Der schwierige Vater, er ist ein uralter Topos. Und eine literarische Figur sondergleichen: Kafkas Briefe an den starken Patriarchen, unter dem der literarisch feinfühlige Sohn zerbricht – sie waren eher das Ende als der Anfang einer Gattung.

Die klassische Problemväter-Literatur präsentiert den Vater als Reibungspunkt, aber auch als tragischen Helden. Väter halten die bürgerliche Ordnung aufrecht, und sie erzeugen damit in mehr oder weniger vollem Wissen auch Unglück. Und sie scheitern. In Thomas Manns „Buddenbrooks“ wird die Ähnlichkeit des Sohnes Christian zum Vater früh als ein Fanal für den Sohn herausgestellt. Sie deutet an: Er ist dazu vorbestimmt, das Schicksal des Vaters selbst zu durchleben. In Thomas Manns Roman heißt es über das Kind des Konsuls: „Er war ein Bürschchen von sieben Jahren, das schon jetzt in beinahe lächerlicher Weise seinem Vater ähnlich war.“

Lächerlich. In der so bezeichneten Ähnlichkeit ist gewissermaßen sein Lebenslauf vorgezeichnet. Fragt sich allerdings: für wen lächerlich? Als was lächerlich? Als wer und für wen – für sich selbst, seine späteren Kinder, für das Romanpublikum?

Der heutige Ausdruck vom „peinlichen Vater“, auf den dieser Text später ausführlicher zu sprechen kommt, ist nicht sinnvoll zu verstehen ohne die Vorgeschichte der Vater-Thematisierungen. Sie hatten andere Adjektive zu bieten. Vor dem bürgerlichen Roman, in Shakespeares Königsdramen, waren die Väter – Könige, versteht sich – ebenso die Gründe dafür, dass die Jugend mit ihrem Lieben und Eigensinn scheitern muss. Hier waren die Väter schrecklich: Despoten. An ihnen ist kein Vorbeikommen, sonst endet es in Mord oder Selbstmord.

Biblische Väter nehmen den Spott nicht hin

Biblische Väter tragen in vielen Fällen keine Erb-Königtümer durch die Zeit, auch keine Familienunternehmen. Sie geben die biblische Tradition an ihre Nachkommen weiter. Sie sind ihren Vätern treuer als den Kindern: Abraham will seinen Sohn Isaak ernsthaft opfern, nur weil Gott es ihm befiehlt. Andererseits gibt es auch jene biblischen Geschichten, die von rebellischen Söhnen erzählen. Noahs Sohn Ham verspottet seinen betrunkenen Vater; daraufhin allerdings verflucht der „verletzte Patriarch“ Noah dessen Sohn Kanaan. Biblische Väter nehmen den Spott nicht hin. In der Gegenwart der westlichen Kulturen ist das Patriarchat weitgehend überwunden; in islamischen oder orthodoxen Kulturen ist es noch an seinem alten Platz.

Von „peinlichen Vätern“ handelt – das ist die Pointe dieser ersten Absätze – klassische Literatur eigentlich nicht. Diese sind frühestens ein Topos der Coming-of-Age-Geschichten ab den 1980er-Jahren. Der Perspektive der Peinlichkeit müssen sich Väter erst in der postmodernen Lebensstilgesellschaft stellen. Die Rede vom „peinlichen Vater“ ist ein Phänomen der westlichen Individual-Gesellschaften. Sie löst alte, an die Väter gerichtete Vorwürfe von Grausamkeit, Härte, Strenge, Lächerlichkeit ab – ist das nicht eine epochale Erleichterung?

Peinlichkeit ist – psychologisierend ausgedrückt – das Empfinden einer emotionalen Störung auf dem Weg der adoleszenten Individualisierung im Angesicht der lächerlich erscheinenden Eltern. Die Perspektive liegt nun auf der Individuation der Söhne und Töchter ab der frühen Pubertät. Der Vater, insofern er an „veraltet“ erscheinenden Rollenmustern und Sprechweisen festhält, wird nun zur Negativfolie der jugendlichen Identitätsfindung.

Er hat sich dem zu stellen und trägt seine neue Rolle oft mit Würde. Dieser Vater kommt im westlichen Gegenwartsfilm also auch nicht mehr streng, sondern eher als eine trottelig bemühte Figur daher. Er verhält sich gegenüber den Heranwachsenden freundlich bis anbiedernd und unsicher. Aber wie er es auch macht (empathisch, auf cool und jung getrimmt, altmodisch-attraktiv): Alle seine Versuche, bei den Jugendlichen anzukommen, scheitern. Diese Erfahrung ist guter Filmstoff. So wie zum Beispiel in der 2023 gesendeten amerikanischen Netflix-Serie „You Are So Not Invited to My Bat Mitzvah“. Hier macht der Vater auf jung, aber für die Töchter ist das cringe.

Bürde und Würde

Erfolg im Job ändert das nicht. In Joachim Meyerhoffs Kindheitsromanen aus der Psychiatrie der 1970er-Jahre stellt der Vater zwar den eigentlich maximal erfolgreichen Typus seiner Zeit dar. Er ist ärztlicher Leiter einer großen Klinik und Ernährer einer Familie klassischen Stils. Seine Autorität ist aber auch aus jugendlicher Perspektive eine leicht durchschaubare Rolle, die bewahrt werden will, aber ebenso stets zur tragischen Kippfigur wird. Als der Chefarzt seinen Sohn voller Stolz durch die Flure der psychiatrischen Klinik führt, schämt sich dieser unendlich. Er schämt sich für Vaters Krawatten und Dreiteiler, die Monologe über Homer und Platon am Abendessenstisch, er schämt sich für eigentlich alles. Erst bei Vaters Tod finden die beiden emotional wieder zusammen.

