild, das andere sich und andere aus ihr gemacht haben? Ich weiß nur, daß sie immer beides war: immer da und immer abwesend; da, wenn einer sie brauchte, und dann war der großen Dichterin ihre Zeit keineswegs zu kostbar, etwa ein Zimmer zu besorgen oder in halb Italien nach einem geeigneten Hotel zu telefonieren …“. Auch banale, alltägliche Fragen sind ein Bestandteil des Briefwechsels, hat die Familie Böll sich doch einige Male gen Süden aufgemacht oder jedenfalls Pläne dafür entworfen und Ingeborg Bachmann, die damals in Rom gewohnt hat, vorab konsultiert.

Im Mai 1954 wird es beinahe zärtlich

Der Ton in diesen Briefen ist über die lange Dauer stets freundschaftlich-kollegial. Die beiden kommunizieren auf Augenhöhe, wenn sich auch der etwas ältere Böll, selten geizend mit Ratschlägen, die der Bachmann durchaus willkommen sind, mitunter selbst etwas Väterliches zuschreiben mag. Im Mai 1954 wird die Wortwahl zwischen beiden kurzzeitig beinahe zärtlich, der Stellenkommentar vermerkt dazu lapidar: „Offenbar hatte sich Bölls Verhältnis zu Bachmann intensiviert, als er sie im Anschluss an die Tagung der Gruppe 47 Anfang Mai in Rom besuchte.“

Mitte der 1950er-Jahre lassen sich überhaupt die interessantesten Briefe in dieser Korrespondenz finden. Es geht um Glück und Unglück, Kinderspiele und Erwachsenwerden. Gedanken klingen skizzenhaft an, die sich in den literarischen Texten beider ausformuliert wiederfinden lassen. In späteren Jahren werden die Briefe rarer, die Anliegen sachlich und berufsbezogen. Nicht alles liest sich immer besonders spannend, auch nimmt die Frustration bei beiden, trotz und manchmal gerade wegen des beruflichen Erfolgs, zu. In politischen Fragen ist man sich grundsätzlich einig – und bricht doch für ein Jahr miteinander ob einer konkreten Anfrage zu politischem Engagement.

Primärtexte statt Klischees lesen!

Wie in der prominenten Veröffentlichung des Briefwechsels Bachmann-Frisch steckt auch in dieser neuesten Publikation der Teufel im Detail, und der Engel sowieso. Es empfiehlt sich also, den Kommentarteil parallel mitzulesen, wenn man mehr erfahren will über die Entstehung und den literaturbetrieblichen Kontext dieser Briefe. Als Leserin nehme ich sie als Kommentar zum Werk – auf den ich bei der Lektüre der Primärtexte, der Gedichte, Romane und Kurzgeschichten, jedoch nicht unbedingt angewiesen bin. Vielmehr trägt die Lektüre allerdings bei zu meinem Verständnis für diese Zeit und ihre Protagonisten, die die Literatur und das öffentliche Gespräch in der Mitte des 20. Jahrhunderts geprägt haben. Manches wirkt bis heute nach, manches darf vergessen bleiben, manches entdeckt man für sich wieder.

Ich habe mir zum Beispiel nebenher Bölls altes Hörspiel, das er in den Briefen von damals ein paar Mal erwähnt, angehört: „Doktor Murkes gesammeltes Schweigen“. Es steht als digitalisierte Musikkassettenaufnahme, nun also wieder abrufbar, auf der Streamingplattform YouTube online. Auch so sehen sie aus, die Briefpostgrüße aus der Vergangenheit. „Herzlich, Dein Heinrich.“ „Leb wohl! Deine Inge.“

Ingeborg Bachmann, Heinrich Böll: „Was machen wir aus unserem Leben?“ Der Briefwechsel. Hg. von Renate Langer. Kiepenheuer & Witsch, Piper, Suhrkamp, 487 Seiten, 44 Euro

Teresa Präauer lebt als Schriftstellerin in Wien. Zuletzt erschien ihr Roman „Kochen im falschen Jahrhundert“ (Wallstein).

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