Vor 66 Jahren, als die industrielle Rockmusik erfunden wurde, erschien eine Schallplatte unter dem Titel „50.000.000 Elvis Fans Can’t Be Wrong.“ 50 Millionen Fans konnten nicht falsch liegen mit Elvis. Können sich 1,1 Millionen Hörer in nur einem Monat in The Velvet Sundown irren?

Anfang Juni brachte die Band ihr Debütalbum heraus, bei Spotify und anderen Streamingdiensten. Auf „Floating on Echoes“ folgte schon zwei Wochen später „Dust and Silence“. „Paper Sun Rebellion“, ihr drittes Album, ist für den 14. Juli angekündigt. Nie zuvor hat jemand mehr Musik innerhalb von nur sechs Wochen veröffentlicht.

Viel spricht dafür, dass es The Velvet Sundown niemals gab, nicht gibt und auch nie geben wird. Offenbar wurden sie von einer sogenannten künstlichen Intelligenz erschaffen. Schon der Name scheint ein Witz zu sein: The Velvet Underground hieß Andy Warhols legendäre Hausband in seiner New Yorker Factory, wo Kunst und Pop zusammenfanden. Auch auf ihren Bildern präsentieren sich The Velvet Sundown zwischen Rockband-Fieberfantasie und Parodie in den vier Archetypen: der Charakterkopf, der Coole, der Vergeistigte, der Schöne.

Um die Dialektik des authentisch Generierten noch weiter zu drehen, parodieren sie auch Bands aus analogen Zeiten, indem sie über den Zebrastreifen an der Abbey Road in London wandeln wie die Beatles oder wie Queen auf dem Klassiker „Queen II“ posieren. Ihre eigenen Cover glaubt man, auch schon mal gesehen zu haben, surreale Landschaften wie im Progrock der Siebzigerjahre. Hat man die Musik schon mal gehört? Wie viel „Dust in the Wind“ von Kansas haben sie, die Prompter oder Programmierer, in „Dust on the Wind“ verwurstet für The Velvet Sundown?

Jedenfalls schafft die Musik es, eigentlich keine zu sein. Es sind Songs ohne Eigenschaften, was der handgemachte Mainstream nie geschafft hat. Dazu passt dann auch wieder der Waschzettel, wie Kaufanreize und Höranleitungen früher hießen: „Sie hören sich an wie die Erinnerung an eine Zeit, die es nie gab. Wie ein Duft, der dich unvermittelt an einen Ort zurückträgt, den du nicht erwartet hättest.“ Man höre die Musik nicht einfach, „man driftet in sie.“ Zeit- und ortlos.

Andererseits: Gemeldet hat sich bisher niemand als Gesicht oder als Geist hinter The Velvet Sundown. Bis auf einen Sprecher namens „Andrew Frelon“, der sich an den „Rolling Stone“ wandte und sich zum nächsten großen Rock’n’Roll-Schwindel bekannte: „Bisher hat sich keiner für uns interessiert, und jetzt reden wir mit dem ‚Rolling Stone‘. Da kann man sich schon fragen: Ist das falsch?“ Bei Spotify lässt die Band wiederum erklären, „Andrew Frelon“ nicht zu kennen.

Doch zurück zu seiner Frage: Ist das falsch? Können 1,1 Millionen irren? Über das Echte und das Künstliche in der Musik wurde bereits gestritten, als KI noch ein Begriff für Informatiker und Nerds war und kein Thema fürs Familienfrühstück und für den Kulturbetrieb. Popstars wurden „gemacht“ und Bands gecastet.

Auf der anderen Seite wurden Bands und Künstler geradezu dafür gefeiert, nicht gecastet und gemacht worden zu sein. Als die Maschinen in die Popmusik einzogen, stellten Bands wie Kraftwerk selbst die großen Fragen, bevor andere sie stellten: Wer spielt die Musik? Die Roboter in der Computerwelt, die „Mensch-Maschine“? Solche Fragen sind so alt wie die Musik im Zeitalter ihrer Technologien.

Auch ein Bot wie Suno ist ein Komponist. Die Stücke von The Velvet Sundown sollen mit Suno erschaffen worden sein, das wiederum wollen KI-Jäger mit Bots, vor denen sich keine KI verstecken kann, enttarnt haben. Wo sind bei Spotify die Hinweise auf Komponisten und Autoren, Produzenten und Verleger? Wer betreibt ihre Accounts bei Instagram, Facebook und X? Ist es 1,1 Millionen gleichgültig, dass es die Band nicht gibt oder auch vielleicht doch? Und wenn es sie nicht gäbe, was kann man dagegen haben? Wenn es doch nur Streams sind, also klingende Datenströme, die mit irgendwelchen Clouds verwehen?

Seit es das Musikgeschäft gibt, wo 50 oder 1,1 Millionen schon deshalb nicht irren können, weil sie Geld bewegen, wird mit geistigem Eigentum gehandelt. Bots wie Suno schöpfen selbstverständlich nicht aus nichts. Woraus sie schöpfen, weiß man nicht. Vermutlich aus Myriaden eingespeister Metadaten für The Velvet Sundown, aus dem Werk von Kansas, Toto, Asia, Barcley James Harvest, Alan Parsons Project, Eagles, Fleetwood Mac, Chicago, neben Dutzenden möglicherweise anderen und ähnlichen. Dass man es nicht weiß, auch der Eigentümer nicht, ist ein grundsätzliches juristisches und ökonomisches Problem.

Es ist allerdings auch ein kulturelles. Streaminganbieter wie Spotify werden geflutet und fluten sich selbst und ihre Abonnenten mit Stücken von fragwürdiger „Schöpfungshöhe“, wie Juristen sagen. Früher hieß sowas Gebrauchs- und Fahrstuhlmusik, Easy Listening und Muzak, wogegen auch gar nichts einzuwenden war. Sie lief im Kaufhaus und als Hintergrundgeräusch beim Abendessen. Auch da war die Grenze zwischen Kitsch und Kunst schon fließend.

Spotify löst solche Grenzen auf. The Velvet Sundown wurden weltberühmt durch Playlisten wie „Good Mornings – Happily Positive Music Start the Day“ aber auch „Discover Weekly“. Soundtracks für den Start in einen schönen Tag und die Empfehlungen der Woche werden eins.

Auch dabei bleibt für alle, die Musik machen, mit der die Bots gefüttert werden, um daraus Musik zu machen, immer weniger übrig als das Wenige bei Spotify schon jetzt. Wer sich hinter The Velvet Sundown auch verbergen mag: Die Band ist groß genug, um alle offenen Fragen zu verhandeln.

Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke