Siebzig Kilometer südöstlich von Siena liegt das Dorf San Casciano dei Bagni auf einem toskanischen Hügel. An mehr als vierzig Stellen im Umkreis tritt 40 Grad heißes Wasser aus dem Boden. Schon vom 5. vorchristlichen bis zum 5. nachchristlichen Jahrhundert wurde in Etrurien, wozu die heutige Toskana gehörte, im Thermalwasser gebadet. Besonders die Quelle des „bagno grande“ galt als Heiligtum, als gesundheitsfördernd bei Augenkrankheiten und Schwerhörigkeit, bei Leberleiden, Unterleibsbeschwerden und Fortpflanzungsschwierigkeiten.

Vor ungefähr 2000 Jahren ist hier der Blitz eingeschlagen. Und die Etrusker taten, was sie in so einem Fall höherer, göttlicher Gewalt tun mussten: das Ritual des „fulgur conditum“ befolgen. Die Stätte wurde geschlossen. Alles, was der Blitz „berührt“ hatte, wurde vergraben, regelrecht „beerdigt“, eine Inschriftentafel aufgestellt und der Ort „geweiht“. Fürs Erste hieß das: Baden verboten!

Selbst als das Baden wieder erlaubt war, ahnte niemand von dem Schatz im Boden. Nicht die Römer, die bald ein Thermalbad anlegten. Auch nicht als sie Christen wurden und das heidnische Spa wieder schlossen. Ahnungslos waren die Medici, die das Bad viel später erneut ausbauten. Ebenso die Besucher der heute öffentlichen Badestelle mit drei Becken. Erst seit 2021 wird ausgegraben: Dutzende Skulpturen und Kunstobjekte kamen ans Tageslicht. Jetzt sind „Die Bronzen von San Casciano dei Bagni“ erstmals außerhalb Italiens zu sehen, in der James-Simon-Galerie, der Sonderausstellungshalle der Staatlichen Museen zu Berlin auf der Museumsinsel.

Votivgaben von außerordentlicher Qualität

Luftdicht im warmen Wasserbad eingeschlossen und von einer Schicht Dachpfannen vor Plünderern abgeschirmt, wurden die Bronzen sozusagen „sous vide“ konserviert. Archäologen waren begeistert, als sie das dicht gefüllte Lager fanden – ein Bronzeblitz, der auf dem Deckel lag, führte sie auf die heiße Spur. Auch Agnes Schwarzmaier, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Berliner Antikensammlung, spricht von einem der wichtigsten Antikenfunde der vergangenen fünfzig Jahre. Er werfe eine neue Perspektive auf die etruskische Kultur.

Die Vielzahl von Skulpturen, auch in Form von Kinderstatuen, Körperteilen und Organen, zeugt davon, das mit der Ausgrabung des Thermalbades und der archäologischen Funde das Zentrum eines Heilkultes gefunden wurde. Die Besucher flehten hier die Quellgöttin Flere Havens an, aber auch Apoll und Asklepius und dessen Tochter Hygieia. Sie baten um Heilung der Augen und Ohren, um die Erfüllung ihres Kinderwunsches als auch die Verschonung vor hoher Kindersterblichkeit und Linderung schwerer Krankheiten.

Auf der Suche nach göttlich-medizinischer Hilfe war es üblich, symbolische Opfer zu hinterlassen – sogenannte Votivgaben. Normalerweise sind sie aus Ton. Im Thermalschlamm aber wurden hauptsächlich Bronzen gefunden, viele von künstlerisch außerordentlicher Qualität.

Besonders eindrücklich ist die Statue eines stehenden Kindes aus dem 2. Jahrhundert vor Christus mit Schlangenarmreif und einem frei drehbar in der Hand gelagerten Ball. Auf der Tunika ist eine lange dreizeilige Inschrift in etruskischer Sprache eingraviert, die den Namen und die Herkunft des Stifters verrät. Ohne den unbedingten Glauben an die Heilkraft des Bades wäre eine derart aufwendige Figur wohl nicht gestaltet worden.

Eine weitere herausragende Skulptur stellt einen jungen Mann dar, der unter seinen deformierten Gliedern und dem asymmetrisch verformten Brustkorb sehr gelitten haben muss. Dank der Gravur auf seinem fußlosen Bein kennen wir seinen romanisierten Namen: Lucius Marcius Grabillo, Angehöriger der bedeutenden etruskischen Familie Marcni Crapilu. Sechs weitere Votive von Füßen und Beinen, also erkrankten Körperteilen, weihte er der Quelle. Ob zum Dank der Genesung oder mit Hoffnung auf Heilung, muss die Forschung erweisen.

Spektakulär ist der Fund auch deshalb, weil er Aufschlüsse gibt, dass sich die etruskische Kultur länger gehalten hat als bisher angenommen, sich später der römischen Dominanz angepasst und assimiliert hat. So fanden sich Inschriften in etruskischer und lateinischer Schrift sowie Mischformen. Besonders ihre Opfertraditionen haben die Etrusker wohl auch nicht aufgegeben, sondern vergemeinschaftet. Das zeigt die Grabung im kulturellen Schmelztiegel der Thermalquelle. Die archäologischen Funde, so liest man im Buch zur Ausstellung (Verlag Schnell & Steiner, 24 Euro), würden sogar „eine antike Ethik der Heilung und Fürsorge“ offenbaren.

Eine Projektion aus der Antike auf die Gegenwart mit ihren Care- und Achtsamkeits-Trends sei das keinesfalls: „Gesundheit war das essenzielles Thema“, sagt Agnes Schwarzmaier, „und mit den Göttern stand man in einer materialistischen Verbindung.“ Wollte man göttliche Hilfe, musste man den Göttern auch etwas geben. Wie reich die Gabe an die heilige Quelle von San Casciano dei Bagni noch ist, wird die Zukunft zeigen. Die Gemeinde will die Ausgrabung fortsetzen und im Dorf ein Museum gründen.

Die Ausstellung der Bronzen wurde zuerst 2023 im Palazzo del Quirinale in Rom gezeigt, dann 2024 im Archäologischen Nationalmuseum von Neapel und schließlich bis Anfang 2025 im Archäologischen Nationalmuseum von Reggio Calabria. Dass sie jetzt in der James-Simon-Galerie zu sehen ist, hat ebenfalls einen durchaus materialistischen Hintergrund. Die Berliner Antikensammlung restituierte im Jahr 2024 ein Konvolut archäologischer Objekte – vorrangig apulische Vasen – an Italien. Sie stammten wahrscheinlich aus Raubgrabungen und hatten laut Schwarzmaier eine „komplett erlogene Provenienz“. Im Gegenzug für die Rückgabe erhielt die Antikensammlung langfristige Leihgaben aus italienischen Museen und den Zuschlag, die Bronzen von San Casciano dei Bagni in Berlin zeigen zu dürfen.

„Die Bronzen von San Casciano dei Bagni. Eine Sensation aus dem Schlamm“, bis 12. Oktober 2025, James-Simon-Galerie, Berlin

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