Eine prominente Influencerin verliert ihr Kind - angeblich durch Gewalt. Doch die Geschichte wirft mehr Fragen auf, als sie beantwortet. Die Promi-Kolumne in dieser Woche über einen Reality-TV-Star, der die Netzgemeinde, ein Hochzeitspaar und vor allem Mütter gegen sich aufbringt.

36 Grad und es wird noch heißer. Berlin glüht, und die Fashion Week tut ihr Übriges. Lieber Leser, ich wollte Ihnen in der heutigen Promi-Kolumne so gern von meinen Erlebnissen im Deutschen Historischen Museum berichten, im architektonisch eindrucksvollen Pei-Bau in Mitte. Doch da kam mir meine geschätzte Kollegin Marie von den Benken zuvor. Marc Cain hatte geladen, Promis waren erschienen. Sylvie Meis in gepunkteter Robe, Frauke Ludowig und Tochter Nele modisch perfekt aufeinander abgestimmt, Jessica Paszka in Rot, als hätte sie "Lady in Red" komponiert. Und mittendrin ich: neugierig, aber mit kurzsichtigem Blick. Zwischen wehenden Fächern ob der Hitze, Kamerablitzen und der leisen Erkenntnis, einige der Influencer längst nicht mehr mit Namen zu kennen.

"Wer is'n ditte?", fragte ich meine Begleitung. Schulterzucken. Vielleicht ist Altern ja nichts anderes, als nicht mehr jeden Promi auf dem Schirm zu haben. Doch dann kam Diego Pooth, und siehe da: Der "Let's Dance"-Gewinner ist wirklich so sympathisch, wie er in der Tanzshow wirkte. Das ist, das kann man ruhig so sagen, eine seltene Ausnahme.

Natürlich wird seit Jahren kritisiert, dass viele der heutigen Stars nicht mit jenen von früher zu vergleichen sind. Damals, als man für Prominenz noch Schauspiel, Gesang oder zumindest Disziplin brauchte. Heute reicht oft ein Format, ein Skandal, sogar ein Shitstorm. Prominenz ist verfügbar geworden. Arrangiert und banal. Es zählt oft weniger, was man kann, sondern wie viel Reichweite man mitbringt. Wie viele Follower. Und im besten Fall: ein großes Drama.

Und hier kommt eine ins Spiel, die genau das perfektioniert hat: Kim Virginia.

Sie kennen den Namen nicht? Seien Sie froh! Berühmt-berüchtigt wurde die 30-Jährige durch das Dschungelcamp, wo sie weniger durch Gruppensinn als durch ihre Obsession für Mike Heiter auffiel. Der ist inzwischen mit "Let's Dance"-Teilnehmerin Leyla Lahouar liiert, Hochzeit steht bevor. Alles wirkt wie eine Staffel einer endlosen Reality-Serie, in der Rollen wechseln, Beziehungen rotieren und niemand so genau weiß, was echt ist.

Die traurige Inszenierung der Kim Virginia

Doch Kim Virginia will nicht vergessen werden. Sie präsentiert sich verliebt. Schwanger. Und dann: gebrochen. Eine angebliche stille Geburt. Ein Tritt in den Magen. Ein verlorenes Kind. Wer das liest, denkt: Schock. Grauen. Wo ist der Täter? Was sagt die Polizei? Gibt es Ermittlungen?

Statt Antworten gibt es viele nebulöse Instagram-Storys, Tränen und Andeutungen. Dazwischen: Auftritte des vermeintlichen Vaters des Kindes, On-Off-Freund Nikola Glumac mit großer Geste, ohne, wie es heißt, vorher Kims Erlaubnis eingeholt zu haben, ob er über die "stille Geburt" überhaupt reden darf. Alles klingt sehr dramatisch bei gleichbleibender Unklarheit. Nur, dass jetzt auch noch von einer Schuld der Community und Hass im Netz die Rede ist.

Willkommen im Kosmos von Kim Virginia Hartung! Es ist eine Welt voller Dramen, Tränen, Rabattcodes und Countdowns. Mit Babybauch-Fotos und Bikinis. Mit dubiosen Produktempfehlungen. Mit Andeutungen über Gewalt und Verlust, die stets flüchtig und nie konkret, aber vor allem eines sind: maximal aufgeladen.