Von „peinlich“ ist weder bei den Buddenbrooks noch bei Shakespeare jemals die Rede. Müsste es aber sein, wenn man über heutige Väter schriebe. Die bourgeoise „Lächerlichkeit“ der Buddenbrooks-Zeit – auch noch in Joachim Meyerhoffs Kindheit – erklärt sich mit der Gefangenheit in Rollen, die die Väter doch ein Leben lang mit sich tragen. Dafür haben sie mit ihrer Rolle Bürde und Würde, lebenslang.

Peinlichkeit erklärt sich nicht aus der Bürde von Rollen, sondern aus einem Spannungsverhältnis von familiärer Intimität und öffentlichem Image. Diese scheinen bedroht, wenn das Leben und das Sprechen der Familie von jugendlich attraktiven Lebensstilen abweicht. Jugendliche, die sich aus ihrer Kindheit in eine postmoderne Lebensstilgesellschaft hinein emanzipieren, finden ihre Väter nur noch selten – wie bei Kafka – zu Tode belastend. Auch nicht lächerlich. Es geht nicht mehr um fundamentale Differenzen von Zwang und Freiheit, wie in der vergangenen Klassen- oder Milieugesellschaft des Industriezeitalters. Sondern es geht um sozial sanktionswürdige Sonderbarkeiten auf dem Weg zur freien Ich-Werdung.

Von Vätern, mit denen ich spreche, höre ich oft, dass sie ihren Kindern nun peinlich seien – die dann auf keinen Fall mehr mit ihnen gesehen werden wollen. Das sagen sie ihren Vätern plötzlich. Die Entscheidung fällt wie von heute auf morgen: „Papa, halte dich auf Abstand!“

Alles, was diese Väter tun, ist diesen Kindern – oft Töchtern – fortan peinlich: Die Art zu reden, die Kleider, das unverzeihlich hohe Alter. Bringt man das Kind nun mit dem Auto zu einem Treffpunkt, erzählen mir die Väter, muss man weit außerhalb der Sichtweite halten. Gemeinsame Wege zum Einkaufen sind tabu. Gemeinsam gesehen werden geht gar nicht. Besuche im Theater, im Stadion oder im Schwimmbad werden ein No-Go.

Rollen- und Herkunftskonflikte

Die Fallhöhe in der Vaterrolle ist, mit anderen Worten, gewaltig. Kinder haben ihre Eltern meist gern und lassen sich von ihnen auf den Schultern durch die Welt tragen. Plötzlich, in der frühen Pubertät, kippt das Bild. Von einer innigen Beziehung – die Geburt des Kindes, größtes Vaterglück – zur Witzfigur ist es kein weiter Weg. Der Psychologe Erik Erikson gab ab den 1950er-Jahren Erklärungen für dieses seltsame Verhalten. Die adoleszierenden Mädchen, beschrieb Erikson, suchten ihre eigene Identität, und geraten dabei in Rollen- und Herkunftskonflikte.

Die radikale Abgrenzung ist ein temperamentvoller Versuch, diese eigene Identität zu finden. Die gute Nachricht für Väter ist, dass darin immer schon die Sehnsucht nach einer Integration der früheren, kindlichen Identität mit der neu zu findenden enthalten ist. Identität ist für Erik Erikson „die Herstellung und Wiederherstellung von Gleichheit mit früheren Erfahrungen sowie der bewusste Versuch, die Zukunft in den eigenen Lebensplan zu integrieren“. Das Gelingen ist die Grundlage der späteren psychischen Gesundheit. Väter stören die Selbstfindung, wenn Kinder in diesem Alter sind.

Töchter im Jugendalter geraten angesichts des Eindruckes, den ihre Eltern auf ihre Freunde machen könnten, in Loyalitäts- und Rollenkonflikte. Der Vater, der aus der Norm fällt, wird zur Image-Gefahr. Die mir bekannten Väter, die von dieser Erfahrung betroffen sind, haben gelernt, mit ihrer neuen Rolle als „Image-Gefahr“ zu leben. Man hält sich auf Abstand und nutzt die seltenen offenen Gesprächsfenster. Manche sehen das Verhalten der Tochter sogar als eine gerechte Strafe an. Denn hatte man nicht früher manchmal die Kinder als Puzzleteil der eigenen Selbstverwirklichungs-Story missbraucht?

Nun also ist der Moment der Buße. Vielleicht ist er auch schon ein Vorgeschmack auf das eigene Alter, wenn man total individualisiert dasitzen wird und einsam den Tod erwartet. Der peinliche Vater sollte trotzdem nicht glauben, er sei objektiv peinlich. Die Peinlichkeit ist ein reales Gefühl im Kind. Es erfährt die Gegenwart der Väter im öffentlichen Raum leibhaftig als unangenehm. Es ist zum Rotwerden und Fremdschämen. Aber das ist eine historisch vergleichsweise geringe Last.

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