Was war zuerst? Der Schwangerschaftstest oder die Kooperation? Die Gender-Reveal ohne Gäste oder der angebliche Blähbauch? Die stille Geburt oder der Zusammenbruch, weil ihr jemand in den Magen getreten haben soll. Wer? Wann? Wo? Hilfe, Polizei! Alles verschwimmt. Und vielleicht soll es das auch. Denn wo alles vage bleibt, lässt sich die Erzählung jederzeit neu justieren. Nach Stimmung, Reaktion und natürlich nach Reichweite.

Keine Obduktion, keine Polizei

Denn hier wird kein privates Drama geteilt. Sondern ein strategisch getaktetes Social-Media-Spektakel. Pausen, Comebacks, Cliffhanger. Wie bei einer Seifenoper. Kim Virginia spielt sich selbst in jeder erdenklichen Rolle: Verlobte, Verlassene, Schwangere, Getretene, Trauernde, Opfer. Und stets mit Rabattcode im Gepäck. Als wäre Schmerz ein Marketingvehikel. Und Verlust ein Format.

Aber hier geht es nicht um irgendeinen Witz. Sondern um ein hochemotionales Thema. Schwangerschaft. Verlust. Gewalt. Und plötzlich ist da ein toter Fötus, aber kein Täter, kein Krankenhausbericht, keine Polizei. Dafür Storys. Behauptungen. Drama. Und viele Frauen, die das Ganze emotional sehr mitnimmt, weil es Wunden aufreißt. Frauen, die ein solches Schicksal erleiden mussten. Sternenkind-Eltern.

Denn es ist ein ernstes Anliegen. Eines, das so viele Fragen aufwirft. In welchem Monat war sie, als sie das Kind verloren hat? Gibt es eine Geburts- oder Sterbeurkunde? Gab es eine Obduktion? Ermittelt die Kripo? Ist der Fall medizinisch dokumentiert? Wenn sie ihr Kind, wie es heißt, wegen eines Tritts in den Magen verloren hat: Handelt es sich bei einer solchen Tat nicht um ein Tötungsdelikt? Gab es eine Spurensicherung? Eine polizeiliche Vernehmung? Eine Fahndung nach dem mutmaßlichen Täter?

Der Vorwurf ist drastisch. Täuschung und Missbrauch eines sensiblen Narrativs. Und ein Schlag ins Gesicht aller Frauen, die (auch) ein Kind verloren haben. Selbst Mike Heiter äußert sich nun - und das mit deutlichen Worten.

Wo sind die Belege?

In seiner Instagram-Story erklärt er, dass er und seine Braut Leyla offenbar unfreiwillig Teil einer "Lügenparade" gewesen seien, deren Ziel es gewesen sei, ihnen oder ihrer bevorstehenden Hochzeit zu schaden. Obwohl Heiter sonst lieber schweigt, findet er klare Worte: Die Grenzen seien "längst überschritten". Es sei gefährlich, dass Menschen mit derartigen Täuschungen so viel Reichweite erhalten.

Vielleicht war alles wahr. Vielleicht ein Albtraum. Vielleicht alles gelogen.

Aber wer Leid in Reichweite verwandelt, wer Trauer zum Drehbuch macht und wer mit dem Verlust eines Kindes Follower sammelt, der muss sich fragen lassen: Wo sind die Belege? Wo ist der Mutterpass? Der Arztbrief? Die Ermittlungsakte? Warum gibt es kein einziges unabhängiges Dokument? Keine Bestätigung? Kein Kind, das irgendwo registriert wurde?

Was bleibt, ist eine bittere Erkenntnis. In einer Welt, in der das Ich zur Marke wird, ist kein Thema zu heilig, um nicht ausgeschlachtet zu werden. Und wenn Schmerz zum Geschäftsmodell wird, ist nicht nur das Vertrauen verloren, sondern auch die Würde. Und mit ihr jede Grenze.

Am Ende steht eine Frage im Raum, die größer ist als Kim Virginia. Warum funktionieren solche Geschichten so gut? Warum klicken wir auf Schmerz, aber nicht auf Aufklärung? Warum bekommt, wer mit angeblichem Leid polarisiert, mehr Reichweite als jemand, der wirklich was zu sagen hat?

Vielleicht, weil wir alle längst Teil der Show geworden sind. Als Publikum. Als Zeugen. Als Komplizen. Und das ist das eigentlich Erschreckende.

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